Chemnitzer Trainerin wehrt sich gegen Turnerbund

Chemnitz. Ihr Name wird ausdrücklich genannt, gleich unter Punkt B: "Gegenstand der Untersuchung." Anlass seien die Berichterstattungen im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 27. November und 23. Dezember 2020 gewesen, heißt es - und weiter: "In diesen Artikeln berichten Turnerinnen, Trainerinnen und Eltern von Sachverhalten, die sie mit der dortigen Trainerin, Frau Gabriele Frehse, erlebt haben wollen." Darin sei der persönliche Umgang - speziell bei Verletzungen und psychischen Auffälligkeiten wie Essstörungen und Eigenverletzung - sowie die Abgabe von Schmerzmitteln kritisiert worden.
Aufgrund dieser Schilderungen war Frehse von ihrer Arbeit am Bundesstützpunkt Turnen in Chemnitz freigestellt und die Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Rettenmaier mit der unabhängigen Aufklärung beauftragt worden. Die Ergebnisse von insgesamt 32 Befragungen von Betroffenen und Zeugen sowie der Beschuldigten wurden auszugsweise am 21. Januar in einer Pressemitteilung veröffentlicht mit der Kernaussage, dass "in 17 Fällen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt durch die Trainerin vorliegen". Der Deutsche Turnerbund (DTB) fordert deshalb "die vollständige Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frau Frehse durch den Olympiastützpunkt Sachsen, bei dem sie angestellt ist".
Frehse hat die Vorwürfe unter anderem in einem Interview für Sächsische.de bestritten, nun wehrt sie sich gegen die Vorgehensweise des DTB. Die 61-Jährige hat über ihren Rechtsbeistand beim Datenschutzbeauftragten in Hessen eine Beschwerde über Datenschutzverstöße des Verbandes eingereicht, der in Frankfurt am Main ansässig ist. "Zum Inhalt kann ich Ihnen mitteilen, dass eine Beschwerde bei meiner Behörde eingegangen ist, die derzeit rechtlich geprüft wird", lässt Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch auf Anfrage schriftlich mitteilen.
Verband gibt Untersuchungsbericht nicht raus
Nach Informationen von Sächsische.de beschwert sich Frehse darüber, dass ihr der Untersuchungsbericht bisher durch den Verband trotz Aufforderung mit Fristsetzung nicht zur Verfügung gestellt worden ist. Weil sie den Inhalt nicht kennt, könne sie sich dazu nicht äußern und angemessen verteidigen.
Derweil werde aber in der Öffentlichkeit eine Diskussion geführt, mit der die Vorwürfe gegen sie, die insgesamt 14 ehemalige Schützlinge um die Ex-Weltmeisterin Pauline Schäfer in den Spiegel-Berichten erhoben hatten, quasi als erwiesen dargestellt werden. Andererseits gibt es auch andere Aussagen beispielsweise von der ehemaligen Dresdner Turnerin Anna-Sophie Kalauch und Sophie Scheder, die 2016 bei Olympia in Rio die Bronzemedaille am Stufenbarren gewonnen hatte.

Auf Nachfrage hatte der DTB erklärt, der Untersuchungsbericht liege "im engen Führungsgremium des DTB denjenigen vor, die mit
Beschlussfassungen und der Aufarbeitung des Sachverhalts befasst sind". Dies beruhe "auf dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen,
der Wahrung von der Untersuchungskommission zugesagter Anonymität und
auch darüber hinaus dem Schutz der Personen, die sich der
Untersuchungskommission anvertraut haben".
Allerdings ist der Kreis wohl doch nicht ganz so eng gefasst. So soll beispielsweise auch die Athletensprecherin ein Exemplar erhalten haben. Das ist laut Porträt auf der Internetseite des DTB Kim Bui, die am Stützpunkt in Stuttgart trainiert und beispielsweise in der Qualifikation für Olympia in direkter Konkurrenz zu den Chemnitzer Turnerinnen steht.
Frehse hat ihrerseits bereits eingewandt, die Weigerung des DTB lasse sich "übrigens auch nicht mit dem Datenschutz anderer Beteiligter erklären", schrieb sie in einer Erklärung von 11. Februar. "Denn zum einen haben diese sich auch nicht gescheut, in aller Öffentlichkeit mit dem Magazin Spiegel zu reden, zum anderen ließen sich deren Namen ohne weiteres anonymisieren." Ihre Schlussfolgerung: "Je länger der DTB mir die Einsicht verweigert, desto mehr frage ich mich, was der DTB zu verbergen hat und ob der Untersuchungsbericht doch nicht hält, was der DTB verspricht."
Auch dem Olympiastützpunkt Sachsen (OSP), der Frehse als Trainerin entlassen soll, liegt der Untersuchungsbericht nicht vor. "Kurios an der Situation ist auch, dass der DTB von meinem Arbeitgeber fordert, arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Aber auch mein Arbeitgeber hat den Bericht bislang nicht gesehen und weiß gar nicht, auf Grundlage welcher konkreten Vorwürfe aus dem Bericht er tätig werden soll", schrieb Frehse. Beim DTB werde geprüft, ob und inwiefern der Bitte des OSP auf Einsicht datenschutzkonform entsprochen werden kann.
Der Verband hat seinerseits die derzeit am Stützpunkt in Chemnitz aktiven 24 Turnerinnen und deren Eltern zweimal über Inhalte informiert. "Bei der Information über die Ergebnisse der abgeschlossen unabhängigen Untersuchung wurden die Persönlichkeitsrechte sämtlicher Betroffener vollumfänglich gewahrt", erklärt der DTB dazu.
Politische Dimension: Sitzung des Sportausschusses
Dennoch wird öffentlich in erster Linie über die 13-seitige Stellungnahme des Verbandes und die geforderte Konsequenz berichtet, der mutmaßliche Fall hat bereits eine politische Dimension erlangt. So soll sich der Sportausschuss des Bundestages am 5. Mai in einer öffentlichen Anhörung dem Thema "Physische, psychische oder
sexualisierte Gewalt gegen Sportlerinnen und Sportler" befassen. Das sei eine Konsequenz aus der Turnaffäre um die Chemnitzer Trainerin Gabriele Frehse, erklärte die Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) im Gespräch mit der Freien Presse.
Zuvor steht bereits am 24. Februar der Fall Chemnitz auf der
Tagesordnung einer Ausschusssitzung. Freitag stellt sich hinter den DTB in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht und die ausgesprochene Aufforderung
an den Olympiastützpunkt Chemnitz, sich von Frehse zu trennen.
Brief an die Ethik-Beauftragte
Die Trainerin kann jedoch zu konkreten Vorwürfen keine Stellung beziehen, so lange ihr der Untersuchungsbericht nicht bekannt sind. Außerdem bleibt es ihr dadurch nach Aufassung ihrer Anwälte verwehrt, ihre Möglichkeiten zu prüfen, gegen eine möglicherweise rechtswidrige Berichterstattung vorzugehen. Indem der Verband die Auskunft verweigert, behindert er demnach den Rechtsschutz von Frehse.
"Was genau ermittelt wurde, ist mir bis heute nicht bekannt. Ich kenne nicht mehr als die öffentliche Stellungnahme des DTB, die auch an die Presse ging", erklärt Frehse auch in einem Schreiben an die frühere Bundesministerin Brigitte Zypries, das vom Internetportal gymmedia.de veröffentlich worden ist. Die Trainerin wendet sich an die Ethik-Beauftragte im DTB mit der Bitte, darauf hinzuwirken, dass "der DTB die Grundsätze eines fairen und datenschutzrechtlich einwandfreien Verfahrens wahrt und mir Einsicht in den Untersuchungsbericht gewährt".
Der hessische Datenschutzbeauftragte gibt während einer laufenden Überprüfung grundsätzlich keine Auskünfte zum Sachverhalt an die Öffentlichkeit. "Wie viel Zeit diese Prüfung in Anspruch nehmen
wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einschätzen", ließ Ronellenfitsch mitteilen. (mit dpa)