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Missbrauch in der Kirche: Heidenau wird Pilotprojekt

Zehn Jahre wurde der Kindesmissbrauch eines Priesters verschwiegen. Bischof Heinrich Timmerevers über Saubermänner und Verbrecher im Kirchendienst.

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Der Bischof von Dresden-Meißen Heinrich Timmerevers räumt Fehler im Umgang mit schwerstem Kindesmissbrauch ein. Er sagt: Absolute Priorität habe nun, dass es nicht mehr um den Schutz der Institution gehe, sondern dass die Perspektive der Betroffenen e
Der Bischof von Dresden-Meißen Heinrich Timmerevers räumt Fehler im Umgang mit schwerstem Kindesmissbrauch ein. Er sagt: Absolute Priorität habe nun, dass es nicht mehr um den Schutz der Institution gehe, sondern dass die Perspektive der Betroffenen e ©  Thomas Kretschel

Herr Bischof, haben Sie schon einmal mit Menschen geredet, die von Priestern missbraucht wurden?

Ich habe in den letzten zwei Jahren mit 20 Betroffenen aus unterschiedlichen Kontexten gesprochen. Diese Menschen waren zutiefst verletzt. Ich hatte keine Ahnung, was es heißt, traumatisiert zu sein. Das hat mich verändert.

Was hat sich verändert? Wie fühlt sich das an?

Das schmerzt einen sehr. Ich fühlte mich schlecht. Es ist ein Unterschied, ob man einen Bericht liest oder existentiell davon berührt wird.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen bekommen?

Ein schlechtes Gewissen bekäme ich, wenn ich nichts machte. Wir müssen vergangene Missbrauchsfälle aufarbeiten und bestmöglich verhindern, dass sich so etwas wiederholt.

Was bedeutet denn Aufarbeitung?

Aufarbeitung ist die Aufklärung dessen, was geschehen ist. Das ist bei einem Fall, der – wie in Heidenau – 50 Jahre zurückliegt, gar nicht so einfach. Dort hat es Pfarrer Jungnitsch nach dem Krieg geschafft, sich einerseits als Saubermann, als großen spirituellen Führer darzustellen, auf der anderen Seite war er ein Verbrecher, indem er Kinder missbrauchte. Die Auseinandersetzung mit diesen Geschehnissen macht aus der Pfarrei ein irritiertes System.

Was meinen Sie damit?

Es wird in Heidenau Gemeindemitglieder geben, die werden sagen, was tun die dem Pfarrer an. Und andere werden sagen, wieso erfährt der noch ein ehrendes Gedenken? Diese Polarisierung wird es geben, das Zusammenspiel in der Gemeinde ist gestört, das System irritiert.

Pfarrer Herbert Jungnitsch kam 1948 in die Gemeinde in Heidenau. In den 1960er-Jahren beging er schwersten Missbrauch an kleinen Mädchen.
Pfarrer Herbert Jungnitsch kam 1948 in die Gemeinde in Heidenau. In den 1960er-Jahren beging er schwersten Missbrauch an kleinen Mädchen. © privat

Dem ehrenden Gedenken für den Täter Jungnitsch wollen Sie jetzt einen Riegel vorschieben, indem sein Grab eingeebnet werden soll.

Ja, ich halte die Einebnung für eine gute Idee. An diesem Grab kann es zu Retraumatisierungen kommen. Darum ist die Einebnung angemessen, eine ganz selbstverständliche Konsequenz.

Die es in dieser Deutlichkeit in der Katholischen Kirche Deutschlands noch nicht gegeben hat.

Ich hatte nicht erwartet, dass die Einebnung so weite Kreise in der Öffentlichkeit ziehen würde. In meiner Heimat wurde eine Straße nach einem Priester benannt, da gab es jetzt ein eindeutiges Votum, das zurückzunehmen, weil er Missbrauch verübt hat. Aber das Entfernen eines Grabsteins ist offenbar ein noch stärkeres Symbol.

Die St.-Georg-Gemeinde in Heidenau als Vorbild für die Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche?

Ja, meine Vorstellung ist so, dass wir das, was wir in Heidenau lernen, auch für andere Gemeinden umsetzen können. Es ist ein Pilotprojekt.

Wohl bisher einmalig in der Katholischen Kirche Deutschlands: Das Grab von Pfarrer Herbert Jungnitsch auf dem Heidenauer Südfriedhof soll bald eingeebnet werden, weil der Priester sich an Kindern verging.
Wohl bisher einmalig in der Katholischen Kirche Deutschlands: Das Grab von Pfarrer Herbert Jungnitsch auf dem Heidenauer Südfriedhof soll bald eingeebnet werden, weil der Priester sich an Kindern verging. © Tobias Wolf

Welche finanziellen und personellen Ressourcen stellen Sie denn Heidenau zur Verfügung, um die Aufarbeitung zu begleiten?

So weit sind wir noch nicht. Wir nutzen auf Bistumsebene externe Fachleute, da investieren wir schon eine Menge rein. Auch ich lasse mich coachen. Und das ist jetzt nicht so, dass diese Experten uns in ihrer Freizeit helfen. Wir sind so ein kleiner Laden hier – andere Bistümer hätten vermutlich viel mehr Ressourcen.

In Heidenau soll nicht nur das Jungnitsch-Grab verschwinden, sondern auf einer öffentlichen Veranstaltung im Juni in der Aula des Gymnasiums über das Vergangene auch gesprochen werden. Werden Sie selbst vor Ort sein?

Ich habe grundsätzlich nicht die Schwierigkeit, dass ich hingehe. Wir haben aber noch nicht entschieden, wie wir den Abend gestalten wollen. Zunächst haben wir vorgesehen, dass der Generalvikar hingeht.

Und Sie bleiben auf dem Feldherrenhügel?

Es gibt Gründe, die gegen eine Teilnahme sprechen. Vielleicht konzentriert sich die Veranstaltung dann zu sehr auf meine Person und weniger auf das Thema. Vielleicht pushe ich mit meiner Anwesenheit die Polarisierung in der Gemeinde.

Ist das Thema Missbrauch in Ihrem Bistum also keine Chefsache?

Es ist Chefsache, aber der Chef muss nicht alles tun. Es geht nicht ohne ihn, aber es geht auch nicht nur mit ihm.

Bischof Heinrich Timmerevers (Mitte l.) und Pfarrer Vinzenz Brendler (Mitte r.) bei einem Gottesdienst zur Gründung der neuen katholischen Groß-Gemeinde "Sankt Heinrich und Kunigunde Pirna". Die Pfarrei Heidenau gehört seit 2018 auch dazu und will jetzt V
Bischof Heinrich Timmerevers (Mitte l.) und Pfarrer Vinzenz Brendler (Mitte r.) bei einem Gottesdienst zur Gründung der neuen katholischen Groß-Gemeinde "Sankt Heinrich und Kunigunde Pirna". Die Pfarrei Heidenau gehört seit 2018 auch dazu und will jetzt V © Daniel Förster

2018 wurde die Pfarrei St. Georg Heidenau nach Pirna eingemeindet. Der jetzige Pfarrer sagt, das Bistum habe ihn vor der Fusion über den Fall Jungnitsch nicht informiert. Stimmt das?

Das war sicherlich ein Fehler, wir hätten mit ihm sprechen müssen. Irgendwie dachten wohl alle, die um Heidenau wussten, dass der übernehmende Pfarrer das auch wusste. Wir hatten da kein standardisiertes Vorgehen. Im Fusionsprozess ist Wissen über den Fall Jungnitsch verloren gegangen.