Merken

Schmerz lass nach

Patienten mit chronischen Schmerzen leiden nicht nur körperlich. Im Klinikum Freital werden sie speziell behandelt.

Teilen
Folgen
NEU!
© Andreas Weihs

Von Andrea Schawe

Freital. Yoga hilft gegen den Schmerz. Genauso wie Qigong und Thai Chi. Das steht auf dem bunten Stundenplan der Patienten von Frank Hessler. Der Anästhesist ist Oberarzt an den Helios Weißeritztal-Kliniken in Freital, spezialisiert auf Schmerztherapie. Das Freitaler Klinikum hat sich – neben der Behandlung von akuten Schmerzpatienten – auf die sogenannte multimodale Schmerztherapie spezialisiert: eine umfassende Behandlung, bei der Patienten mit chronischen Schmerzen stationär aufgenommen werden. Ab Herbst 2016 wird das Spektrum noch um eine Schmerztagesklinik erweitert.

Frank Hessler hat die stationäre Schmerztherapie im Freitaler Klinikum seit 2013 aufgebaut. Er hilft etwa bei chronischen Rückenschmerzen. Der Körper versucht, Schmerzen zu vermeiden. „Somit kommt es zur Schonhaltung mit Abbau von Muskulatur, Bindegewebe wächst unkoordiniert ein“, erklärt Hessler. „Das ist jedoch schmerzempfindlicher und kann die Funktion der Muskulatur nicht ersetzen.“

Andere Muskeln und Gewebe versuchen zu kompensieren, was jedoch zu Überlastung mit Verspannung und teilweise auch Nerveneinengung führt. Um die Schmerzen zu mindern, muss das Bindegewebe bearbeitet und die Muskulatur wieder aufgebaut werden. „Schmerzen verhindern jedoch den Aufbau von Muskeln in diesem Gebiet“, sagt der Mediziner. Deswegen beginnt die Therapie „von hinten“. „Wir stärken erst den Beckenboden und die schrägen Bauchmuskeln und gehen dann in die tiefere Muskulatur.“ Yoga und Co. eignen sich dafür gut. Dazu kommen Dehnungsübungen, Entspannung und spiraldynamische Übungen zur Körperwahrnehmung, mit denen die Fehlhaltung korrigiert wird.

Neben Schmerztherapeuten arbeiten auch Physio- und Ergotherapeuten mit den Patienten, dazu gibt es Musik- und Kunsttherapien. Außerdem gehören ein Sozialarbeiter und Ernährungsberater zum Team. Gesunde Ernährung sei genauso wichtig wie die richtige Körperhaltung, weil eine ungünstige Ernährung, wie auch Stress, Entzündungsreaktionen im Körper hervorrufen kann, so Hessler.

„Einen hohen Stellenwert hat auch die Psychotherapie“, sagt Hessler. Er hat zwei Therapeuten in seinem Team, für den Aufbau der Tagesklinik wird noch ein weiterer Psychotherapeut gesucht. Neben sogenannten Schmerzbewältigungsgruppen behandeln sie auch die „sprichwörtliche Angst im Nacken“ oder schmerzverstärkendes Verhalten, sagt Hessler. „Je emotionaler ein Schmerz wahrgenommen wird, umso eher chronifiziert er.“ Aber ständiger Schmerz verändere auch die Psyche. Viele Patienten ziehen sich zurück.

Eine Schonhaltung verändert jedoch auch das Gehirn, sodass die Bewegungen in dieser Körperregion bald weniger gut ausgeführt werden können bis hin zum Verlust der Körperwahrnehmung. „Die rein gedankliche Bewegungsanbahnung bessert somit nicht nur die Funktion, sondern auch die Schmerzen und Körperwahrnehmung“, erklärt der Mediziner.

Gleichzeitig können Emotionen auch eine der Ursachen für chronische Schmerzen sein. „Einerseits kann das Gehirn nicht unterscheiden zwischen Gewebeschmerzen und emotionalen Schmerzen“, sagt Hessler. Zum anderen führen nicht verarbeitete Gefühle dazu, dass sich das Gewebe zusammenzieht – und schmerzt. „Ständige Schmerzreize brennen sich in das Gehirn ein, das sogenannte Schmerzgedächtnis entsteht“, sagt Hessler.

Die multimodale Therapie dauert drei Wochen, maximal acht Patienten nimmt die Klinik pro Gruppe auf. Behandelt werden Patienten mit dauerhaften Rücken- oder Kopfschmerzen und anhaltenden Schmerzen im Bewegungsapparat. „Manche Patienten leiden auch ohne hinreichend erklärenden Befund an Schmerzen.“ Einige der Patienten sind erst Mitte 20, der Großteil aber älter. Sie werden vom Haus- oder Facharzt überwiesen oder können sich selbst anmelden. „Sie füllen zunächst einen zwölfseitigen Schmerzfragebogen aus, damit wir vorab einschätzen können, ob die multimodale Schmerztherapie grundsätzlich für den Patienten geeignet ist“, erklärt der Oberarzt. In einem vorstationären Termin werden dann die Details und Therapieoptionen geklärt.

„Schmerzfreiheit ist dabei nicht unbedingt das Ziel“, sagt der 44-Jährige. „Das ist in drei Wochen auch unrealistisch.“ Es gehe vielmehr darum, den Schmerz zu verringern. „Die Patienten lernen, besser mit den Schmerzen zu leben, ihre Beweglichkeit zu erhöhen und steigern so ihre Lebensqualität.“ Wie das am besten funktioniert, kann jeder für sich herausfinden. „Jeder Mensch ist unterschiedlich“, sagt Hessler. Während des stationären Aufenthalts kriegen die Patienten verschiedene Therapien und Übungen – etwa zur Entspannung – gezeigt, um auszuprobieren, was am besten wirkt.

Die Ärzte und Therapeuten stellen so ein individuelles Übungsprogramm in den Einzeltherapien für zu Hause zusammen. Denn die Zeit in der Klinik reiche nicht aus. „Muskeln anzutrainieren dauert schon mindestens acht Wochen.“ Die kognitive Behandlung – etwa Selbsthypnose oder die Bewegungsabläufe mit Hilfe von mentalem Training wieder neu zu erlernen – kann je nach Patient sogar noch länger dauern. „Die Erfahrung zeigt, dass ein spiraldynamisches Training für eine korrigierte physiologische Haltung und Bewegung durchschnittlich zwei Jahre braucht.“

Mit einem Vortrag zu chronischen Schmerzen, der am 7. Juni 2016 um 17 Uhr im Foyer des Krankenhauses stattfindet, nimmt das Freitaler Klinikum auch am „Aktionstag gegen den Schmerz“ teil. Zusätzlich ist von 15 bis 16 Uhr unter 08001818120 eine kostenlose Hotline für Fragen geschaltet.