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Gefallener Radstar Jan Ullrich gibt Doping zu

Deutschlands einziger Tour-de-France-Sieger schweigt jahrelang über Doping. Nun gesteht Jan Ullrich – und fühlt sich schuldig. Auch bei den Eskapaden nach der Karriere wird er deutlich.

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Jan Ullrich hat nach der Vorstellung seiner Dokumentation "Jan Ullrich - Der Gejagte"· im Münchner Filmtheater Sendlinger Tor gestanden: "Ich habe gedopt."
Jan Ullrich hat nach der Vorstellung seiner Dokumentation "Jan Ullrich - Der Gejagte"· im Münchner Filmtheater Sendlinger Tor gestanden: "Ich habe gedopt." © dpa/Angelika Warmuth

Von Manuel Schwarz, Stefan Tabeling, Tom Bachmann und Manuel Schwarz

Berlin. Jan Ullrich atmete tief durch, dann kam ihm der schwere Satz mit etwas zittriger Stimme endlich über die Lippen. „Ich habe gedopt“, sagte der Tour-de-France-Champion von 1997 nach jahrelangem Schweigen und fühlte sich wie von einer tonnenschweren Last befreit.

Am Mittwoch räumte der frühere Radstar bei der Vorstellung der Amazon-Dokumentation „Jan Ullrich – Der Gejagte“ in München endlich mit seiner Vergangenheit auf, gab erstmals explizit zu, Dopingmittel in seiner erfolgreichen Radsport-Karriere genommen zu haben. „Ich habe mich schuldig gemacht, ich fühle mich auch schuldig.“

Jetzt ist es raus. Ullrich hatte in der Vergangenheit immer ein Doping-Geständnis abgelehnt. „Ich habe niemanden betrogen“, lautete stets sein Standardsatz auf Fragen zu seiner Vergangenheit. „Das Thema war damals zu groß, das war allgegenwärtig. Der Radsport war betroffen, nicht nur ich. Das ist ja auch das Schwere, dass man eben keinen mit reinzieht. (...) Jetzt fühle ich mich leichter.“

Jan Ullrich bei der Doku-Premiere mit dem Rad, auf dem er 1997 die Tour de France gewann.
Jan Ullrich bei der Doku-Premiere mit dem Rad, auf dem er 1997 die Tour de France gewann. © dpa/Angelika Warmuth

Doping sei damals Teil des Systems gewesen. „Ich kann dazu sagen, aus reinem Herzen, ich wollte wirklich niemanden betrügen. Ich wollte mir keinen Vorsprung verschaffen. Das war damals eine andere Zeit. Damals hat der Radsport schon ein System gehabt, wo ich auch reingekommen bin. Für mich war das damals eine Art Chancengleichheit“, erläuterte Ullrich auf der Podiumsdiskussion.

Nun will der tief gefallene Ex-Radprofi, der auch privat einige Turbulenzen erlebt hat, einen Neuanfang starten, womöglich sogar im Radsport. „Vielleicht kann man das irgendwann ad acta legen, dass ich auch mal wieder im Radsport irgendetwas machen kann.“

Ein Besuch rührt Ullrich zu Tränen

Viele Weggefährten waren am Mittwoch nach München zur Vorstellung gekommen, darunter auch Ex-Teamchef Olaf Ludwig, sein Sportlicher Leiter Rudy Pevenage, Ex-Kollegen wie Ivan Basso, Jens Heppner oder Danilo Hondo, sein Jugendtrainer Peter Sager und sogar die Mutter des gestorbenen Rivalen Marco Pantani, was Ullrich zu Tränen rührte.

Auch die Mutter des 2004 gestorbenen Marco Pantani war in München dabei.
Auch die Mutter des 2004 gestorbenen Marco Pantani war in München dabei. © dpa/Angelika Warmuth

Ullrich hatte 1997 als bislang einziger Deutscher die Frankreich-Rundfahrt gewonnen und einen beispiellosen Radsport-Boom ausgelöst. Als „Boris Becker des Radsports“ wurde er gefeiert, Sponsoren und Veranstalter standen bei ihm Schlange. Neben seinem Gesamtsieg 1997 fuhr Ullrich fünfmal bei der Tour auf den zweiten Platz. Er wurde Weltmeister und Olympiasieger.

Schon in den vergangenen Tagen hatte Ullrich in Interviews über jahrelanges Doping in seinem Team Telekom gesprochen. „Ohne nachzuhelfen, so war damals die weit verbreitete Wahrnehmung, wäre das so, als würdest du nur mit einem Messer bewaffnet zu einer Schießerei gehen“, sagte Ullrich dem Magazin „Stern“. Im Telekom-Team habe er „ziemlich schnell gelernt, dass Doping weit verbreitet war“.

Ullrich musste 2006 unfreiwillig seine Karriere beenden, nachdem er in der großangelegten „Operacion Puerto“ als Kunde des Doping-Arztes Eufemiano Fuentes enttarnt worden war. 2012 wurde Ullrich vom Internationalen Sportgerichtshof Cas für zwei Jahre gesperrt, diverse Erfolge zwischen 2005 und 2006 wurden ihm aberkannt.

Doping-Hemmschwelle damals niedrig

Später räumte Ullrich Behandlungen bei Fuentes ein, zu einem Doping-Geständnis wie bei seinen Ex-Kollegen Erik Zabel oder Rolf Aldag konnte er sich aber nicht durchringen – auch auf Rat der Anwälte. Ob die neuen Aussagen Folgen haben für Ullrichs frühere Siege – allen voran bei der Tour 1997 – ist unklar.

Ullrichs einstigem Rivalen Lance Armstrong wurden beispielsweise nach seiner lebenslangen Sperre im Jahr 2013 alle sieben Tour-Siege von 1999 bis 2005 aberkannt. Bjarne Riis, der bereits 2007 Doping gestand, wird dagegen immer noch als Gesamtsieger 1996 geführt. „Ich persönlich glaube, mir steht der Titel zu. Es müssen andere entscheiden, aber in meinem Herzen bin ich Tour-de-France-Sieger“, sagte er. Ullrichs Olympia-Gold 2000 dürfte wegen der zehnjährigen IOC-Verjährungsfrist für Doping-Vergehen nicht in Gefahr sein.

An einem Tag 800 Zigaretten, dazu Whiskey und Kokain

Nach seinem abrupten Karriereende schlitterte Ullrich privat immer tiefer Richtung Abgrund. 2015 zog er mit der Familie nach Mallorca, um ein neues Leben zu beginnen. „Aber es hat nicht funktioniert für mich. Im Gegenteil. Am Ende folgte der Absturz – so tief, tiefer ging es nicht“, sagte Ullrich. Aufgrund seiner Alkohol-Eskapaden ging seine damalige Frau Sara mit den drei Kindern zurück nach Deutschland. Dann habe der „Totalabsturz“ begonnen.

Ullrich trank „Whisky wie Wasser“ und kokste, erzählt er in der Amazon-Doku, wie im Trailer zu sehen ist. Falsche Freundekamen dazu. „Zu dieser Zeit habe ich mir einige Challenges einfallen lassen. Eine war, dass ich einen Weltrekord im Rauchen aufstellen wollte. Einmal habe ich 700 bis 800 Zigaretten am Tag durchgezogen. Die Typen um mich herum, diese Hyänen, haben applaudiert.“

Irgendwann landete Ullrich in einer Gefängniszelle. Dieser Absturz, „der mich fast mein Leben gekostet hat“, sei der Anlass gewesen, sein Leben umzukrempeln und nun auch an die Öffentlichkeit zu gehen. Eine große Hilfe war sein einst größter Rivale Lance Armstrong, dem wegen Dopings sieben Tour-Erfolge aberkannt worden waren.

Einst Rivalen, jetzt Freunde: Jan Ullrich (r.) und Lance Armstrong. Der Amerikaner setzte sich nach einem Hilferuf von Ullrichs Freunden sofort ins Flugzeug. "Das werde ich ihm nie vergessen", sagt Ullrich heute.
Einst Rivalen, jetzt Freunde: Jan Ullrich (r.) und Lance Armstrong. Der Amerikaner setzte sich nach einem Hilferuf von Ullrichs Freunden sofort ins Flugzeug. "Das werde ich ihm nie vergessen", sagt Ullrich heute. © epa Gero Breloer/dpa

„Ich hatte mich vollkommen verloren. Freunde haben damals alles versucht, sie haben meine ehemaligen Teamkollegen angerufen, meine ehemaligen Trainer – keine Chance“, erzählte Ullrich dem Zeit Magazin in einem gemeinsamen Interview mit Armstrong. „Der Einzige, der mich erreichen könnte, glaubten sie schließlich, sei Lance. Wir hatten damals keinen engen Kontakt, ich wusste vorher nicht, dass er zu mir kommt. Dass er sich dann gleich in den Flieger gesetzt hat, werde ich ihm nie vergessen.“

„Ich bin wieder lebenshungrig“

Der Amerikaner überredete Ullrich, einen Entzug zu machen, damit es ihm nicht ergehe wie dem 2004 an einer Überdosis gestorbenen Italiener Marco Pantani. „Ich hätte es nicht ertragen können, noch einen von uns zu verlieren“, sagte Armstrong. „Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Aber ich liebe diesen Mann. Dass es ihm so schlecht ging, brach mir das Herz.“

Jan Ullrich bei der Premiere seiner Dokumentation „Der Gejagte“ am Mittwochabend in München mit seiner Partnerin Elizabeth Napoles.
Jan Ullrich bei der Premiere seiner Dokumentation „Der Gejagte“ am Mittwochabend in München mit seiner Partnerin Elizabeth Napoles. © dpa

Nach all den Abstürzen ist Ullrich optimistisch. „Gott sei Dank bin ich gesund aus der ganzen Geschichte rausgekommen, habe wieder Lust zum Radfahren, Lust, meine Kinder aufwachsen zu sehen. Ich bin wieder lebenshungrig.“ (dpa)