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Sommelier Silvio Nitzsche: Ich wünsche mir mehr Qualität beim Glühwein

Hier verrät Silvio Nitzsche, worüber die Glühwein-Industrie nicht gerne spricht - und warum roter Glühwein nicht immer Rotwein enthält.

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Sommelier Silvio Nitzsche ärgert sich über schlechte Glühweine.
Sommelier Silvio Nitzsche ärgert sich über schlechte Glühweine. ©  Archiv: Ronald Bonss

Ich hatte einen Traum von einem guten Glühwein. Einen Glühwein, den man bedenkenlos trinken und zu den man mit gutem Gewissen seine Nachbarn einladen kann. Also auch die, die man leiden kann. Leider war das nur ein Traum. Denn der Wein für Glühweine kommt heute in großen Containerschiffen aus fernen Kontinenten, weil er dort billigst für maximal 40 Cent je Liter gekauft werden kann.

Ich dagegen träumte von einem Glühweinstand, bei dem es Weine gibt, die sie selbst sein dürfen. Rebsortenreine Weine, die eine Herkunft haben. Weine, welche voller Stolz ihren Jahrgang zeigen dürfen. Weine die sich nicht hinter einem Zuckerkleid oder Unmengen von künstlichen Aromen verstecken müssen. Glühweine, bei denen ich nicht den morgigen Tag fürchten muss – auch nach dem dritten Becher nicht.

Da wir in Deutschland 70 Millionen potenzielle Glühweinkonsumenten haben, von denen man etwa die Hälfte als „aktive Trinker“ einstufen kann, kann man sich vorstellen, wie groß das Dilemma ist. Der bundesweite Glühweinverbrauch liegt derzeit bei 50 Millionen Litern pro Jahr – die Mengen an heimisch kreierten Glühweinen noch gar nicht mitgerechnet. Eigentlich müsste man hier auch nicht von einem Jahres-, sondern von einem Monatsverbrauch sprechen.

Das älteste Rezept kommt von Wackerbarth

Die gute Nachricht ist, dass vielerorts bereits angekündigt wurde, dass die Preise für Glühwein sich nicht nach oben entwickeln werden. Leider aber auch die Qualität nicht. Zwar denke ich, dass wir hier im „Tal der Weihnachtsmärkte“ eine durchaus magnetisierende Marktkultur im Vergleich zu vielen Städten und Regionen in Deutschland haben. Doch trotzdem ist es erstaunlich, dass über die – man kann schon sagen – Glühwein-Industrie recht wenig geredet wird. Abgesehen von Geschichtlichem.

Die Weinspezialität kommt aus dem Orient. Das älteste erhaltene Rezept wurde bei uns in Sachsen aufgezeichnet – am 11. Dezember 1843 von Historiker August Josef Ludwig Raugraf von Wackerbarth. Demnach sollte der Wein mit Zimt, Ingwer, Anis, Granatapfel, Safran, Kardamom, Muskatnuss sowie mit Zucker und Honig vermischt werden.

Silvio Nitzsche, Top-Sommelier und Kolumnist für sächsische.de.
Silvio Nitzsche, Top-Sommelier und Kolumnist für sächsische.de. © Thomas Kretschel

Rudolf Kunzmann, eine Ein-Mann-Kellerei in Augsburg, ließ 1956 dann erstmals Wein mit Zucker und Gewürzen versetzt in Flaschen abfüllen.Dass es wohlwollende Begründungen für den Genuss von „Wrzwein“, „Heisswein“, „Glühmost“ oder „vin brulé“ – also Glühwein und dessen Machart – gibt, liegt auf der tassenwarmen Hand. Die Körperwärme in der kühlen Jahreszeit ist es allerdings nicht, denn das Erwärmen gilt leider nur für die Hände, mit denen wir die heißen Tassen festhalten. Der Rest des Körpers wird nur ganz kurz warm. Denn der Alkohol erweitert die Gefäße und es fließt mehr Blut an die Körperoberfläche. Mit der Zeit wird uns durchs Glühweintrinken also eher kälter statt wärmer.

Draußen schmeckt man weniger

Begründen lässt sich aber die übertriebene Aromatik. Im Außenbereich, dort wo 90 Prozent aller Glühweine getrunken werden, nimmt der menschliche Sinn nur etwa 60 Prozent dessen wahr, was er in einem geschlossenen Raum riechen und schmecken würde. Somit wirken viele auch noch so schlechte Glühweine in ihrer Unnatürlichkeit unter freiem Himmel natürlich. Paradox. Vielleicht sollten wir ein wenig mehr über Glühwein reden.

Das Gute hervorheben und das Schlechte nicht verschweigen. Warum zum Beispiel schweigt man beflissentlich über die ein oder andere Budenschließung auf den Weihnachtsmärkten, wenn der Betreiber versucht hat, das heiße Getränk ein wenig mit dem ein oder anderen Mittelchen zu strecken. Oder warum erfährt man nicht, dass es sich bei einer Vielzahl der roten Glühweine um viel billigere eingefärbte Weißweine handelt. Letztlich gilt hier das Gleiche wie bei verkommerzialisierten Limonaden, Bratwürsten, Burgern oder Kebab: Je mehr es nach etwas anderem schmeckt, desto weniger erwähnenswert ist die Grundsubstanz.

Andererseits wird leider auch nicht sehr oft der eine oder andere Winzer oder Gastronom erwähnt, der versucht, seinen Kunden und Gästen die Weihnachtsfreuden mit ganz besonderen Kreationen ein wenig näherzubringen. Ein eine einfache Regel heißt: Jeder gute Wein könnte ein Glühwein werden, aber bei Weitem nicht jeder Glühwein resultiert aus einem annähernd guten Wein.