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Gerichtsbericht: Wenn zu viel Alkohol die Erinnerung trübt

Ein Zeithainer steht wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht, wird aber wegen unglaubwürdiger Aussagen der Geschädigten freigesprochen.

Von Manfred Müller
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Am Ende eines Streits am Bahnhof Meißen-Triebischtal im Herbst 2022 ist eine Frau am Hals verletzt. Nur wie und von wem? Darüber gehen die Erinnerungen auseinander.
Am Ende eines Streits am Bahnhof Meißen-Triebischtal im Herbst 2022 ist eine Frau am Hals verletzt. Nur wie und von wem? Darüber gehen die Erinnerungen auseinander. © dpa

Riesa/Meißen. Es passiert nicht oft, dass die Staatsanwaltschaft einen Freispruch beantragt. Schließlich ist es ihre Aufgabe, Belastungsmaterial zusammenzutragen, das die Anklage stützt. Im Falle des Zeithainers Ringo M. (Name geändert) erwies sich die Beweislage allerdings als zu dünn. Und das, obwohl es eine Menge Zeugen gab, die den Vorfall beobachteten. Was also war im September 2022 am Bahnhof Meißen-Triebischtal geschehen?

Der Angeklagte schildert die Ereignisse so: Er habe mit Bekannten in einer nahe gelegenen Wohnung gefeiert, als er spätabends unten auf der Straße lautes Geschrei hörte. Dort standen sich eine Frau und ein Mann gegenüber, die offenbar in Streit geraten waren. Die Dame war zuvor auch auf besagter Party gewesen, sodass sich Ringo M. bemüßigt fühlte, schlichtend einzugreifen. Der 37-Jährige ging hinunter, stellte sich zwischen die beiden und versuchte sie auseinanderzubringen. Daraufhin gab es ein Gerangel, und die stark angetrunkene Frau habe ihm eine Ohrfeige verpasst. Irgendwie sei dann wohl ein Messer ins Spiel gekommen. Da er aber selbst heftig dem Alkohol zugesprochen habe, könne er sich nicht erinnern, wer die Waffe aus der Tasche zog und wie sie zum Einsatz kam.

War ein Messer im Spiel?

Fest steht, dass die 35-jährige Meißnerin leicht am Hals geritzt wurde. So dokumentierten es auch die Polizeibeamten, die einer der Tatzeugen herbeigerufen hatte. Die Geschädigte – sie soll hier Mandy S. heißen – kann sich aufgrund ihres hohen Alkoholisierungsgrades aber nur bruchstückhaft an den Vorgang erinnern. Vor Gericht schildert sie ihn komplett anders. Ringo M. habe hinter ihr gestanden, und als sie sich ihm zuwandte, habe er ihr ein Klappmesser an den Hals gehalten.

Hier wird Richter Alexander Schreiber stutzig. "Ein Klappmesser?", fragt er nach. Ja, behauptet Mandy S., vielleicht sei es auch ein Butterfly-Messer gewesen. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte die Geschädigte allerdings angegeben, es sei ein Cuttermesser, also eine Art Teppich-Schneidklinge gewesen. Auch über das Motiv des vermeintlichen Angreifers kann die Meißnerin nichts sagen. Auf alle Fälle habe ein Bekannter des Angeklagten das Messer später in der Triebisch entsorgt.

Kein klarer Tathergang sichtbar

Je tiefer das Gericht in den Tathergang eindringen will, desto verworrener wird die ganze Geschichte. Einer der Zeugen, der unmittelbar in der Nähe saß, will vom Messer nichts gesehen haben. Ein anderer erzählt, es sei sogar ein Handyvideo von der Auseinandersetzung gefertigt worden. Das machte später über Whatsapp unter den Tatzeugen die Runde, wurde aber schnell wieder gelöscht. Der Angeklagte wiederum gibt an, er sei im Nachhinein von Bekannten der Geschädigten aufgesucht worden. Diese hätten ihm eine Art Schmerzensgeld abpressen wollen.

Obwohl der Richter den Angeklagten und die Zeugen Skizzen von der abendlichen Konstellation am Bahnhof anfertigen lässt, wird kein klarer Tathergang sichtbar. Die Aussagen widersprechen einander einfach zu stark. Ebenso stehen die Angaben, die einzelne Zeugen vor Gericht machen, nicht mit jenen im Einklang, die sie bei der Polizei gemacht haben. Deshalb folgt das Gericht dem Antrag des Staatsanwalts und spricht Ringo M. frei. Die Geschädigte habe die Ereignisse nicht glaubwürdig darstellen können, befindet Richter Alexander Schreiber. Es sei durchaus möglich, dass ihre Halsverletzung auf andere Art zustande kam. Etwa durch einen Daumennagel bei der vorangegangenen Auseinandersetzung mit dem unbekannten Mann.