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Die politisierte Europameisterschaft

Umweltschutz, Rassismus, Homophobie, Autokraten – dieses Fußballturnier ist so politisch wie kein anderes zuvor.

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Belgiens Romelu Lukaku (l.) kniet vor dem Spiel gegen Russland nieder und setzt damit ein Zeichen gegen Rassismus. Von den russischen Zuschauern in St. Petersburg wird er dafür ausgepfiffen.
Belgiens Romelu Lukaku (l.) kniet vor dem Spiel gegen Russland nieder und setzt damit ein Zeichen gegen Rassismus. Von den russischen Zuschauern in St. Petersburg wird er dafür ausgepfiffen. © BELGA

Von Alexander Sarter

München. Greenpeace, Kniefall, Autokraten – noch nie zuvor standen so viele politische Themen im Fokus einer Fußball-EM wie bei der laufenden Endrunde. Die viel diskutierten Themen aus der Mitte der Gesellschaft machen keinen Halt mehr vor der Hochglanzveranstaltung der Europäischen Fußball-Union (Uefa). Und auch der ohnehin schon kritisch beäugte Deutsche Fußball-Bund (DFB) soll sich positionieren.

Das gilt vor allem mit Blick auf die Partie der Nationalmannschaft am Mittwoch in München gegen Ungarn. Nachdem der rechtsnationalistische Regierungschef Viktor Orban mithilfe seiner Fidesz-Partei ein Gesetz gegen „Werbung“ für Homosexualität erlassen hat, wird vom DFB ein Zeichen erwartet. Aufrufe dazu werden in den sozialen Netzwerken massenhaft geteilt.

Uefa hat es verpasst, sich zu positionieren

Besonders viel Aufmerksamkeit im Netz hat ein Tweet des ARD-Journalisten Georg Restle erregt. „Lieber DFB, in Ungarn soll ‚Werbung‘ für Homosexualität verboten werden. Am 23. Juni spielt Deutschland gegen Ungarn in München bei der EURO“, schrieb der Leiter des Politmagazins Monitor: „Ihr seid doch so für Diversität. Wie wär es: Eine Regenbogenflagge für jeden Fan im Stadion? Dann kriegt das auch Herr Orban mit.“

Tatsächlich wäre dieses Zeichen in Richtung Orbans, dem laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Prüfung seines Gesetzes durch die EU droht, deutlicher als nur die Binde in Regenbogenfarben, die DFB-Kapitän Manuel Neuer zuletzt getragen hat.

Eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben reiche als Zeichen gegen Homophobie nicht mehr aus, meint der ARD-Journalist Georg Restler.
Eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben reiche als Zeichen gegen Homophobie nicht mehr aus, meint der ARD-Journalist Georg Restler. © dpa/Federico Gambarini

Eine klare Haltung der Protagonisten erscheint bei der ersten paneuropäischen Endrunde ohnehin wichtiger denn je. Schließlich hat die Uefa es verpasst, sich zu positionieren. Dass Ungarn, Russland und Aserbaidschan trotz ihrer latent oder offen autokratischen Regierungen um Orban, Wladimir Putin und Ilham Alijew als EM-Gastgeber auftreten dürfen, ist für viele Kritiker nicht nachvollziehbar.

Rassismus-Diskussion und Klimaschutz-Protest

Dazu gehört der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. „Wir müssen darüber reden, warum in solchen Ländern Sportveranstaltungen stattfinden. Und die Lage der Menschenrechte massiv thematisieren“, sagte Frank Schwabe: „Sport ist eben nicht unpolitisch. Und war es nie.“

Genau das hat sich bereits in der ersten EM-Woche gezeigt. Die anhaltende Rassismus-Diskussion nach den Kniefällen der englischen und belgischen Auswahl sind genauso ein Beleg dafür wie der Aufschrei nach dem missglückten Klimaschutz-Protest von Greenpeace in München.

Zwei Männer wurden verletzt und mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Beide haben die Klinik mittlerweile wieder verlassen. Greenpeace zog Konsequenzen: Es wird keine gefährlichen Flugdemonstrationen mehr über Menschenansammlungen geben.

Corona: Finale könnte nach Budapest verlegt werden

Ein weiterer Beleg für die politisierte EM ist die anhaltende Corona-Debatte angesichts von Zuschauern in den Stadien. Am Freitag berichtete die britische Times, dass die Uefa überlege, wegen der strikten Corona-Regeln in England die Finalrunde von London nach Budapest zu verlegen.

Dabei gehe es insbesondere um die VIP-Gäste, für die nicht dieselben strikten Corona-Regeln bei der Einreise gelten sollen wie für normale Rückkehrer oder Einreisende.

Ein volles Stadion zum EM-Finale: Laut der Times überlegt die Uefa die Finalspiele von London nach Budapest (Bild) zu verlegen, da in Ungarn die Corona-Regeln nicht so strikt wie in England sind.
Ein volles Stadion zum EM-Finale: Laut der Times überlegt die Uefa die Finalspiele von London nach Budapest (Bild) zu verlegen, da in Ungarn die Corona-Regeln nicht so strikt wie in England sind. © dpa/Robert Michael

In Großbritannien breitet sich derzeit die Delta-Variante des Coronavirus rapide aus und treibt trotz hoher Impfquote die Zahl der Neuinfektionen deutlich in die Höhe. Die Uefa bestätigte die Notfallpläne nicht, kommentierte zurückhaltend: „Es gibt immer einen Notfallplan, aber wir sind zuversichtlich, dass die Finalwoche in London ausgerichtet wird.“

In Budapest hatte die Orban-Regierung der Uefa trotz Pandemie früh eine 100-prozentige Stadionauslastung zugesagt. 61.000 Zuschauer sind so in der Puskás-Arena zugelassen.

Geschäft und Show sind wichtiger als Werte

Die Rolle der Uefa bleibt bei vielen dieser Themen umstritten. Zwar hat sich der Verband den Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung sowie Homophobie öffentlich auf die Fahnen geschrieben und in der Vergangenheit jede Menge Stars für seine Kampagnen vor Kameras gestellt – die Abläufe hinter den Kulissen werfen allerdings Fragen auf.

So sorgt die enge Verbindung von Orban zur Uefa, der von Verbandsboss Aleksander Ceferin gerne und viel öffentlich gelobt wird, genauso für Kritik wie der frühere Millionen-Vertrag der Uefa mit dem staatlichen Öl-Konzern Aserbaidschans.

„Wenn es so offensichtlich ist, dass es nicht um den Sport, sondern um das Geschäft und die Show geht, dann ist zumindest die Freude getrübt“, sagte Schwabe: „Ich will gar nicht ein zu enges Maß anlegen. Aber eine EM in Baku ist einfach absurd. Es ist weder menschenrechtlich geboten, noch macht es sportpolitisch Sinn.“ Die Uefa sieht das naturgemäß anders. (sid, mit dpa)

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