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Wohnungsverbände in der Misere

Leerstände auf dem Land und Anforderungen der Energiewende stellen die Vermieter im Osten Deutschlands auf die Probe. Helfen soll die Bundesregierung.

Von Sven Heitkamp & Fionn Klose
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Die Wohnungswirtschaft im Osten braucht eine Sonderlösung: Statt auf den Neubau von Wohnungen zu setzen, solle sich der Bund auf den Bestand konzentrieren und die Wohnungswirtschaft unterstützen.
Die Wohnungswirtschaft im Osten braucht eine Sonderlösung: Statt auf den Neubau von Wohnungen zu setzen, solle sich der Bund auf den Bestand konzentrieren und die Wohnungswirtschaft unterstützen. © dpa/ Jan Woitas

Während Sachsens Großstädte weiter wachsen und Wohnungen zur teuren Mangelware geworden sind, häufen sich in ländlichen Regionen im Osten ganz andere Hiobsbotschaften: Die Bevölkerung schrumpft weiter, die Leerstände steigen, der Sanierungsstau wächst. Die Harzer Kleinstadt Thale etwa hat angesichts von 50 Prozent Leerstand ihre gesamten Wohnungen an ein bayrisches Unternehmen verkauft, weil sie sich nicht mehr in der Lage sah, die Wohnungen zu halten.

Auch andere Städte veräußern Teile ihres Bestandes. Wohnungsgenossenschaften und Verbände Mitteldeutschlands gingen deshalb am Dienstag vor die Presse, um Alarm zu schlagen. „Die sozial orientierten Unternehmen der Wohnungswirtschaft erleben die schwierigste Situation der letzten 30 Jahre“, sagte Mirjam Philipp, Vorständin beim Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG,) in Leipzig. Die Wohnungswirtschaft leide unter explodierenden Energiepreisen, Inflation, dem Zinsanstieg, hohen Baukosten und einer „fehlgeleiteten Fördermittelpolitik des Bundes“. 100.000 Wohnungen der Verbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen würden leer stehen, davon 26.000 in Sachsen. Und jedes Jahr kämen rund 1.000 hinzu.

Prognosen würden einen weiteren Rückgang der Bevölkerung bis 2035 um bis zu 20 Prozent in strukturschwachen Regionen vorhersagen. „Dies führt zum weiteren Anstieg leer stehender Wohnungen, dem nur durch Rückbau und Investitionen in zukunftsfähige Bestände begegnet werden kann“, sagte Jens Zillmann, Verbandsdirektor der Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt. Der Bund müsse die von der Bauministerkonferenz vor einem Jahr geforderte Verdoppelung der Städtebauförderung auf 1,5 Milliarden Euro endlich umsetzen, um den nötigen Wohnungsabriss zu ermöglichen.

Vor allem aber fordern die organisierten Vermieter eine bessere Unterstützung der Bundesregierung bei der Energiewende in ihren Beständen, zu denen sie gesetzlich verpflichtet seien. „Zurzeit wird die Spirale des Irrsinns immer weitergedreht“, kritisierte VSWG-Vorständin Philipp. Die Wünsche des Bundes müssten auch erfüllbar sein. Doch die Politik zeige eine „fatale Ignoranz“ und „unfaire Realitätsverweigerung“ gegenüber der ostdeutschen Wohnungswirtschaft. Statt auf den Neubau von 400.000 Wohnungen zu setzen, solle sich der Bund auf den Bestand konzentrieren und die Wohnungswirtschaft unterstützen.

Mehr als 80 Prozent der 43 Millionen Wohnungen in Deutschland würden noch mit Gas, Heizöl und Fernwärme aus fossilen Energien beheizt, sagt Rainer Seifert, Direktor im Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Sachsen. Wollte man zwei Drittel des Bestandes auf klimafreundliche Technologien umrüsten, seien Investitionen von 286 Milliarden Euro nötig – mindestens 28 Milliarden Euro jährlich. Doch die Kosten seien bislang nicht geklärt. Ein Drittel davon müsse der Bund tragen, ein Drittel könnten die Eigentümer übernehmen und ein Drittel müsse im Laufe der Jahre auf die Mieter umgelegt werden. Daneben müsse es der Wohnungswirtschaft ermöglicht werden, Solaranlagen auf Dächer zu bauen und den Strom preisgünstig an Mieter abzugeben, ohne dass die Eigentümer gleich zu Energieunternehmen gemacht würden. „Es muss deutliche Erleichterungen geben“, sagt Seifert. „Gute Lösungen gibt es.“

Zugleich offenbarte eine neue Studie, dass sich die nun in Rente gehende Generation der „Babyboomer“ auf einen Mangel an seniorengerechten Wohnungen einstellen müsse. Schon heute fehlten in Deutschland 2,2 Millionen Wohnungen, in denen ältere Menschen mit einem Rollator und Rollstuhl klarkommen, und der Bedarf wachse weiter, sagte Matthias Günther, Studienleiter des Pestel-Instituts, auf der Messe „Bau“ in München.

Zugleich könnten viele Rentner die steigenden Mieten und Wohnkosten kaum noch bezahlen. Deutschland sei daher auf dem besten Weg in eine „graue Wohnungsnot“. Trotzdem bremse der Bund den altersgerechten Umbau von Wohnungen aus. Nötig sei ein Förderprogramm von mindestens einer halben Milliarde Euro im Jahr. In Sachsen sei die Lage allerdings noch nicht so prekär. „Vor allem die kommunalen Vermieter und Wohnungsgenossenschaften sind beim barrierefreien Ausbau, wie zum Beispiel beim Bau von Fahrstühlen, gut aufgestellt“, sagte Günther der SZ. „Allerdings leben gerade im ländlichen Raum viele Senioren in Einfamilienhäusern, von denen viele weder energetisch saniert noch seniorengerecht umgebaut sind.“ Laut den Prognosen würden in Sachsen bis 2040 etwa 160.000 altersgerechte Wohnungen benötigt.