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Sachsens einzige Kamille-Felder

Nur noch ein Betrieb in Linz baut im Freistaat diese Kräuterpflanze an. Er hat etwas von einer Startup-Firma.

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© Kristin Richter

Von Jörg Richter

Schönfeld. Schneeweiße Felder zu Beginn des Som mers. Dieser Anblick ist in Sachsen selten geworden. Nur noch im Nordosten des Landkreises Meißen kann man dieses Naturschauspiel bewundern. Und das auch nur noch kurze Zeit. Denn die Kamille-Ernte ist im vollen Gang. Spezialmaschinen, die an Mähdrescher erinnern, pflücken die weiße Blütenpracht rings um den kleinen Ort Linz, nahe der Landesgrenze nach Brandenburg. Hier gibt es die typischen mageren Böden der Großenhainer Pflege.

Evelin Richter kontrolliert an der Siebtrommel, dass die Blüten vom feuchten Grün der Pflanzen getrennt werden. Danach werden die Blüten getrocknet.
Evelin Richter kontrolliert an der Siebtrommel, dass die Blüten vom feuchten Grün der Pflanzen getrennt werden. Danach werden die Blüten getrocknet. © Kristin Richter

„Kamille mag diese Böden. Deshalb wurde sie auch schon früher hier angebaut“, erzählt Gerald Müller, der Geschäftsführer der Sachsenland Öko-Landbau GbR Linz. Und nicht ohne Stolz fügt er hinzu: „Wir sind die Einzigen in Sachsen, die Kamille noch anbauen.“ Einst hatten hierzulande auch Bauern in Hainichen und Bockelwitz bei Leisnig diese Heilpflanze auf ihren Feldern stehen. Doch das ist längst vorbei. „Wer einmal aufhört, fängt nicht wieder damit an“, sagt Müller und bedauert: „Da geht eine Menge Wissen verloren.“

Er selbst profitiert von den Erfahrungen der ehemaligen LPG Linz. Bereits seit den 60er Jahren machten die hiesigen Landwirte aus der Not eine Tugend und widmeten sich dieser selten gewordenen Kulturpflanze, die heute deutschlandweit nur noch auf schätzungsweise 1 200 Hektar angebaut wird.

In der freien Natur kaum noch zu finden

Die Kamille ist eine der beliebtesten Heilpflanzen. Sie lindert vor allem Magen- und Darmbeschwerden und wird auch bei Entzündungen verwendet.

Die ursprüngliche Heimat der Echten Kamille ist Vorderasien, Süd- und Osteuropa. Heute ist sie in ganz Europa sowie in Nordamerika und Australien verbreitet.

Sie wächst auf Äckern und auf Ödland, bevorzugt auf frischen, nährstoffreichen, eher humosen Lehm- und Tonböden.

Die Frühjahrskamille wird normalerweise ab dem 23. Mai gepflückt. Wegen des Kälteeinbruchs im Frühjahr begann die Ernte dieses Jahr etwas später. Denn dafür braucht es Sonne. Es gibt aber auch eine Herbstkamille.

Leider ist die Kamille in der freien Natur kaum noch anzutreffen, weil sie die Nähe von Getreidefeldern liebt, dort aber bekämpft wird.

Quelle: u.a. Wikipedia

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Mit rund 1 000 Hektar ist Thüringen ganz klar das Kamille-Bundesland Nummer eins vor Sachsen und Hessen. In Thüringen gibt es zwei größere Agrargenossenschaften, die um die Marktführerschaft konkurrieren. „Aber sie bewirtschaften die Kamille konventionell“, sagt Müllers Ehefrau Ilona, die in einer Liegaer Lagerhalle die Traktorladungen entgegennimmt und auf einem Fließband Unkräuter, wie Mohn- und Kornblumen, per Hand aussortiert. Die Thüringer setzen chemische Pflanzenschutzmittel ein. Darauf verzichten die Linzer komplett. Deshalb dürfen sie sich auch Biobetrieb nennen.

Im Vergleich zu den Thüringer Kamille-Bauern sind die Linzer mit 80 Hektar ein kleiner Betrieb. Aber es wird von Jahr zu Jahr mehr Anbaufläche. „Wir haben 1993 mit nur fünf Hektar angefangen“, erzählt Gerald Müller. Er und seine drei bis vier Mitarbeiter vertrauen dabei auf die DDR-Sorte „Bodegold“. Und auch die Maschinen, mit denen die Kamille gepflückt wird, sind nach wie vor „Made in GDR“. Um genauer zu sein: „Made in Linz“. Eine hiesige Schlosserei hatte in den 70er Jahren auf Grundlage der Fortschritt-Baureihe eine selbstfahrende Kamille-Pflückmaschine entwickelt. Nur 15 Stück vom Typ „Linz III“ sind gebaut worden. Zwei davon verrichten noch heute in der Sachsenland Öko-Landbau GbR ihren Dienst.

Den alten Maschinen kommt zu Gute, dass Kamille nur bei schönem Wetter gepflückt wird. Erst nach dem Mittag, wenn die Sonne die ätherischen Öle der Kamilleblüten entfacht, fahren die Linz-Maschinen los, um die weißen Wiesen abzuernten.

Die Mühe scheint sich zu lohnen. Die Linzer Biokamille ist mittlerweile bei Teeproduzenten und Naturheilmittel-Herstellern beliebt. Doch von nichts kommt nichts. Gerald Müller ist viel auf Spezialmessen für Bioprodukte unterwegs, um die Qualität der Linzer Kamille weiter bekannt zu machen. „Man braucht Engagement und Stehvermögen“, sagt er und vergleicht es mit einem neumodischen Start-up-Unternehmen. „Auch sie fangen klein an und müssen erst mal Kundschaft ergattern.“