Von Stefanie Wahl
Lake Placid. Lächelnd steht sie noch immer am Straßenrand, Andrea Henkel als gut gelaunte Werbefachfrau. „Ich mag Oberhof, weil die Natur hier zum Austoben einlädt“, steht auf dem Schild vor dem Tunnel neben der Autobahn A 71 in Richtung Erfurt. An dessen Ende führt die Ausfahrt schließlich hinauf zu jenem Ort, der mehr als zwei Jahrzehnte lang ihr Trainingsrevier war. Und ihre Heimatregion.
„Ach“, sagt Andrea Henkel-Burke, „Heimat klingt immer so“ und macht eine pathetische Handbewegung. Nach dem Ende ihrer Karriere im März 2014, aus der neben den acht Weltmeister-Titeln die zwei olympischen Goldmedaillen von Salt Lake City herausstechen, zieht Andrea Henkel nach Lake Placid und heiratet im Oktober Tim Burke, den einstigen US-Biathleten, der inzwischen als Direktor Development für seinen Verband arbeitet, dort ein Programm für den Nachwuchs entwickelt und Strukturen aufbaut.
Ihr Haus liegt nur zehn Autominuten außerhalb der Stadt – zwischen Biathlon-Stadion und Langlaufstrecke inmitten der Natur, wie der Blick aus den Burke’schen Fenstern beweist. „Wenn ich nach Deutschland fliege, sage ich, ich gehe nach Hause. Aber wenn ich nach Amerika fliege, sage ich auch, ich gehe nach Hause. Oft werde ich gefragt, ob ich etwas vermisse: Das bringt doch nichts“, sagt Andrea Henkel-Burke.
„Ich war null auf das alles vorbereitet"
In Thüringen ist ihr Lebensrhythmus einst ohnehin ein anderer gewesen als jetzt, wo sie nicht mehr aus der Tasche lebt und von einem Trainingsort zur nächsten Weltcup-Station reist.
Noch sind es etwas mehr als drei Wochen bis zu den Olympischen Spielen in Peking, diesen ganz besonderen. Zugleich ist es zwanzig Jahre her, dass die Spiele in Salt Lake City ausgetragen worden sind, ihre ganz besonderen. Und doch hat Andrea Henkel-Burke die beiden Städte noch nicht miteinander in Verbindung gebracht. Dabei genießt ihr Sport hier wie dort keinen hohen Stellenwert. „Natürlich will jeder Athlet zu Olympia“, sagt die inzwischen 44-Jährige, „daher nimmt man den Ort irgendwann einfach an“. Was beileibe nicht heißt, dass man die (Aus-)Wahl des Internationalen Olympischen Komitees automatisch gut finden muss.
Andrea Henkel-Burke weiß um die ambivalenten Gefühle für Olympische Spiele. Einerseits den Stolz, Gold um den Hals hängen zu haben und ein Leben lang Teil eines exklusiven Kreises zu sein. Nur: „Ich war null auf das alles vorbereitet, wollte einfach meine Wettkämpfe machen. Es hat gedauert, bis ich gecheckt habe, was da passiert ist“, erzählt Andrea Henkel-Burke über ihre Olympiasiege im Einzel und mit der Staffel.
Andererseits die ernüchternde Erkenntnis, dass weit weniger Zuschauer an der Strecke stehen, und dank der Quotierung der Startplätze auch weniger Konkurrentinnen dabei sind. „Ich sage immer bewusst, ein Weltcupsieg ist schwerer zu erreichen als ein Olympiasieg.“ Andrea Henkel-Burke hat die Spiele in Utah miterlebt, 2006 jene in Turin, vier Jahre später in Vancouver und Sotschi 2014. Ihr Fazit: „Weltmeisterschaften habe ich als schöner empfunden, weil man mehr Mittelpunkt ist und gleichzeitig nicht alles so groß. Bei Olympia kriegst du doch längst nicht alles mit.“
Während der Wettkampftage in den chinesischen Bergen von Zhangjiakou, wo die olympischen Biathlon-Rennen ausgetragen werden, arbeitet Andrea Henkel-Burke – als Personaltrainerin und neuerdings als Bloggerin. Selbstredend profitiert der Gesundheitsfreak, wie sich Henkel-Burke selbst bezeichnet, bei all ihren Tätigkeiten von den Jahren als Leistungssportlerin. Von ihrem Namen, ihren Erfolgen.
In ihren Webinaren wird sie noch immer um Autogramme gebeten. Eine Wertschätzung, die die Gesamtweltcupsiegerin (2006/07) ebenso freut wie die Kampagne für Schneekleidung eines großen deutschen Konsumgüterunternehmens. „Es ist schon cool, dass man nicht in Vergessenheit geraten ist“, sagt die Frau mit 22 Einzelsiegen im Weltcup und fügt mit einem Grinsen im Gesicht hinzu. „In Amerika lebe ich super privat. Mich erkennt man hier nicht – es sei denn ein Deutscher läuft über die Straße oder kommt ins Restaurant. Das ist dann immer überraschend.“
Gold für Deutschland: Die SZ-Olympia-Serie
- Gunda Niemann-Stirnemann: Die Eisschnellläuferin gewinnt das erste gesamtdeutsche Gold.
- Markus Wasmeier: Der Skirennfahrer verpatzt in Lillehammer die Abfahrt und triumphiert doch.
- Georg Hettich: Der Kombinierer erlebt am 11. Februar 2006 den besten Tag seines Lebens.
- Andrea Henkel: Die Biathletin, die jetzt in den USA lebt, trägt ihr Gewehr nur noch für die Jagd.
- André Lange: Der Bobpilot hat vier Olympiasiege geholt. Besonders in Erinnerung bleibt Platz zwei.
- Claudia Nystad: Die Skilangläuferin verkörperte stets mehr als Sport. So vielseitig ist sie geblieben.
- Laura Dahlmeier: Die Biathletin ist der große Star vor vier Jahren gewesen. Wie es ihr jetzt geht.
Andrea Henkel-Burke ist offener geworden, lockerer als zu ihrer Zeit im Weltcup, wo sie sich durchaus mal uncharmant mürrisch gegeben hat. Auch amerikanischer, weil sie mitunter um deutsche Worte ringt? Sie tut sich schwer mit derartigen Einschätzungen und meint dann doch: „Ich bin sehr deutsch – organisiert, strukturiert.“
Mit dem Gewehr ist Andrea Henkel-Burke bis heute unterwegs – allerdings nurmehr bei der Jagd mit ihrer Hündin. Die Doppel-Olympiasiegerin sagt: „Wenn irgendwas mein Sport ist, dann Biathlon. Auch wenn ich ihn jetzt nicht mehr betreibe, sondern viel laufe. Es ist meine Karriere und lange Zeit mein Leben gewesen. Dadurch ist mir vieles ermöglicht worden“, sagt sie und ihre Dankbarkeit ist herauszuhören – manchem Rück- und Tiefschlag zum Trotz: „Ich sollte nicht anfangen, mich zu beklagen. Es gehört dazu, um alles besser zu schätzen.“