SZ + Dresden
Merken

Der erste „Bomber der Nation“

Der Freitaler Richard Hofmann war als Fußball-Nationalspieler ein gefeierter Held mit vielen Superlativen. Gewürdigt wird das heute kaum. Liegt das an seiner Karriere im Nazi-Deutschland oder daran, dass er nie ein Dynamo war?

Von Gunnar Klehm
 10 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Richard Hofmann im Dress der deutschen Nationalmannschaft im Jahr 1930.  Archivfoto: privat
Richard Hofmann im Dress der deutschen Nationalmannschaft im Jahr 1930. Archivfoto: privat © Archivfoto: privat

Sport und Rauchen, das ist von jeher keine gute Verbindung. Für Richard Hofmann begann damit sogar das Ende seiner Karriere. Dabei war der in Meerane geborene Sachse bis dahin einer der erfolgreichsten deutschen Fußballnationalspieler gewesen. Nach 25 Länderspielen wurde er jedoch 1935 abrupt aus dem Deutschen Fußballbund ausgeschlossen. Und das kam so:

Hofmann hatte gegen die damals gültigen Amateurbestimmungen verstoßen. Nicht etwa, weil er rauchte, sondern weil er sich mit einer Zigarette in der Hand fotografieren lassen hatte – als Werbefigur für die Dresdner „Cigarettenfabrik Bulgaria“. Dafür hatte er 1932 Geld bekommen, und das war Fußballern untersagt, egal, wofür sie warben. Die Sache mit Hofmann zog sich lange hin, und als man schon dachte, sie würde im Sande verlaufen, kam drei Jahre später doch noch das Aus.

Die heutigen Stars des Fußballs verdienen Millionen mit Werbung. Damals war Fußball für alle lediglich die schönste Nebensache der Welt, auch für die Aktiven. Gekickt wurde nach Feierabend. In seiner Dresdner Zeit arbeitete Richard Hofmann tagsüber als Einkäufer in der Freitaler Maschinenfabrik Müller. Abends schwang er sich auf seine 500er Standard und fuhr bei Wind und Wetter mit dem Motorrad zum Training in die Friedrichstadt, wie seine Witwe Gertrud später mal erzählte.

Ohne die Strafmaßnahme des DFB besäße Hofmann für die Nachwelt denselben Stellenwert wie die bundesdeutschen Legenden Fritz Walter oder Franz Beckenbauer, schrieb das Fußballmagazin Elf Freunde vor einigen Jahren. Doch warum zögert Fußball-Dresden, diesen Richard Hofmann entsprechend zu würdigen? Wieso ist der Fußballer, der die Superlative nur so sammelte, vergleichsweise unbekannt?

Die Zigarettenwerbung, die Richard Hofmann um eine längere Nationalmannschaftskarriere brachte.
Die Zigarettenwerbung, die Richard Hofmann um eine längere Nationalmannschaftskarriere brachte. © Archiv Genschmar
Richard Hofmann 1941 mit Lorbeerkranz nach dem Pokalsieg des Dresdner SC gegen den FC Schalke 04. Links neben ihm läuft Helmut Schön.
Richard Hofmann 1941 mit Lorbeerkranz nach dem Pokalsieg des Dresdner SC gegen den FC Schalke 04. Links neben ihm läuft Helmut Schön. © Archiv Sächsische Zeitung

Im Ranking der 100 „Spieler des Jahrhunderts“ in Europa wird Richard Hofmann von der Internationalen Föderation für Fußball-Historie und -Statistik als einer von lediglich zehn Deutschen aufgeführt. Mit seinen 23 Länderspieltoren ist er beim DFB auf Platz 23 der Ewigen Torschützenliste gelistet, zusammen mit Lothar Matthäus. Der ist heute mit 150 Einsätzen deutscher Rekord-Nationalspieler. Diesen Titel trug auch Hofmann einmal – zwischen 1932 bis 1936. Im Gegensatz zu Matthäus durfte er aber an keiner einzigen Weltmeisterschaft teilnehmen.

Erst Gerd Müller bricht Rekord

Fünfmal erzielte er drei Tore in einem Länderspiel. Doch sein Rekord hielt nicht für die Ewigkeit. Am 8. September 1971 erzielte der Münchner Gerd Müller beim 5:0 über Mexiko zum sechsten Mal drei oder mehr Tore. Ihm sollten danach sogar noch zwei weitere solche Spiele gelingen.

Mit seinen fünf Dreier-Packs in Länderspielen steht Hofmann immer noch in den europäischen Top-Ten. Erst 2019 hat ihn Weltfußballer Robert Lewandowski (Polen) übertrumpft, der nun auf sechs Spiele mit drei und mehr Toren kommt und damit auf Platz 8 liegt. Nicht mal Deutschlands Rekord-Torschütze in der Nationalmannschaft, Miroslav Klose, konnte Hofmann übertrumpfen. Klose, der 2014 seine Nationalmannschaftskarriere beendete, brachte es immerhin auf vier Drei-Tore-Spiele.

Auch Hofmanns Trefferquote von 23 Toren in 25 Länderspielen ist kaum übertroffen. In manchen Statistiken wird er sogar mit 24 Toren geführt. Diese Diskrepanz konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Es gibt zwar ein halbes Dutzend Nationalspieler, die in der 123-jährigen Geschichte des DFB sogar mehr Tore als Einsätze haben. Nur ein Einziger von diesen hat mehr Spiele absolviert und damit auch mehr Tore erzielt als Hofmann. Auch das war mit 68 Toren in 62 Spielen Gerd Müller, den sie „Bomber der Nation“ nannten.

Bei der kürzlich verstorbenen Dynamo-Legende Dixie Dörner wird oft der Zusatz „Beckenbauer des Ostens“ verwendet, um Menschen – insbesondere aus dem Westen, die nicht so den Fokus auf dem DDR-Fußball hatten – zu erklären, welche Bedeutung der Spieler für ganz Fußball-Deutschland hätte haben können. Versucht man solche Vergleiche, könnte man Richard Hofmann getrost als „Ersten Bomber der Nation“ bezeichnen. Damals titulierten sie ihn allerdings „König Richard“.

Sieg im Pokalfinale

Im Jahr 1906 in Meerane geboren, spielte Hofmann später für die dortige Sportvereinigung 07, dann für den Dresdner SC (DSC) und nach 1945 für die Sportgemeinschaft in Freital-Hainsberg. Mit dem DSC wurde er 1940 und 1941 Deutscher Pokalsieger, 1943 und 1944 Deutscher Meister und war erfolgreichster Stürmer seiner Zeit in der Nationalmannschaft.

1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, holte er mit dem Dresdner SC den DFB-Pokal, der damals Tschammerpokal hieß, mit einem 2:1-Finalsieg gegen Schalke 04 vor geschätzt 70.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion. Wie historische Fotos zeigen, wurde Hofmann damals der Siegerkranz umgehängt, obwohl er in jenem Spiel mal nicht getroffen hatte. Mitspieler wie der spätere Bundestrainer Helmut Schön standen damals noch in seinem Schatten. Der junge Schön siezte Hofmann sogar noch, als sie das erste Mal zusammen in einer Mannschaft aufliefen. Später schrieb Schön in seiner Autobiografie, „Hofmann war einer der größten und bekanntesten Spieler, die Deutschland je besessen hat“.

Nur: Wieso wissen das heute so wenige? Statt Richard Hofmann verehrt Dresden heute Helmut Schön. Die Straße vorm Arnhold-Bad wurde nach ihm benannt. Hofmann geriet dagegen in Vergessenheit.

Lutz Herrmann, Enkel der Fußball-Legende hütet die Gedenkmünze für seinen Großvater wie einen Schatz.
Lutz Herrmann, Enkel der Fußball-Legende hütet die Gedenkmünze für seinen Großvater wie einen Schatz. © Ronald Bonß
Die Rückseite der Gedenkmünze aus Feinsilber.
Die Rückseite der Gedenkmünze aus Feinsilber. © Ronald Bonß
Buchautor Peter Salzmann mit seinem Buch Fußballheimat Dresden, in dem auch ein Kapitel über Richard Hofmann gedruckt ist.
Buchautor Peter Salzmann mit seinem Buch Fußballheimat Dresden, in dem auch ein Kapitel über Richard Hofmann gedruckt ist. © SZ/Gunnar Klehm

Für den Chef des Dresdner Fußball-Museums, Jens Genschmar, wäre eine Ehrung Hofmanns in Dresden allemal angemessen. „Beim Deutschen Fußball vor 1945 geht kein Weg an ihm vorbei. Viele Zeitzeugen von damals waren überzeugt, dass Deutschland schon 1934 den ersten WM-Titel geholt hätte, wenn Hofmann nicht suspendiert worden wäre.“ Deutschland wurde damals Dritter.

Den Nachkommen in der Familie Hofmanns ist es bis heute unverständlich, warum so vielen Sportlern mit Büsten, Straßennamen oder Ähnlichem gedacht wird, nur nicht Richard Hofmann. 2023 war sein 40. Todestag.

Jeder in der Familie sei überzeugt, dass Richard Hofmann jegliche Ehre verdiene, sagt sein Enkel, Lutz Herrmann. Er hütet den größten Schatz unter den Auszeichnungen seines Großvaters. Es ist eine Gedenkmünze. Auf der einen Seite steht geschrieben: „Deutschlands erster Weltklasse-Fußballer“. Auf der anderen ist ein Porträt von Richard Hofmann zu sehen. „Er war unsere Leitfigur“, sagt der heute 58-jährige Enkelsohn. „Mein Opa war großzügig aber auch mal impulsiv. Dabei blieb er aber immer ehrlich. Er hatte deswegen eigentlich auch immer mit Funktionären Probleme.“

Ein eigensinniger Typ

In der 1949 gegründeten DDR wurden offiziell gern Antifaschisten geehrt. Dazu zählte Hofmann allerdings nicht. Vielmehr hatten in der NS-Zeit Größen der Wehrmacht ebenso wie der Dresdner Gauleiter Martin Mutschmann schützend die Hand über ihn gehalten. Der Stürmer war zu wertvoll, ein Dresdner Fußballerfolg brachte großes Prestige. Es gelang sogar, dass der Fußballverband Hofmann nach der Zigarettenaffäre insofern begnadigte, dass der verbannte Spieler zwar nicht wieder ins Nationalteam zurückkehren, aber wenigstens weiter für den DSC spielen durfte.

Hofmanns Markenzeichen war neben seinem strammen Schuss auch seine Kopfbinde. Die trug er bei Spielen ab 1930, nachdem er bei einem Autounfall sein rechtes Ohr verloren hatte.

Viele Vereine hatten damals damit zu kämpfen, dass gute Spieler in den Kriegsdienst abgezogen wurden, Hofmann blieb davon verschont. Das lag nicht etwa daran, dass er glühender Nazi gewesen wäre. Der Historiker Mike Schmeitzner vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden schrieb für das Buch „Tabakrausch an der Elbe“ einen Aufsatz über Hofmann. Darin heißt es: „Wollten sich auch die Dresdner Mächtigen im Glanze eines Hofmann sonnen und seiner Popularität im Lande Rechnung tragen, machte Hofmann selbst keine politischen Zugeständnisse.“ Es fanden sich keinerlei Hinweise auf eine Mitgliedschaft in einer nationalsozialistischen Organisation. Weiter schrieb Schmeitzner, „dass ... ein eigensinniger Typ wie Hofmann selbst in der Diktatur nicht völlig mundtot gemacht werden konnte“.

Bei einem DSC-Spiel skandierten sogar mal die Dresdner Fußballfans, deren Idol Hofmann damals war, zu Zehntausenden „Hofmann frei!“. Das war an die DFB-Spitze gerichtet und auf Hofmanns Suspendierung aus der Nationalmannschaft gerichtet. Darauf reagierte sogar Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. In der Gauzeitung „Der Angriff“ hieß es 1935 danach über die „ungemütlichen Sachsen“: „Vor einer demonstrierenden Menge – und mögen es auch einmal 50.000 Sachsen sein! – kapituliert im heutigen Staat niemand mehr! Auch nicht im Sportstaat!“.

Zu DDR-Zeiten erschien 1958 das Buch „Hofmann vor – noch ein Tor“ im Sportverlag Berlin, allerdings in kleiner Auflage. Zu mehr Popularität verhalf ihm das in Dresden nicht. Es war nicht nur eine neue Generation von Fußballfans herangewachsen, Hofmanns Sohn Bernd spielte zu jener Zeit bereits im Dress der Dynamos und gehörte zu den neuen Helden, die 1962 den Aufstieg von Dynamo Dresden in die höchste Spielklasse, der DDR-Oberliga, schafften. Hofmann war nie ein Spieler bei Dynamo. Wie auch? Der Verein wurde erst 1953 gegründet, da war er schon fast 50.

Freital bereitet Ehrung vor

Zwar war Hofmann später noch als Trainer aktiv, allerdings weit weniger ambitioniert und erfolgreich wie sein früherer Mitspieler Helmut Schön, der als Bundestrainer mit der bundesdeutschen Nationalmannschaft Europa- und Weltmeister wurde. Hofmann hat immerhin die DDR-Nachwuchsauswahl trainiert.

Wenige Weggefährten, die damals mit Hofmann persönlich Kontakt hatten, leben noch. Dazu gehört Autor Peter Salzmann. Er schrieb in den 1970er-Jahren die Fußball-Kolumne für die Dresdner Stadtrundschau. "Richard Hofmann war gerade heraus aber kein politischer Mensch. Fußball war seine große Leidenschaft, ein Leben lang", sagt Salzmann. Ab und an trafen sie sich auf der Tribüne bei Dynamo-Spielen und fachsimpelten.

Zu seinen Lebzeiten spielte Hofmann beim DFB nie mehr eine Rolle. Tatsächlich vergessen hat man ihn zwar nicht. Zu seiner Beerdigung 1983 wurde immerhin ein Kranz mit Schleife abgegeben. Auch nach der Wende brauchte es noch etwas Zeit, bis sich Fußball-Deutschland wieder an ihn erinnerte. So ist etwa im DFB-Magazin „Club der Nationalspieler“ von 2016 Dresden ein eigenes Kapitel gewidmet. Hofmann wird dort zwar in höchsten Tönen gelobt, größere Würdigungen sind aber kaum bekannt. Er starb mit 77 Jahren in Freital.

Immerhin ließ die wenig bekannte Internationale Föderation für Fußball-Historie und -Statistik zur „Welt-Fußball-Gala“ 1996 besagte Richard-Hofmann-Gedenkmünze prägen. Der Dresdner Ex-Nationalspieler Matthias Sammer überreichte sie Hofmanns Witwe Gertrud. Es berichtete lediglich lokal die Sächsische Zeitung.

Beim Meeraner SV, Hofmans Jugendverein, trägt das theoretisch 8.000 Zuschauer fassende Stadion seinen Namen. Ausverkauft war es schon lange nicht mehr. 1925 und 1928 holte die Sportvereinigung Meerane 07 mit Richard Hofmann jeweils den Titel der Gauliga Westsachsen und gelangte so in die Qualifikationsrunde zur Deutschen Meisterschaft. Für den jungen Hofmann war es der Start seiner Sportkarriere. Noch als Meeraner hatte er am 2. Oktober 1927 seinen ersten Einsatz in der Nationalmannschaft beim 1:3 gegen Dänemark.

Auch Freital war eine Station am Ende von Hofmanns Karriere. Das könnte man als historischen Zufall bezeichnen. Hofmann wohnte nach seinem Wechsel nach Dresden in Freital. In der sowjetischen Besatzungszone durfte man sich nach 1945 nur in Vereinen des Wohnortes betätigen.

Auch im fortgeschrittenen Sportleralter von 39 Jahren wollte Hofmann von seinem geliebten Fußball nicht lassen und schloss sich der SG Hainsberg an. In der Stadt blieb er bis zu seinem Tod wohnen, nur von einem einjährigen Intermezzo beim VfL Willich im Ruhrgebiet unterbrochen.

In Freital fänden „derzeit interne Abstimmungen statt“, wie man Hofmann angemessen würdigen kann, heißt es auf Anfrage aus dem Rathaus. Das könne eine Gedenktafel aber auch eine Straßenbenennung sein. Auch eine kleine Ausstellung werde vorbereitet. .Es braucht manchmal auch „entsprechende Impulsgeber“ für eine angemessene Würdigung, heißt es dort weiter. Es sei besser, wenn die Anregung aus der Mitte der Gesellschaft komme, „als dass der Stadtgesellschaft anlasslos politisch etwas aufgedrückt wird“.

Wer Dixie Dörner war oder wer Lothar Matthäus ist, wissen auch viele, die sich kaum für Sport interessieren. Dass in diese Reihe auch Richard Hofmann gehört, will nun die Stadt Freital zeigen. Wahrscheinlich wird sich der Stadtrat im September mit der geeigneten Würdigung befassen - und wäre dann immerhin schneller als die Fußball-Hochburg Dresden.