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Schornstein fällt zentimetergenau

Die frühere Arnsdorfer Parkettfabrik wird abgerissen. Eine Dresdnerin schafft Platz für attraktives Wohnen.

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© Bernd Goldammer

Von Bernd Goldammer

Die zwölfte Stunde beginnt Sonnabend im Arnsdorfer Zentrum mit einem gewaltigen Knall. Über dem Schornsteinfundament steigt ein kleines Rauchwölkchen auf. Für die etwa hundert Zuschauer auf dem Parkplatz am Karswaldbad ist es kaum zu sehen. Eine Sekunde bleibt der Kolos noch stehen. Dann neigt er sich und fällt genau auf die freigebaggerte Fallschneise. Im Flug zerlegt sich der Schornstein in mehrere Teile.

Christoph Oswald hat die Sprengung mit seinem Kollegen vorbereitet
Christoph Oswald hat die Sprengung mit seinem Kollegen vorbereitet © Bernd Goldammer
Kareen Weinert und Uwe Spannbauer werden hier im Spätsommer mit dem Hausbau beginnen. Vermittelt werden die Baugrundstücke vom Immobilienunternehmen von Sibylle Nitschke.
Kareen Weinert und Uwe Spannbauer werden hier im Spätsommer mit dem Hausbau beginnen. Vermittelt werden die Baugrundstücke vom Immobilienunternehmen von Sibylle Nitschke. © Bernd Goldammer

Über ein Jahrhundert markierte das Bauwerk den Standort der weithin bekannten Arnsdorfer Parkettfabrik. Gearbeitet wurde hier aber schon lange nicht mehr. 1998 war Schluss. Die Produktion wurde nach Pirna verlegt. In den Folgejahren stand die Esse als Zeichen des Verfalls in der Landschaft. Es gab sogar Zweifel an ihrer Standsicherheit. Und all das mitten im Ortskern. Kein Wunder, dass sich viele Arnsdorfer danach sehnten, hier endlich eine neue Gestaltung hinzubekommen. Die finanzielle Situation der Gemeinde war allerdings nie besonders rosig. Für große Visionen fehlte das Geld. „Wir bemühten uns, Partner zu finden“, sagt Bürgermeisterin Martina Angermann

Auf dem Areal der ehemaligen Parkettfabrik sollte ursprünglich ein Seniorenheim entstehen. Diese Idee zerschlug sich aber, weil die Interessenten einen Rückzieher machten. Inzwischen hat die Firma Nitschke Hausbau-Immobilien die Vermarktung der Flächen übernommen. Vier große Baugrundstücke für Eigenheime sind ausgewiesen. Zwei Bauparzellen sind inzwischen verkauft. Besonders für junge Familien ist Wohnen in diesem Teil von Arnsdorf attraktiv. Nur wenige Schritte entfernt ist die Kindertagesstätte, und auch das Karswaldbad macht die Wohngegend anziehend. Als Wohnstandort hat Arnsdorf schon immer einen besonderen Charme. Und mit dem Nahverkehrsticket ist die Landeshauptstadt per Bahn schnell und bequem zu erreichen. „Doch zunächst werden alle Gebäude der Parkettfabrik abgerissen. Wenn der Winter so bleibt, kann der Abriss im Frühjahr abgeschlossen sein“, sagt Firmeninhaberin Sybille Nitschke.

Für die Sprengung des alten Fabrikschonsteines am Sonnabend hat die Dresdner Bauingenieurin die beiden diplomierten Sprengingenieure Christoph Oswald und Manfred Küchler ausgewählt. Deren gemeinsame Firma Sprengtechnik Pirna GmbH führte schon viele knifflige Sprengungen durch. Sybille Nitschke setzt auf die jahrzehntelangen Erfahrungen. „In den fast 25 Jahren unseres Firmenbestehens haben wir 438 Fabrikschornsteine gesprengt“, sagt Manfred Küchler. Schon seit Mittwoch haben die beiden Fachleute die Sprengung vorbereitet. Ein keilförmiges Loch wurde dafür in die Esse gebrochen. Genau über dem Fundament. Es gibt die Richtung vor, in die der Schornstein fallen soll. Danach wurden Löcher für die Riodin-Patronen gebohrt. Sie müssen an den effektivsten Stellen angebracht werden. Die Sprengladung ist genau berechnet.

Sonnabend früh werden die Patronen in die vorgesehenen Löcher eingelassen und mit Zündkabeln verbunden. Die Bagger der Abrissfirma bereiten zu diesem Zeitpunkt das Fallbett für den 25 Meter hohen Schornstein vor. Schon um 9,30 Uhr sind viele ältere Arnsdorfer rund um die Baustelle versammelt. Sie schauen den Abrissarbeiten zu und tauschen Erinnerungen an die Zeiten aus, als hier noch Holzparkett für Säle, AusstellungsräuSchornstein fällt zentimetergenaume und Hotels im In- und Ausland hergestellt wurde. Gegen 10 Uhr werden die Kabel aus dem Inneren der Esse mit dem Steuerkasten hinter der Schutzmauer verbunden. Die Spannung steigt. Bauherrin Sybille Nitschke wirkt dennoch ruhig. Sie kann sich auf alle beteiligten Partner verlassen. Jeder kennt seine Aufgabe. Ein Polizeifahrzeug kommt an. Die Straßen um die Fabrik werden jetzt für kurze Zeit gesperrt. Die Mitarbeiter der Abrissfirma sichern den inneren Bereich der alten Parkettfabrik. Alle Posten sind jetzt über Sprechfunk miteinander verbunden. Die Uhr zeigt 10.55 Uhr, als Manfred Küchler zum Steuerstand geht. Gleich wird er den Stromimpuls für die Sprengung auslösen. Aufmerksam kreist sein Blick über das Gelände. Er kennt die Gefahren, die von Schaulustigen ausgehen. Über Funk ist er mit seinem Kollegen Christoph Oswald verbunden. Wenig später gibt Küchler das erste akustische Warnsignal. Gleich darauf folgt das zweite. Dann jagt er den Zündimpuls durch die Leitungen. Es knallt. Sekunden später tritt Manfred Küchler vor die Schutzmauer. Er ist zufrieden. Der Schornstein ist zentimetergenau so gefallen, wie es die beiden Ingenieure vorausberechnet hatten.

Sybille Nitschke ist mit dem bisherigen Verlauf der Abrissarbeiten zufrieden. „An dieser Stelle möchte ich Bürgermeisterin Martina Angermann für die Unterstützung unseres Bauvorhabens danken“, sagt sie.