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So familientauglich ist das neue Weihnachts-Theater

Das Dresdner Staatsschauspiel bringt Cornelia Funkes „Geisterritter“ auf die Bühne. Es gibt viel zu lachen und zu fürchten.

Von Birgit Weise
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„Der Vollbart“ (Viktor Tremmel), Jon Whitcroft (Mario Neumann) und Großmutter Zelda (Philipp Lux, v. l.) entpuppen sich als perfektes Team im Kampf gegen die Geisterritter.
„Der Vollbart“ (Viktor Tremmel), Jon Whitcroft (Mario Neumann) und Großmutter Zelda (Philipp Lux, v. l.) entpuppen sich als perfektes Team im Kampf gegen die Geisterritter. © Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

Sie waren wirklich da. Er hat sie doch gesehen, gerade eben, unter dem Fenster: Geister, grausige Schattenrisse mit Mordswaffen. Er, Jon Whitcroft, der dazu verdammt ist, von nun an in diesem Internat in Salisbury zu wohnen, in dieser verregneten, hornalten englischen Stadt mit Kathedrale seine Tage verbringen zu müssen. Stuart und Angus, seine Mitbewohner, amüsieren sich köstlich über Jons vermeintliche Geistergeschichte.

Jon hat nur noch Wut im Bauch, denn das alles hat er nur „dem Vollbart“ zu verdanken, dem Freund seiner Mutter, der ihn hierher geschickt hat. Jon möchte nur wieder nach Hause zu seiner Mama und seinen Schwestern. Wäre da nicht seine Mitschülerin Ella Littlejohn, die offenherzig auf ihn zugeht und zu der er sich sofort hingezogen fühlt.

Dass sie sich auch noch für seine Geistergeschichte interessiert, kann er kaum glauben. Was für ein Glück, denn bald muss Jon erfahren, warum es die grausigen Geister ernsthaft auf ihn abgesehen haben: Auf seinen Vorfahren mütterlicherseits, den Hartgills, lastet ein alter Fluch. Ellas Großmutter Zelda könnte vielleicht auch helfen, denn sie ist eine Expertin auf dem Gebiet der Geisterjagd. Wenn das keine gute Ausgangsposition für ein aufregendes Abenteuer ist …

Bewaffnet mit Handy und Selfiestick stört die knallbunte Touristengruppe die Geisterruhe.
Bewaffnet mit Handy und Selfiestick stört die knallbunte Touristengruppe die Geisterruhe. © Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

Schon allein die Ankündigung, dass das Weihnachtsstück im Schauspielhaus Dresden eine Romanadaption von Cornelia Funke, der erfolgreichen deutschen Schriftstellerin, sein wird, beschert in freudiger Erwartung ein prickelndes Wir-gehen-ins-Theater-Gefühl. Nachdem bereits drei ihrer Geschichten – „Tintenherz“, „Reckless“ und „Herr der Diebe“ – auf die Dresdner Bühne gebracht wurden, geht es nun mit „Geisterritter“ schwertklingend zur Sache. Letztendlich ist es wieder eine wundervolle Geschichte über Liebe, Freundschaft und Vertrauen, wenn auch mit Gruseleffekt.

Und da Geisterritter nun mal keine Mediatoren und die Schwerter nicht aus Pappe sind, war für die Inszenierung sogar eine Kampfchoreografie vonnöten, hier in der Verantwortung von Thomas Ziesch. Szenenapplaus gab es immerhin für einen abgeschlagenen Kopf und einen explodierenden Geist. Gehen wir mal davon aus, dass das Beifallsbedürfnis nicht der Gier nach Effekten geschuldet ist, sondern der Freude und Erleichterung darüber, dem Sieg des Guten übers Böse beigewohnt zu haben.

Das Schwerterklirren ist Teil der Choreografie.
Das Schwerterklirren ist Teil der Choreografie. © Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

Hansjörg Hartungs Bühnenbild wechselt gekonnt und oft, das erfordern einfach die verschiedenen, kurz aufeinanderfolgenden Handlungsorte. Die Kulissen werden diesmal nicht gedreht, sondern vielmehr nach oben gezogen und nach unten versenkt. Großformatige Landschaftszeichnungen bei Tag bilden einen guten Kontrast zur Düsternis der Rittergestalten bei Nacht, die übrigens gänzlich ohne Pferde auskommen müssen.

In der Kathedrale, die weit in den Bühnenraum hinein zieht, hallt es auch wirklich, und kaltnebelig mit Gruft und Steinfigur darauf wirkt sie durchaus furchteinflößend. Was eine knallbunte, trippelnde Touristengruppe mit Handy und Selfiestick – ein herrliches Regie-Einsprengsel – nicht davon abhält, die Geister(un)ruhe gackernd zu stören. 

Auch die Eingangsszene, in der Jon im Zugabteil sitzt und zu beiden Seiten eine Graphic-Novel-Illustration hinter sich lässt, ist eine pfiffige Idee. Die Trommel pocht dazu gleichmäßige Schienenstöße ans Ohr. Aufwendige Kostüme sind in erster Linie den Geistern, Rittern und Zeldas Kröten vorbehalten. Britta Leonhardt stattet die Viecher so aus, dass sie nicht hocken und hüpfen, sondern mannsgroß einfach im Raum stehen. Das verleiht noch mehr Tapsigkeit.

Auf die Besucher wartet ein wilder Wechsel der Bühnenbilder.
Auf die Besucher wartet ein wilder Wechsel der Bühnenbilder. © Staatsschauspiel Dresden/Sebastian Hoppe

Das Publikum am vergangenen Premierensonntag mag die Mischung aus Geister-Fantasy, altenglischer Internats-Realität und manchmal gar Olsenbanden-Flair. Das kommt auf bei einer rasanten Autofahrt mit Zelda, Ella und Jon – die Landschaft fliegt links und rechts nach hinten weg, das alte Gefährt hält sich wacker.

Philipp Lux‘ Großmutter Zelda in schlaksiger Gestalt auf roten Stöckelstiefeln und in buntblumigem Gewand scheint, Nesseldreck und Stinkwurz fluchend, direkt Funkes Buch entsprungen zu sein und sorgt für so manchen Lacher. Überhaupt kommt der Humor nicht zu kurz. Wenn Elias Baumann als guter Geisterritter William Longspee der Gruft entsteigt, mit einem Federpuschel auf dem Helm, wirkt das eher lustig als ehrfurchtsvoll. War er doch kurz vorher in der Rolle des aufgeweckten Stuart zu sehen, der im Internatszimmer einen Affentanz aufführt. Isabella Krieger spielt das kecke rotschopfige Mädchen Ella mit jugendlicher Frische, Mario Neumann einen anfangs ängstlichen Elfjährigen, für den sich zum Schluss doch noch alles zum Guten wendet. Mit und ohne „den Vollbart“.

Mit einem prickelnden Wir-waren-im-Theater-Gefühl geht man auch nach dieser Cornelia-Funke-Geschichte nach Hause.

Geisterritter läuft wieder am 20.11., 17 Uhr, 28. und 29.11. sowie am 9., 12., 13. und 17. bis 20.12., jeweils um 10.30 Uhr in Schauspielhaus Dresden.