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Sie schaukeln das schon

Die Einwohner von Ninive haben einen Verein gegründet. Angefangen hat es mit einem Gasthof, den es nicht mehr gibt.

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Von Susanne Sodan

Auf alten Postkarten von Ninive ist fast immer ein Motiv zu sehen: der Gasthof des Ortes: ein breites, zweigeschossiges Gebäude, vor dem Pferdegespanne oder elegante Damen in steifen Röcken und Hut stehen. „Später, nach dem Zweiten Weltkrieg, war der Gasthof bekannt für seine Witwenbälle“, erzählt René Christoph, er wohnt in Ninive. Heute schwingen hier keine Reifröcke mehr zum Tanz. Das Gebäude ist 2012 abgerissen worden. Dafür schwingt hier jetzt eine Schaukel. Dem Gasthof trauert René Christoph auch nicht hinterher. „Das Dach war derart desolat, das ging nicht mehr“, sagt er. „Ich habe den Eindruck, es sind eher die Auswärtigen, die traurig sind.“

Ninive, das Dorf bei Herrnhut, war nie sonderlich groß, wahre Attraktionen mag es nicht mehr geben. Außer vielleicht die eigentümliche Namensgleichheit mit dem assyrischen Ninive. Eine Metropole, die alles hatte: gleich zwei Paläste, Statuen von Gottheiten, eine riesige Stadtmauer mit eindrucksvollen Toren. Das hiesige Ninive hat dafür etwas anderes zu bieten: eine schlagkräftige Truppe, die sich um ihren Ort kümmert. Der Abriss vom Gasthof steht bevor? Die Einwohner schmeißen eine Abschiedsparty. Der Ort hat plötzlich eine große Brachfläche? Die Einwohner machen eben einen Park daraus. Um ihren Ort weiter zu verschönern, haben sie einen Verein gegründet, Treffpunkt Ninive heißt er. René Christoph ist der Vorsitzende.

Er ist hier aufgewachsen, wurde Lokführer. Nach der politischen Wende war er vier Jahre lang in Offenburg, seit 1994 ist er zurück in Ninive. Warum gerade dieser kleine Ort? Bei der Frage zuckt der 54-Jährige mit den Schultern. Weil seine Frau hier lebt, wegen des Hauses seiner Großeltern. Aber es gibt noch etwas anderes, eine unsichtbare Attraktion. „Wir haben in Ninive einen sehr starken Zusammenhalt.“

Das zeigt sich schon bei der Mitgliederzahl des Vereins. Ninive, ein Ortsteil von Herrnhut, hat rund 170 Einwohner. 38 – und damit fast ein Viertel – sind Mitglied in dem neuen Verein. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sein würden“, so Christoph. Auf der anderen Seite: Schon vorher haben die Menschen in Ninive vieles gemeinsam gemacht: Straßenfest, Weihnachtsmarkt, Fußball spielen. Beim Offroad-Tag der SZ im Nachbarort Ruppersdorf kümmerten sie sich mit um die Verpflegung. Sogar eine eigene Ortszeitung gibt es – Ninive News. „Jeder macht irgendwas mit und ist dabei“, so Christoph. „Wir haben dieses Jahr einen Arbeitseinsatz organisiert, um eine Verkehrsinsel zu bepflanzen“, erzählt er. Ein völlig freiwilliger Arbeitseinsatz. „Da hat doch wirklich jemand vorher bei mir angerufen und sich entschuldigt, weil er nicht teilnehmen konnte“, erzählt Christoph und lacht. Mit der Vereinsgründung sind solche Aktionen jetzt auch in einem rechtlichen Rahmen. „Würde mal was passieren, müssten wir sonst privat haften.“

Inzwischen haben die Einwohner von Ninive den planierten Platz, auf dem einst der Gasthof stand, zu einem kleinen Park umgestaltet. Der Weihnachtsmarkt brachte Geld für drei Bänke, Sponsoren und die Stadt Herrnhut gaben Geld für eine Netzschaukel. Stück für Stück wird der Wildwuchs auf der Fläche beseitigt, der Boden zu Wiese. Diese Herangehensweise – Stück für Stück – das ist noch eine Besonderheit. Statt großer Wunschpläne verwirklichen die Einwohner erst das, was machbar ist. Und haben ihren Spaß daran.

Der Weihnachtsmarkt? War eigentlich nur als Adventstreffen der Einwohner zu einem Bratapfel gedacht. Ein Nachmittag, keine Händler, keine Werbung. Und trotzdem kamen etwa 170 Leute. Das Straßenfest? Das findet nur alle zwei Jahre statt. „Es soll nicht zu viel werden und die Leute sollen sich noch darauf freuen“, sagt René Christoph. Die Ortszeitung? Die erscheint als A4-Blatt, gedruckt bei denen, die einen Drucker haben. Die Pflege der bepflanzten Verkehrsinsel? „Man sieht ja, ob dort was zu machen ist“, sagt Christoph. Und derjenige, der es sieht, fängt an. In Ninive funktioniert das.

Pläne hat der Verein trotzdem: Der nächste Weihnachtsmarkt ist in Planung, die Fläche des ehemaligen Gasthofes wird weiter in Ordnung gebracht. „Mal sehen, ob der Weihnachtsmarkt Geld für ein weiteres Spielgerät einbringt.“ Kommendes Jahr steht auch wieder das Straßenfest an. „Und wir würden gerne eine Ortschronik von Ninive erstellen“, erzählt Christoph.

Vielleicht findet er ja heraus, woher der Ortsname stammt. Ninive ist eigentlich eine mesopotamische Stadt im Gebiet des heutigen Irak. Im ersten Jahrtausend vor Christus war sie die Hauptstadt des antiken Königreichs Assyrien – und fand sogar in der Bibel Erwähnung. Sehr schmeichelhaft kommt die Metropole aber nicht weg. Als Blutstadt wird sie bezeichnet, bewohnt von Gewalttätern und Lügnern. Wie der Name in die Oberlausitz kam, dafür gibt es mehrere Theorien. Eine lautet: Ein Gasthof hier könnte einst Ninive geheißen haben – und damit der ganze Ort, der sich drumherum ansiedelte. „Eine andere Theorie ist, dass der Ort wegen einer Handelsroute, die durch unsere Region in Richtung Osten führte, so benannt wurde“, erklärt René Christoph. Das antike Ninive wurde schließlich von seinen Feinden vollständig zerstört. Kann Ninive in der Oberlausitz nicht passieren. „Wir werden nicht schnell bösartig. Und mit unseren Nachbarn kommen wir gut aus.“