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Stätten der Unzucht

Das beliebte Luftbaden begann in Dresden vor über 100 Jahren. Wenn Männer und Frauen zusammen planschten, kontrollierte die Sittenpolizei.

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© Postkarte: Sammlung Holger Naumann

Von Lars Kühl

Der Macho zieht den Bauch ein und schiebt sich und seine braun gebrannten Muskeln in Pose. Jugendliche Mädchen kichern und werten hinter vorgehaltener Hand mit den Freundinnen den Anblick aus. Blicke treffen sich. Da geht doch was? Hier im Freibad, wo Sonne und Luft die Haut so ungestört streicheln. Eine Szene von heute? Sicher. Doch schon vor 100 Jahren waren Dresdner Badeanstalten ein Ort des Anbandelns. Durch die Abkehr von der Schulmedizin und auf der Suche nach neuen Gesundheitspraktiken entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in und um Dresden einige Licht- und Luftbäder (Dresdner Geschichtsbuch, Band 11).

Das Freibad Lockwitz Vor 100Jahren begannen die Lockwitzer, vor allem die Kinder, an extra angelegten Stellen im Lockwitzbach zu baden. Das nahm aber überhand, also sollte ein richtiges Freibad angelegt werden. Vom Freiherrn von Kap-herr pachtete die Geme
Das Freibad Lockwitz Vor 100Jahren begannen die Lockwitzer, vor allem die Kinder, an extra angelegten Stellen im Lockwitzbach zu baden. Das nahm aber überhand, also sollte ein richtiges Freibad angelegt werden. Vom Freiherrn von Kap-herr pachtete die Geme © Postkarte: Sammlung Holger Naumann
Das Freibad Bühlau Vor zehn Jahren musste das Bühlauer Freibad an der Grundstraße schließen. Heute gibt es auf dem Gelände einen Waldseilgarten. Die historischen Umkleidekabinen aus Holz stehen immer noch, sie sind geschützt. Ursprünglich wurde das Luft-
Das Freibad Bühlau Vor zehn Jahren musste das Bühlauer Freibad an der Grundstraße schließen. Heute gibt es auf dem Gelände einen Waldseilgarten. Die historischen Umkleidekabinen aus Holz stehen immer noch, sie sind geschützt. Ursprünglich wurde das Luft- © Postkarte: Sammlung Holger Naumann
Das Waldbad Weixdorf Als nach nicht einmal vier Monaten der Großteich in Lausa umgestaltet war, konnte das Weixdorfer Waldbad, zunächst unter dem Namen Prinz-Hermann-Bad, am 17.Juni vor 110Jahren eingeweiht werden. 1919 wurde es bereits vergrößert. Zwei J
Das Waldbad Weixdorf Als nach nicht einmal vier Monaten der Großteich in Lausa umgestaltet war, konnte das Weixdorfer Waldbad, zunächst unter dem Namen Prinz-Hermann-Bad, am 17.Juni vor 110Jahren eingeweiht werden. 1919 wurde es bereits vergrößert. Zwei J © Postkarten: Sammlung Holger Naumann

Der Arzt Heinrich Lahmann mit seinem Sanatorium auf dem Weißen Hirsch, 1888 gegründet, war ein Vorreiter gewesen, ebenso Friedrich Eduard Bilz mit dem nach ihm benannten Bad in Radebeul (Eröffnung 1905). Das erste Freibad Dresdens – heute als Hebbelbad bekannt, obwohl dieses ein inzwischen abgerissenes Hallenbad in einigen Hundert Meter Entfernung war, und zwischen 2011 und 2013 umgebaut – wurde erst acht Jahre später in Cotta in einem ausgetrockneten Teich eingerichtet – vom Naturheilverein Dresden-West. Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt bereits das Waldbad Klotzsche (seit 1902), das Waldbad Weixdorf (1906), das Freibad Bühlau (1908), das Luftbad Dölzschen (1911), das Marienbad Weißig (1912) sowie das Waldbad Langebrück (1912; vorher war sechs Jahre ein Sonnen-, Luft- und Wasserbad an der Friedrich-August-Straße, das schnell zu klein war). Aber alle Orte wurden erst später nach Dresden eingemeindet.

Versetzt in die damalige Zeit, ließe sich eine bei Weitem weniger freizügige Kleiderordnung als heute beobachten. Normalerweise war nach Frauen und Männern getrennt, Ausnahmen bildeten die Familienbäder. Züchtigkeit hatte damals noch einen großen Stellenwert, die städtische Sittenpolizei kontrollierte die Einhaltung der Regeln. Doch es muss auch Ausbrecher gegeben haben, junge, für damalige Verhältnisse Wilde, die Grenzen austesteten und unbeobachtet auch überschritten. So zumindest ist das Gutachten eines gewissen Dr. Leonhardt zu verstehen, der sich 1915 an das Dresdner Wohlfahrtspolizeiamt wandte. Ob die Familienbäder wirklich nur für Familien zugänglich sind, wollte er wissen, oder ob sich „unter diesem Deckmantel nicht der übliche Treffpunkt von unverheirateten, meist jugendlichen Personen verbirgt“. Wenn dem so wäre, müssten die Behörden gefälligst einschreiten. Alte Badestuben und Volksbäder – also geschlossene Hallen – hätten sich „immer mehr zu Stätten der Unzucht“ entwickelt. „Mit den Familienbädern sind wir auf dem gleichen Wege. Das Luftbaden wird immer mehr Nebensache; allerlei Ulk und Unfug, das Anknüpfen von Liebesverhältnissen wird immer mehr Hauptzweck des Besuches.“

Eine amüsante Anekdote, die den Freibad-Boom mit gemischter Nutzung natürlich nicht aufhalten konnte. Vor 100 Jahren konstatierten die Stadtverordneten bereits, dass viele Dresdner die Elbe mieden, weil sie durch den Schmutz der angesiedelten Industrieunternehmen an ihrem Lauf inzwischen zu dreckig war. Das läutete spätestens ab den 1930er-Jahren auch das schleichende Ende der Flussbäder ein.

Das erste von der Stadt verwaltete Licht- und Luftbad war das Georg-Arnhold-Bad. Eingeweiht worden war es vor 90 Jahren, am 27. Mai 1926 – im Übrigen ein Jahr vor dem Naturbad im Zschonergrund, das nach langwieriger Sanierung 2015 wieder eröffnet wurde. Das vom Volksmund als „Arni“ liebkoste Bad am Großen Garten gehörte als internationale Wettkampfstätte zur Ilgen-Kampfbahn, heute Standort des DDV-Stadions, und bekam eine 100-Meter-Schwimmbahn und einen Zehn-Meter-Turm. Die Bauleitung hatte Paul Wolf.

Dass überhaupt gebaut wurde, verdanken die Dresdner dem Geheimen Kommerzienrat Georg Arnhold, der drei Viertel des nötigen Geldes spendete. Im Gegenzug erhielt das Bad den Namen des Stifters. Weil der Banker aber Jude war, bezeichneten die Nazis die Einrichtung ab 1935 als Güntzwiesenbad. 1948 gab es dann die Rückbenennung. Nach mehreren Umbauten zählt das Georg-Arnhold-(Frei)Bad heute zu Dresdens Kulturdenkmälern. Halbstarke Machos und kichernde Mädchen besuchen es immer noch gern.