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„Sohnemann-Affäre“ belastet Koalition

Der grüne Thüringer Justizminister veranlasst, dass sein Sohn von der „Besonderen Leistungsfeststellung“ am Ende der 10. Klasse befreit wird. Dem Koalitionsfrieden tut das gar nicht gut.

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© dpa

Erfurt. Kleiner Anlass, große Wirkung: So lässt sich die „Sohnemann-Affäre“ zusammenfassen, die derzeit die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen umtreibt. Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) hatte Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) veranlasst, seinen Sohn von der Besonderen Leistungsfeststellung am Ende der 10. Klasse zu befreien. Zum Zeitpunkt der Prüfung war der Gymnasiast in Neuseeland. Amtsmissbrauch lautet der Vorwurf, dem sich der Justizminister, der selbst Richter ist, nun ausgesetzt sieht. „Als Minister muss er das Recht hüten und sollte nicht wie ein Winkeladvokat agieren. Das schadet dem Amt“, zürnt Oppositionsführer Mike Mohring (CDU). Lauinger verteidigt sich damit, privat als Vater und nicht als Minister gehandelt zu haben. Zudem attackiert er die Bildungsbürokratie, weil der Antrag auf Prüfungsbefreiung von der Schule positiv beschieden worden sei. Das Rechtsreferat im Ministerium kassierte jedoch die Zusage. Lauingers Sohn war da aber schon in Neuseeland. Daraufhin wurde der Vater tätig.

Gegen die Hausjuristen

Er beschwerte sich telefonisch im Fachreferat des Ministeriums. Er schaltete sogar Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) ein, was wohl den wenigsten Vätern in Thüringen möglich ist. Hoff ließ eine rechtliche Bewertung anfertigen. Diese stützt Lauingers Sicht mit dem Argument des Vertrauensschutzes. Daraufhin entschied Ministerin Klaubert entgegen der Bewertung ihrer Hausjuristen, den Ministersohn von der Prüfung zu befreien.

Die Besondere Leistungsfeststellung wurde in Thüringen nach dem Amoklauf von Robert Steinhäuser eingeführt. Der 19-Jährige hatte am 26. April 2002 am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst erschossen. Er war zuvor von der Schule verwiesen worden. Damit Gymnasiasten in solchen Fällen nicht ohne Schulabschluss bleiben, gibt es in Thüringen seitdem die Prüfung am Ende der 10. Klasse, die dem Realschulabschluss gleichwertig ist – auch in Sachsen und Hessen.

Dass Lauingers Sohn befreit wurde, lässt die Wellen in Thüringen hochschlagen. Die Junge Union fordert den Rücktritt der beiden Minister. CDU-Vormann Mohring verlangt, dass sich die Landesregierung in einer Sondersitzung des Landtags an diesem Mittwoch erklärt. „Das Parlament hat ein Recht darauf zu erfahren, was sich im Dreieck zwischen Justizminister, Staatskanzlei und Bildungsministerium zugetragen hat“, so Mohring. „Die Privatmann-Geschichte ist inzwischen in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus.“ Der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbands, Rolf Busch, meinte im MDR genüsslich, falls Väter und Mütter fortan Schulprobleme hätten, sollten sie gleich direkt im Bildungsministerium anrufen – wenn der Unterricht ausfällt oder Klassenfahrten abgesagt würden. Wie so oft in Politiker-Affären ist auch im Fall Lauinger der Anlass vergleichsweise klein. Wucht entfaltet die Affäre durch den falschen Umgang mit ihr. So rechtfertigte sich der Justizminister – mit feuchten Augen – bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit seiner Ehefrau. Auch das scheibchenweise Eingestehen von Fakten gehört dazu. Lauinger räumte zunächst nur Anrufe im Bildungsministerium ein. Kein Wort davon, dass auch der Staatskanzleichef beteiligt war.

Von daher ist die Affäre mehr als nur eine Sommerloch-Geschichte. Sie offenbart schlaglichtartig Unfähigkeit und Selbstgerechtigkeit in der Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen und kratzt am sorgsam gepflegten Bild von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), doch eine ganz normale Regierung zu führen.

Keine Sorgen um Posten

Dass Klaubert persönlich sich des Anliegens ihres Ministerkollegen annahm, gilt als schwerer Fehler. Nicht die einzige Fehlleistung. So will die Linken-Politikerin entgegen der rot-rot-grünen Linie nichts davon wissen, dass die DDR ein „Unrechtsstaat“ war. Ohne Ausschreibung vergab sie jüngst den Auftrag für eine jährlich 500 000 Euro teure Beobachtungsstelle gegen Rechts an eine ihr genehme Stiftung. Selbst Ramelow und Hoff halten sie dem Vernehmen nach für überfordert. Wohl deshalb mischte sich der Staatskanzleichef mit einer rechtlichen Bewertung in den Fall Lauinger ein.

Der Justizminister wiederum, der auch für Migration zuständig ist, steht seit der Flüchtlingskrise unter Beschuss. Lauinger gab stets der freiwilligen Ausreise von abgelehnten Asylbewerbern den Vorrang – vor der Abschiebung. Ein Landrat warf ihm deshalb vor, in der Asylpolitik eine „ideologische Brille“ aufzuhaben. Ideologie war wohl auch im Spiel, als der Justizminister per Pressemitteilung die Thüringer aufrief, nicht an einer AfD-Demonstration teilzunehmen. Die AfD zog deshalb vor das Verfassungsgericht – und bekam recht. Die Aufforderung komme einem „Boykottaufruf“ gleich, so das Gericht.

Sorgen, ihre Posten zu verlieren, müssen Lauinger und Klaubert sich aber nicht machen. Ramelow, so wird in Erfurt geraunt, habe allen Ministern zugesichert, dass sie mindestens zwei Jahre ihr Amt behalten. Dann nämlich hätten sie Anspruch auf Ruhegehalt. Regierungssprecher Günter Kolodziej erklärte dazu auf Nachfrage: „Der Ministerpräsident hat sein Kabinett für die gesamte Wahlperiode berufen.“