Merken

Sachsens erste waffenfreie Zone

Leipzigs Eisenbahnstraße soll sicherer werden. Die Opposition kritisiert das Verbot.

Teilen
Folgen
NEU!
© imago/Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Plötzlich steht „Messer-Müller“ im Brennpunkt des politischen Geschehens: Der alteingesessene Familienbetrieb für Klingen aller Art liegt jetzt ausgerechnet mitten in der ersten Waffenverbotszone Sachsens, die am Montag offiziell eingerichtet wurde. Damit sind in dem Areal an der Leipziger Eisenbahnstraße nicht nur Schusswaffen, Baseballschläger und Elektroschocker, sondern auch alle Arten von Messern, Äxten und Stichwaffen verboten.

Ein gewaltiges Problem für Rolf Müller und seine Frau Annelis. Spontan entern daher Innenminister Roland Wöller (CDU), Polizeipräsident Bernd Merbitz und Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nach ihrem Pressetermin das Geschäft, in dem Messer nicht nur verkauft, sondern auch geschliffen werden. Der 75-jährige Inhaber redet frei heraus: „Ein paar Sachen sind nicht in Ordnung“, sagt er. „Ich wüsste gern, was ich überhaupt noch machen darf, und wie ich meine Kunden beraten kann.“ Polizeichef Merbitz versucht es mit einer kurzen Antwort: Gut verpackte Messer, die zu Ladenöffnungszeiten vorbeigebracht werden, seien weiterhin kein Problem – anders als etwa lange Stichwaffen, die nachts um 2 Uhr offen herumgetragen werden.

Das Viertel an der Eisenbahnstraße, in dem sehr viele Nationalitäten zusammenleben, gilt als Kriminalitätsschwerpunkt, an dem gehäuft Straftaten mit Waffen begangen werden. Der Schusswechsel der „Hells Angels“ mit einem Toten spielte sich dort ebenso ab wie andere Revierkämpfe mit Schwerverletzten. Im Bereich Eisenbahnstraße und dem Stadtteilpark Rabet habe es voriges Jahr 600 Straftaten gegeben, darunter viele Gewaltdelikte, sagt Merbitz. 2016 zählten Ermittler sechs Straftaten gegen das Leben, 200 Körperverletzungen, 150 Drogendelikte, 55 Raubstraftaten, 44 Bedrohungen und 13 Sexualdelikte. Dutzende Angriffe seien mit Messern verübt worden.

Die Polizei werde nun zusammen mit Ordnungshütern der Stadt Leipzig mit mehr Personal auf der Straße sein und mehr Kontrollen durchführen. „Wir werden mit Fingerspitzengefühl vorgehen – das ist keine Frage der Hautfarbe“, betonte Merbitz. In der Waffenverbotszone dürfen Polizisten auffällige, verdächtige Passanten ohne Anlass kontrollieren und auch in ihre Taschen sehen – was sonst nicht statthaft ist. Rund 30 Schilder werden an allen Zugangsstraßen aufgestellt.

Das Kabinett hatte den Weg zur Einrichtung solcher Waffenverbotszonen schon im August 2017 beschlossen. Die Umsetzung habe aber bis jetzt gedauert, um mit allen Betroffenen zu reden. „Mit der Einrichtung der Waffenverbotszone wollen wir die Sicherheit der Bürger im Viertel erhöhen“, sagt Minister Wöller. Die Zone sei kein Allheilmittel, aber sie reihe sich ein in ein Bündel von Maßnahmen. „Niemand muss auf Leipzigs Straßen eine Waffe tragen“, betont Wöller. Das Gewaltmonopol liege allein beim Staat. Verstöße gegen die Regeln würden konsequent geahndet, mit Bußgeldern bis zu 10 000 Euro.

Für Sicherheitsdienste, aber auch Handwerker, Gastronomen und Anwohner gelten Ausnahmen – wie auch für „Messer-Müller“. Das Ehepaar im Rentenalter fühlt sich trotz aller Aufregungen im Viertel nach wie vor wohl. „Wir gehen öfter abends spazieren und halten ein Schwätzchen mit den Leuten, egal welcher Nationalität“, sagt Rolf Müller, und seine Frau ergänzt: „Diejenigen, die in der Straßenbahn aufstehen und einen Sitzplatz freimachen, sind meistens die Migranten.“

Während das erste Waffenverbotsschild symbolisch enthüllt wurde, protestierten einige Leipziger gegen die Maßnahme und schlichen mit Pappmessern und Pappwaffen um den Pressetermin herum. Sie werfen der Politik eine Stigmatisierung ihres Wohnviertels und von Migranten vor. „Hier entsteht eine rassistische Kontrollzone“ steht auf einem Pappschild. Auch die Opposition kritisiert das Vorgehen als Symbolpolitik, als Stimmungsmache und ein „Sicherheits-Placebo“. Waffen würden wegen solcher Verbote nicht verschwinden, kritisiert Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann. „Ich möchte nicht, dass aus politischer Stimmungsmache Bürgerrechte aufgeben werden.“