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Zoo-Hamster für die freie Wildbahn

Leipziger Tierpfleger züchten seit zwei Jahren die fast ausgestorbenen Feldhamster. Im Mai sollen die Tiere dann in Nordsachsen ausgewildert werden.

Von Sven Heitkamp
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Aus dem Zoo in die Freiheit: Mitte Mai werden rund 70 Feldhamster rings um Delitzsch bei Leipzig ausgesetzt.
Aus dem Zoo in die Freiheit: Mitte Mai werden rund 70 Feldhamster rings um Delitzsch bei Leipzig ausgesetzt. © Uwe Anspach/dpa

Normalerweise macht Leipzigs Zoo vor allem mit Elefanten, Löwen und Affen Furore – doch nun auch als neue Heimat für Feldhamster. Die Pfleger haben vor zwei Jahren begonnen, für sie in einem versteckten Nebengebäude eine Zuchtstation aufzubauen. Mittlerweile stehen dort mehr als 500 Käfige, die mit Kunststoffröhren verbunden sind. Aufgereiht in langen Regalen leben dort 190 Verwandte des Goldhamsters, von denen einige auf freiem Feld angesiedelt werden sollen.

Mitte Mai werden rund 70 Tiere auf Flächen rings um Delitzsch ausgesetzt, um sie der Natur zurückzubringen. Denn der einst weit verbreitete, als Schädling gejagte Ackerlandbewohner ist heute die am stärksten vom Aussterben bedrohte Säugetierart in Deutschland. Im Raum Delitzsch als letztem Vorkommen in Sachsen gab es 2016 noch 500 Hamster-Baue, 2019 jedoch nur noch einen. Seit 2020 gibt es auch im letzten sächsischen Vorkommensgebiet keine Nachweise mehr. Als Ursachen für den Spitzenplatz auf der Roten Liste gelten vor allem der hohe Flächenverbrauch, die intensivierte Landwirtschaft und der Klimawandel.

Nun wollen die Zoologen die gezüchteten Feldhamster, die von Artgenossen aus Thüringen und Sachsen-Anhalt abstammen, wieder auswildern. Für den Feldversuch ist eine fünf Hektar große Fläche mit verschiedenen Blühstreifen und vorgebohrten Löchern vorgesehen. Das Areal wird mit Elektrozäunen begrenzt, damit die unerfahrenen Tiere nicht sofort von Füchsen, Dachsen und anderen Feinden gefressen werden. Netze sollen zudem Rotmilane, Mäusebussarde und andere Greifvögel aus dem Refugium abhalten, um die Wiederansiedlung der ersten Generation nicht zu gefährden. Zudem wurde mit den rund 25 Landwirten in der Region gesprochen, damit sie ihre Anbauweisen für die Hamster anpassen und gute Bedingungen für eine sich selbst erhaltende Population schaffen. Die Bauern sollen unter anderem Streifen bei der Ernte aussparen, den Stoppelumbruch später vornehmen, mehr Blühstreifen anlegen, Zwischenfrüchte und Wintergetreide anbauen und so Gefährdungen der Tiere reduzieren. Dafür erhalten sie vom Freistaat sogar Ausgleichszahlungen.

Einst weit verbreitet und als Schädling verfolgt, ist der Feldhamster heute eines der am stärksten vom Aussterben bedrohten Säugetiere Deutschlands.
Einst weit verbreitet und als Schädling verfolgt, ist der Feldhamster heute eines der am stärksten vom Aussterben bedrohten Säugetiere Deutschlands. © dpa/Hendrik Schmidt

Einige Hamster-Flächen sollen auch im Besitz des Landes, der Kommunen und Verbände sein. Etwas mehr als die Hälfte der 70 Tiere, die nun ausgesetzt werden und dabei individuelle Mikrochips tragen, sind Weibchen. Wenn Sie ausgesetzt werden, ist Paarungszeit. Und wenn alles gut läuft, bekommen sie im Durchschnitt nach drei Wochen sechs bis zehn Jungtiere. Damit könnte der Grundstock für eine neue Population gelegt werden. Allerdings werden die Tiere nur etwa drei Jahre alt. Daher sollen in den nächsten Jahren in jedem Frühling neue Tiere ausgewildert werden.

Der Freistaat hat eigens einen Arbeitskreis „Feldhamsterschutz“ eingerichtet und eine Strategie bis 2035 erstellt, die am Freitag zum Welttag des Hamsters vorgestellt wurde. „Der Feldhamster ist mehr als ein possierliches Tier“, betonte Umwelt- und Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne). „Er steht für eine vielfältige Kulturlandschaft, für naturverträglichen Ackerbau und für ein ganzes Ökosystem.“ Ziel sei es, den Steppenbewohner als Botschafter für eine naturverträgliche Landwirtschaft und als Repräsentant für das Ökosystem Acker zu etablieren, in dem viele andere Tier- und Pflanzenarten ebenfalls selten geworden sind.

Der Zoo ist darauf eingestellt, noch viele Jahre Feldhamster zu züchten, um sie auch in anderen Regionen Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalts anzusiedeln. Es gehe darum, die Biodiversität und damit Lebensräume für Menschen zu erhalten, sagte Zoochef Jörg Junhold. Dass die Leittierart kaum noch nachweisbar sei, sei ein Alarmzeichen. Nun gelte es, die Daumen zu drücken, dass sich die Bestände erholen können.

Der Zoo hatte vor zwei Jahren mit 47 Gründungstieren aus Thüringen und Sachsen-Anhalt die Zucht begonnen. 2023 wurden bereits 146 Jungtiere von 19 Weibchen gezählt, berichtete Seniorkurator Ariel Jacken. Auch andere Zoos etwa in Berlin, Osnabrück und Heidelberg züchten bereits Feldhamster.