SZ + Freital
Merken

Als Possendorfs Traum vom Badeparadies jäh endete

Eigentlich sollten in einem 50-Meter-Becken Schwimmer ihre Bahnen ziehen können. Dann durchkreuzte eine Naturkatastrophe Pläne vom Bad im Wald.

Von Roland Kaiser
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Christian Zeibig streckt am Rand des früheren Planschbeckens, von dem nicht mehr viel zu erkennen ist, die Beine aus. Dort hatte er sich als Jugendlicher an warmen Sommertagen erfrischt.
Christian Zeibig streckt am Rand des früheren Planschbeckens, von dem nicht mehr viel zu erkennen ist, die Beine aus. Dort hatte er sich als Jugendlicher an warmen Sommertagen erfrischt. © Karl-Ludwig Oberthür

Christian Zeibig bringt die Arme über seinem Kopf in Position. Er führt das Kinn an die Brust und geht in die Hocke. Was aussieht wie die Vorbereitung für einen Kopfsprung, ist in Wirklichkeit nur der Versuch zu zeigen, welche Möglichkeiten sich den Possendorfern beinahe erschlossen hätten. Einst wollten Dorfbewohner auf einer Freifläche inmitten eines Waldstücks ein Freibad errichten. Noch heute zeugen Überreste von diesem Wunsch.

Noch heute lassen die unverkennbaren, mit grünem Moospolster ummantelten Startblöcke und die aus Steinklötzen bestehenden Wände eines 50-Meter-Beckens eine gewisse Sehnsucht wecken - die es im Ort offenbar seit der Zeit der Weimarer Republik gibt. Zumindest besagt dies die Chronik. So sei bereits 1930 zum Schulfest ein Festwagen mit der Losung "Schulbad Possendorf - Wenn wir's nur schon hätten!" durchs Dorf gerollt.

Bis zum Baubeginn sollten jedoch weitere Jahre verstreichen. Bemühungen der Gemeinde während der Hitlerzeit waren gescheitert. Nachdem der Krieg sein Ende gefunden hatte und währenddessen große Teile Europas in Schutt und Asche lagen, keimte neue Hoffnung auf in Possendorf.

Nach Kriegsende beginnt das große Schippen

Im Zuge der Bodenreform war auch der Wald eines früheren Rittergutes, durch den sich damals wie heute der Possendorfer Bach schlängelt, in kommunale Hand gelangt. Mit einem Mal bot sich die Gelegenheit, am Ufer des Wasserlaufs das langersehnte Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Vorneweg griffen schließlich der Schlosser Kurt Schober und der Böttchermeister Reinhold Christmann zum Spaten, wie das Geschichtsbuch weiter zu berichten weiß. Ihnen gefolgt seien - jedes Jahr aufs Neue - bis zu 200 Helfer verschiedener Altersgruppen.

Blick in eine verwunschene Welt: Im Wald des einstigen Possendorfer Rittergutes stoßen Wanderer auf ein 50-Meter-Schwimmbecken. Im Bereich der Startblöcke war es bis zu zwei Meter tief.
Blick in eine verwunschene Welt: Im Wald des einstigen Possendorfer Rittergutes stoßen Wanderer auf ein 50-Meter-Schwimmbecken. Im Bereich der Startblöcke war es bis zu zwei Meter tief. © Karl-Ludwig Oberthür
Altbürgermeister Christian Zeisig demonstriert, was bei einer Fertigstellung des Schwimmbades möglich gewesen wäre.
Altbürgermeister Christian Zeisig demonstriert, was bei einer Fertigstellung des Schwimmbades möglich gewesen wäre. © Karl-Ludwig Oberthür
Gleich neben Plansch- und Schwimmbecken sollte terrassenartig angeordnet eine Liegewiese geschaffen werden. Zu erkennen ist davon heute kaum noch etwas.
Gleich neben Plansch- und Schwimmbecken sollte terrassenartig angeordnet eine Liegewiese geschaffen werden. Zu erkennen ist davon heute kaum noch etwas. © Karl-Ludwig Oberthür
Daheim wälzt der 83-Jährige gern die Possendorfer Chronik, die auch Auskunft über die Geschichte des von einem Hochwasser zerstörten Freibades gibt.
Daheim wälzt der 83-Jährige gern die Possendorfer Chronik, die auch Auskunft über die Geschichte des von einem Hochwasser zerstörten Freibades gibt. © Karl-Ludwig Oberthür
Mit dem Ruhestand erhielt ein Hobby neue Aufmerksamkeit: Christian Zeibig ist leidenschaftlicher Drechsler. Aus Holz fertigt er unter anderem Figuren an, die er auch gern verschenkt.
Mit dem Ruhestand erhielt ein Hobby neue Aufmerksamkeit: Christian Zeibig ist leidenschaftlicher Drechsler. Aus Holz fertigt er unter anderem Figuren an, die er auch gern verschenkt. © Karl-Ludwig Oberthür

"Damals war ich noch recht jung, als der Start erfolgte", erzählt Christian Zeibig. Der gelernte Schriftsetzer, späterer Sportlehrer und Bürgermeister kann sich zwar nicht mehr an jedes Detail erinnern. Allerdings weiß er noch, wie er sich als Jugendlicher an warmen Sommertagen gleich nebenan in einem lediglich 60 Zentimeter tiefen Planschbecken abkühlte.

Das 200 Quadratmeter messende Bassin ist Teil des geplanten Freibades am Possendorfer Ortsrand, für das deren Schöpfer ebenso eine terrassenförmig angelegte Liegewiese, Umkleidekabinen, ein Spielplatz, eine Sanitäranlage sowie eine Kantine vorsahen.

Böses Erwachen auf der Zielgeraden

Dort, wo jetzt ein Wanderweg durch den wildromantischen Forst führt, lässt sich außer den beiden Becken nichts von all den anderen Dingen ausmachen. Der Grund dafür ist im Jahr 1958 zu suchen.

Nachdem die Mauerarbeiten abgeschlossen und bis dato bereits Tausende freiwillige Arbeitsstunden erbracht waren, sollte eigentlich die Aufnahme des provisorischen Badbetriebes in Angriff genommen werden. In dem Waldstück hatten die Menschen einen echten Wert geschaffen. Etwa 60.000 Mark waren an Ort und Stelle verbaut worden.

Dass eine Naturkatastrophe die ehrgeizigen Pläne jäh durchkreuzen könnte, damit rechnete in dem Moment wohl niemand. Kurz bevor zum ersten gemeinsamen Baden getrommelt werden konnte, wälzte sich ein Hochwasser durch das frisch errichtete Freibad.

Es kam zum Dammbruch und Einsturz eines Mauerteils im großen Schwimmbecken - vermutlich aufgrund eines Baufehlers. "Die Beckenwand war an der Stelle mit der restlichen Konstruktion nicht verzahnt und wurde daher aufgrund der Kraft des Wassers einfach weggedrückt", erklärt sich Christian Zeibig den angerichteten Schaden.

Danach gelang es laut der Chronik nicht, diesen vollends zu beheben. Elf Jahre nach dem ersten Spatenstich mussten sich die Possendorfer von ihrem Traum vom Bad unter freiem Himmel wieder verabschieden.

"Die Beseitigung der Hochwasserschäden war so groß, dass eine Selbsthilfe unmöglich wurde", liest Christian Zeibig vor. "Baukapazität und Baumaterial durch den Kreis konnten nicht gegeben werden."

Schwimmbecken werden zur Aufzuchtstation

Zudem sei die Wasserzufuhr technisch unvollkommen gewesen. "Die Rohrleitung verstopfte durch Pflanzenwuchs." Schließlich habe vor all dem Hintergrund das Interesse am Badbau unter der Einwohnerschaft rapide nachgelassen.

Eine Renaissance erlebte das Beckenareal dann doch noch - allerdings in anderer Form. Nachdem es gelang, in 300 Arbeitsstunden den Damm abzudichten, wurden an Ort und Stelle über mehrere Jahre hinweg Karpfen ausgesetzt.

Um die Wasserbewohner kümmerte sich zwischenzeitlich auch Christian Zeibig. "Die Schule verfügte damals noch über eine eigene Küche und die bereitete hin und wieder Fischgerichte zu", weiß er zu erzählen. "Da lag es nahe, auf eine eigene Zucht zurückzugreifen."

So erhielt der Sportlehrer, der leidenschaftlich gern Geräteturnen unterrichtete, vom Schuldirektor die Aufgabe, in den Überresten des Freibades die Tiere zu füttern. "Das waren herrliche Fische", sagt der 83-Jährige. "Die wurden zum Teil auch verkauft." Weil das mit dem Futter geben tadellos funktionierte, bekam das Possendorfer Urgestein sogar eine Prämie.

Jahrzehnte später schaut Christian Zeibig auf eine erlebnisreiche Zeit am Ufer des Possendorfer Bachs zurück. Mittlerweile hat sich die Natur den Badepark im ehemaligen Rittergutswald einverleibt. Bäume und Geäst liegen im großen Schwimmbecken. Im Planschbassin wachsen verschiedene Pflanzen.

Mittlerweile befindet sich die Fläche wieder in Privatbesitz. Die Gemeinde verfolge auf dieser keine Pläne, wie Bürgermeister Heiko Wersig (parteilos) wissen ließ. Aufgrund der Eigentumsverhältnisse sowie der Lage sehe er keine Perspektive für einen künftigen Badespaß unter Baumwipfeln.

"Vielmehr würde ich gerne in diesem Jahr versuchen, das Wasser vom Possendorfer Teichfliegen zumindest in der ersten Sommerferienwoche noch für die Ferienkinder nachzunutzen", erklärt das Gemeindeoberhaupt mit Blick auf einen umfunktionierten Feuerlöschteich in der Ortsmitte. "Jedoch haben wir hier in puncto Dichtigkeit des Beckens, den Anforderungen des Gesundheitsamtes zur Hygiene sowie der Absicherung durch einen Rettungsschwimmer einige Hausaufgaben zu erledigen."