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Schon bei der Geburt auf Crystal

Die Zahl drogenabhängiger Mütter steigt auch im Kreis Bautzen. Das Jugendamt reagiert rigoros.

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© dpa

Von Jana Ulbrich

Landkreis Bautzen. Bei der Entbindung im Hoyerswerdaer Seenland-Klinikum steht eine Mitarbeiterin des Jugendamtes gleich mit am Wochenbett. Der sofort angeordnete Drogentest beim Neugeborenen ist positiv. Das Kind ist auf Crystal. Es zeigt bereits Entzugserscheinungen. Was das für den kleinen Menschen bedeutet und für sein ganzes Leben noch bedeuten wird – die Ärzte ahnen es: Es wird hart für das Kleine.

In Fällen wie diesem reagiert das Jugendamt rigoros. Die Mutter bekommt noch im Kreißsaal das Sorgerecht entzogen. Das Jugendamt nimmt das Kind auf der Stelle in Obhut. Die Mutter darf es auf keinen Fall stillen. Das würde nur noch mehr Gift in den kleinen Körper pumpen. Sie wird das Kind so lange nicht zu sich nehmen dürfen, bis sicher ist, dass sie keine Drogen mehr nimmt. Für sie beginnt sofort nach dem Krankenhausaufenthalt ein Entzug und danach eine monatelange Therapie. – Der Fall aus Hoyerswerda ist kein Einzelfall.

Zwar fehlt ein Gesamtüberblick, wie viele Kinder es im Landkreis tatsächlich gibt, die von drogenabhängigen Müttern zur Welt gebracht wurden, aber sicher ist: Ihre Zahl steigt. Überall im Landkreis gibt es einzelne Beispiele, die das Ausmaß des Problems insgesamt erahnen lassen: So haben allein unter den Klientinnen der Suchtberatungsstelle in Kamenz im vorigen Jahr acht drogenabhängige Mütter ein Kind bekommen, aus dem Raum Bischofswerda waren es fünf. Eine suchtkranke Bautzenerin hat an der Uniklinik Dresden entbunden.

Langzeittherapie mit Babys

Drei junge Mütter aus dem Raum Bautzen absolvieren gerade eine Langzeittherapie. Sie hatten das Glück, einen Platz in einer der beiden Spezialeinrichtungen in Bayern und Berlin zu bekommen, in denen sie ihre Babys dabei haben dürfen. „Das ist ja auch ganz wichtig für das Kind“, sagt Kerstin Heuke vom Jugendamt des Landkreises. „Eine Inobhutnahme ist für uns wirklich nur das letzte Mittel, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt“. Unter den Null- bis Sechsjährigen, die die Mitarbeiter des Jugendamtes im vorigen Jahr in Obhut nehmen mussten, waren allein 20 Kinder drogensüchtiger Mütter.

„Das größte Problem ist es, dass wir von vielen solcher Fälle wahrscheinlich gar nicht wissen“, sagt Kerstin Heuke. Gerade Crystal-Konsumenten können ihre Sucht gut verstecken. Nur manchmal kann da der Zufall helfen. So wie am Grenzübergang in Sohland, als Mitarbeiter der Bundespolizei ein Auto anhalten, in dem eine junge Frau und ihr nur wenige Wochen altes Kind sitzen. Die Polizeibeamten finden die Tütchen mit Crystal im Auto, die sich die junge Frau gerade in Tschechien besorgt hatte. Der Drogentest bei der Mutter ist positiv. Der beim Kind auch. Das hatte die Droge regelmäßig noch im Mutterleib und später über die Muttermilch bekommen.

Zahlreiche Risiken

Über die Spätfolgen, die Crystal-Babys erwartet, gibt es bisher noch keine Statistiken. Aber es gibt zahlreiche Krankheitsbilder, die Ärzte immer wieder feststellen: Schon das Risiko einer Fehlgeburt ist hoch. Crystal-Babys werden oft zu früh geboren, sind zu klein, haben einen zu kleinen Kopf oder kommen mit Fehlbildungen zur Welt, zählt Stephanie Janovic vom Gesundheitsamt des Landkreises auf. Neben Herzfehlern und Gefäßverengungen kann es auch zu Fehlbildungen im Zentralnervensystem, an den Organen und im Urogenitalbereich kommen. Es ist nachgewiesen, sagt Janovic, dass die Babys unruhig sind, sich an keinen Schlafrhythmus gewöhnen können und schreckhaft reagieren. Crystal-Kinder entwickeln oft Hyperaktivitäten, leiden später an ADHS und Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsentwicklung.

In Sachsen sind voriges Jahr 180 Geburten von abhängigen Schwangeren gezählt worden. Die tatsächliche Zahl der betroffenen Neugeborenen dürfte aber noch weitaus höher liegen. „Wir müssen hier von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagt Stephanie Janovic. „Wichtig ist, dass wir noch stärker aufklären und vorbeugen“, sagt sie. Um die Angebote und Möglichkeiten besser zu vernetzen, hat der Kreis eine Fachstelle für Suchtprävention gegründet. Betroffene werden in den Beratungsstellen kostenlos und auf Wunsch auch anonym betreut.Auf ein Wort