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Schlachthof-Ideen liegen auf Eis

Investoren für das Projekt in Görlitz fehlen, die Planer sind abgesprungen. Nur der Schulgarten lebt. Und die Idee vom Brautwiesenbogen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Görlitz. Norman Weickert ist noch da. „Mit den Waldorfkindern haben wir begonnen, den Schulgarten in einem Hinterhof auf der Rauschwalder Straße anzulegen“, sagt der 30-Jährige. Ein Lehrer und zwölf bis 15 Kinder der achten und neunten Klasse haben Totholz-Hecken gebaut, Wege freigelegt, ein Tor errichtet, die erste Hälfte des Gartens umgegraben. „Als Nächstes kann die Erde gesiebt werden“, sagt er. Das benötigte Werkzeug kommt von der Waldorfschule und aus privaten Spenden, zu guten Teilen vom Schrotthandel Borrmann. Strom und Wasser hingegen gibt es nicht.

Der Schulgarten ist Teil des Schlachthof-Projektes – der einzige Teil, der noch mit Leben erfüllt ist. Der Rest liegt auf Eis. Norman Weickert hat nur noch drei Mitstreiter. Dabei gab es voriges Jahr vielversprechende Ideen für das 40000 Quadratmeter – also fast sechs Fußballfelder – große Gelände. Ein Quartier zum Wohnen und Arbeiten sollte hier entstehen. In nächster Nähe sollte es alles geben: Wohnungen, Büros, Werkstätten, einen Tante-Emma-Laden, ein Restaurant, einen Festsaal, ein Gesundheitszentrum – und sogar einen landwirtschaftlichen Betrieb, der den Laden und das Restaurant beliefert. Eine Schallschutzwand sollte für Ruhe, Solarthermie für Wärme, ein Brunnen und ein Regenwasserrückhalt für Wasser sorgen.

So jedenfalls stellte sich Hans-Friedrich Bültmann die Zukunft der seit fast 20 Jahren zum Großteil ungenutzten Industriebrache vor. Der 69-jährige Sozialplaner und unabhängige Projektentwickler ist Geschäftsführer im Institut für Kommunal- und Umweltplanung (IKU). Aus seiner Heimatstadt Bielefeld brachte Bültmann zahlreiche Erfahrungen bei der erfolgreichen Entwicklung von Quartieren mit. Und er war zuversichtlich, dass sich die im Laufe seines Berufslebens gesammelten Erfahrungen auf Görlitz übertragen lassen.

Das hat offenbar nicht geklappt: Bültmann hat die erste Stufe der Projektentwicklung abgeschlossen – und sich dann mehr oder weniger zurückgezogen. Für Nachfragen war er in den vergangenen Tagen nicht erreichbar. Das IKU-Büro am Leipziger Platz existiert nicht mehr. Bültmanns damaliger Büroleiter Thomas Müller, der sich vor Ort um alles gekümmert hat, ist im Mai ebenfalls aus dem Projekt ausgestiegen. „Ich habe in den letzten vier Monaten ohne Bezahlung gearbeitet.“ Das sei eigentlich viel zu viel gewesen. Doch er habe lange die Hoffnung gehabt, dass es irgendwie weitergeht. Das würde er sich bis heute wünschen: „Aber von irgendwas muss ich ja leben.“

Das Hauptproblem des Schlachthof-Geländes: Es haben sich keine Investoren für die Ideen gewinnen lassen. Eigentümer des Schlachthofes ist die Landeskrone Fleisch GmbH in Osnabrück. Geschäftsführer Franz-Josef Gausepohl hat hinsichtlich seiner Ziele von Anfang an mit offenen Karten gespielt: Er wollte kleinteilig verkaufen und somit seine Kosten wieder reinholen. Dass er damit nicht reich wird, war ihm immer bewusst. „Wir wollen etwas anstoßen, was sich am Ende selbst trägt und nachhaltig positiv für die Stadt ist“, sagt er. Bültmann habe in seinem Auftrag gehandelt und für sein Konzept Geld von ihm erhalten. „Leider ist das Geld wohl in den Sand gesetzt“, sagt Gausepohl jetzt. Über die Summe möchte er nicht sprechen.

Er hält daran fest, das Gelände zu beleben – in welcher Form auch immer. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen – er will nichts ausschließen: „Hauptsache, es kommt geordnetes Leben rein.“ Und Hauptsache, er kann die Flächen verkaufen. Mit der Stadt sei er unregelmäßig im Gespräch: „Die Frist für die Beantragung von Geldern aus dem städtischen Projekt Brautwiesenbogen habe ich aber verstreichen lassen.“

Dafür hatte die Stadt 8,1 Millionen Euro europäische Fördermittel aus dem Efre-Programm bewilligt bekommen. Mit dem Geld soll in einigen Jahren ein großer Grüngürtel angelegt werden – vom Bahnhof bis zur Reichenbacher Straße und weiter über Weiße Mauer und Schlachthof bis zum früheren Waggonbaugelände im Werk I. Auch Norman Weickert hat kein Geld beantragt. Hartmut Wilke, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung, sieht den Brautwiesenbogen insgesamt dennoch nicht in Gefahr. Dessen Schwerpunkt liege entlang der Bahntrasse und im Schwenk bis zur Cottbuser Straße. „Klar, das Schlachthof-Gelände stellt die Verbindung zum alten Waggonbau-Werk I dar“, sagt Wilke: „Funktionieren würde es aber auch ohne Schlachthof.“ Die einzelnen Bausteine des Brautwiesenbogens seien finanziell auch noch nicht untersetzt. Letztlich brauche es einen Eigentümer, der mitspielt.

Gausepohl will ein solcher sein. „Einen Radweg über das Gelände kann ich mir gut vorstellen“, sagt er. Er arbeite momentan mit einem anderen Partner aus Dresden zusammen, der sich um den Schlachthof kümmert. Greifbare Ergebnisse habe aber auch er noch nicht vorzuweisen. Und auch Norman Weickert sieht die Zukunft nicht pessimistisch. „Bei uns ist momentan nur die Arbeitsgruppe Landwirtschaft aktiv, aber die anderen AGs und Menschen wären alle noch zur Stelle, wenn es weiterginge.“ Für das Gelände interessieren sich nicht nur die Waldorfkinder, sondern es tauchen auch immer mehr Kinder aus dem Viertel auf, die gern mitmachen wollen. Norman Weickert würde sie gern integrieren, aber rechtlich und versicherungstechnisch ist das schwierig: „Wir sind nur vier Privatpersonen, die sich hier um alles kümmern.“ Um etwas mit den Kindern machen zu können, müsste sich ein Verein oder sonstiger Träger finden. Auf ein Wort