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Sachsen ist Deutschlands Hochburg der Gewalt gegen Journalisten

Reporter ohne Grenzen: Der Hass auf Medien in Deutschland nimmt zu. Nirgendwo sind Journalisten so gefährdet wie in Sachsen.

Von Oliver Reinhard
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Oft bleibt es nicht bei Einschüchterungen und Behinderungen von Journalisten wie bei einer Attacke auf ein Fernsehteam des ZDF.
Oft bleibt es nicht bei Einschüchterungen und Behinderungen von Journalisten wie bei einer Attacke auf ein Fernsehteam des ZDF. © Christoph Soeder/dpa

In Deutschland hat sich eine immer pressefeindlichere Stimmung ausgebreitet. Das zeigt die neue „Nahaufnahme Deutschland“ von Reporter ohne Grenzen (RSF für Französisch „Reporters sans frontiérs“). Während der Pandemie schnellte die Zahl der Übergriffe auf Berichterstattende in die Höhe. Für 2023 konnte RSF 41 Übergriffe auf Medienschaffende verifizieren. Im Jahr 2022 waren es 103 und 2019, vor der Pandemie, 13 gewesen. Die meisten Angriffe im letzten Jahr ereigneten sich in Sachsen, wo es zwölf Vorfälle gab, gefolgt von Bayern (6), Berlin (5), NRW (5) und Niedersachsen (4).

Zu den 41 Fällen kommt eine hohe Dunkelziffer weiterer gewalttätiger Handlungen gegen Medienschaffende, die jedoch – meist aufgrund fehlender Zeuginnen oder Zeugen – nicht verifizierbar sind. Am häufigsten waren laut RSF Tritte und Faustschläge oder Schläge mit Gegenständen wie Fackeln oder Trommel-Schlegeln. Journalistinnen und Journalisten wurde Ausrüstung entrissen, sie wurden zu Boden gerissen, mit Sand und Steinen beworfen oder in einem Fall mit Fäkalien beschmiert.

Brutale Körperverletzung eines Journalisten in Leipzig

Auch im Internet sei es erneut zu teils massiven Drohungen gekommen, sagt Michael Rediske, Mitgründer der deutschen Sektion von RSF und amtierendes Vorstandsmitglied. Wie es aussieht, ebbt diese Welle an Gewalt auch im laufenden Jahr nicht so bald ab. „2024 startete unter anderem mit der brutalen Körperverletzung eines Journalisten am Rande einer Demonstration in Leipzig“, so Rediske.

Dort hatten nach einer Pro-Palästina-Demonstration drei Unbekannte einen Videojournalisten und seinen Begleiter so schwer verprügelt, dass der Reporter mit Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Selbst als der Journalist von Sachsen Fernsehen am Boden lag, traten die Angreifer weiter auf ihn ein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.

Häufig Täter: Rechtsextreme und "Querdenker"

Besonders auf Versammlungen ist das Niveau der Aggression laut Reporter ohne Grenzen sehr hoch, mit der Personen aus der rechtsextremen Szene und dem Querdenker-Milieu gegenüber Journalistinnen und Journalisten auftreten. Acht Fälle verifizierte die Organisation in Sachsen.

Fast die Hälfte der Gewalttaten gegen Journalisten fand laut Reporter ohne Grenzen 2023 in der verschwörungs-ideologischen oder der extrem rechten Szene statt, die auch in Sachsen sehr stark ausgeprägt sind. Beide gingen seit der Veränderung der deutschen Protestkultur durch die Pandemie fließend ineinander über. Vereint seien sie unter anderem durch ihren Hass auf die sogenannte Lügenpresse und ihre Kritik an demokratischen Prozessen.

Sorge vor Gewalt-Eskalation im Landtagswahlkampf

Zudem beobachtet Reporter ohne Grenzen eine gefährliche neue Art der Aggression: Landwirte haben kürzlich mit Trecker-Blockaden und Misthaufen die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern verhindert, so RSF-Vorstand Michael Rediske. Das zeige, dass die Freiheit, unabhängig zu berichten, hierzulande nicht nur durch Übergriffe gegen einzelne Medienschaffende bedroht sei.

„Unzufriedenheit mit einer angeblich zu geringen Berichterstattung über Bauernproteste reicht offenbar aus, um bei Angriffen gegen die Pressefreiheit die Hemmschwelle weiter zu senken“, so Rediske. Gerade vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst 2024 machen sich Medienschaffende laut RSF Sorgen: Sie rechnen mit einem aufgeheizten Klima und hoher Gewaltbereitschaft rechtsextremer Gruppen.