Merken

Starrsinn bis zum Schluss

Abschied mit DDR-Fahne bei der Trauerfeier in Santiago de Chile – Margot Honecker (89) starb am anderen Ende der Welt. Die Trauerfeier für die eiserne Lady der DDR ist auch eine Zeitreise.

Teilen
Folgen
© dpa

Peter Heimann

Santiago de Chile. Tochter Sonja hatte beim Studium in Dresden den Chilenen Leo Yanez Betancourt kennengelernt und ihn trotz anfänglichem Sträuben der Eltern 1974 geheiratet. Keine 20 Jahre später folgten erst Margot, später auch Ehemann Erich Honecker dem Schwiegersohn in dessen Heimat – beide auf der Flucht vor ihren Landsleuten und der deutschen Justiz .

Auf dem Friedhof Parque del Recuerdo in der Hauptstadt Santiago de Chile versammelten sich am Samstag rund 50 Trauergäste, um Abschied von Margot Honecker zu nehmen.
Auf dem Friedhof Parque del Recuerdo in der Hauptstadt Santiago de Chile versammelten sich am Samstag rund 50 Trauergäste, um Abschied von Margot Honecker zu nehmen. © dpa
Margot Honecker, Witwe des früheren DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker, ist am Freitag im Alter von 89 Jahren gestorben.
Margot Honecker, Witwe des früheren DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker, ist am Freitag im Alter von 89 Jahren gestorben. © dpa

Chile hatte die Honeckers in einem „humanitären Akt“ in Erinnerung an solidarische DDR-Zeiten aufgenommen. Anfang der 70er-Jahre waren Tausende Chilenen vor Diktator Pinochet geflohen. In die DDR waren vor allem viele Sozialisten gekommen, darunter die spätere chilenische Präsidentin Michelle Bachelet.

Neben den chilenischen Freunden waren es aber vor allem die wenigen verbliebenen Freunde in Nicaragua und Kuba, die Margot Honecker nach dem Tod ihres Mannes unterstützten. Beinahe jedes Jahr, berichten Genossen von früher, flog Margot Honecker auf die Sonneninsel und wurde von kubanischen Medizinern durchgecheckt und behandelt. Meist schloss sich daran ein Urlaub an, oft angeblich gemeinsam mit den früheren NVA- und DDR-Grenztruppen-Generalen Keßler, Streletz und Baumgarten .

Vorigen Freitag ist Margot Honecker an Krebs gestorben, im Alter von 89 Jahren, im Exil am anderen Ende der Welt. Bei einer Trauerfeier haben ein paar Dutzend Angehörige und politische Freunde von der früheren DDR-Volksbildungsministerin Abschied genommen. Ein Sarg mit der Leiche Margot Honeckers war auf dem Friedhof Parque del Recuerdo aufgebahrt, bedeckt mit einer DDR-Fahne und roten Nelken. An diesem Montag soll der Leichnam eingeäschert werden. „Ruhe in Frieden, Mama, wir werden dich vermissen“, sagte Tochter Sonja laut Trauergästen.

Daheim rühmt – aus plausiblen nicht-familiären Gründen – kaum jemand ihr Wirken. Im Gegenteil: Wolfgang Thierse bezeichnete Margot Honecker mal als eine der meistgehassten Personen der DDR. Sie galt als unbelehrbar, geradezu starrsinnig – bis zum Schluss. Mehr als ein Vierteljahrhundert hatte die frühere Ministerin für Volksbildung sozialistische Ideologie an Schulen und in Kindergärten in der DDR durchgesetzt. 1978 führte sie an den Schulen Wehrunterricht ein. Ihre Amtszeit ist mit Themen wie Zwangsadoptionen, Jugendwerkhöfen, Schul-Relegationen oder Erziehung zum Hass verbunden.

Noch heute schlagen sich ältere Ostdeutsche mit den Spätfolgen des „sozialistischen Bildungssystems“ herum, der anerzogenen Doppelzüngigkeit, dem Duckmäusertum, dem Aussprechen von Wahrheiten nur hinter vorgehaltener Hand. Auch wenn sie sich selbst nur an die oft vorbildliche Fachausbildung erinnern.

Margot Honecker, Mädchenname Feist, wurde 1927 in Halle an der Saale geboren. Sie gehörte zunächst dem nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädel an, trat 1945 der KPD bei. Sie machte rasch in der FDJ Karriere und wurde Vorsitzende der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“. Als junge Funktionärin lernte sie den 15 Jahre älteren FDJ-Chef Erich Honecker kennen und brachte 1952 die gemeinsame Tochter zur Welt. Wegen der öffentlichen Moral ließ sich Honecker auf Druck seiner Genossen von seiner zweiten Ehefrau scheiden und heiratete 1953 Margot Feist.

„Wir müssen die Jugend zu einer revolutionären Ungeduld gegenüber allem erziehen, was nicht in unsere Zeit passt“, war ein Kernsatz der Frau mit den lila-blau schimmernden Haaren. Und es gab viel, was nicht in ihre Zeit passte. Schüler, die an der Wandzeitung Fragen zu Militär und Rüstung stellten, oder Gorbatschows Perestroika mit seinen „Schmierfinken“. Die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc war für sie „eine Verbrecherbande“, die Ungarn Verräter am ganzen sozialistischen Lager. Die Ausreisewelle konnte die Ministerin nicht verstehen: „Sind die Leute so blöd? Die haben doch in der Schule gelernt, was Kapitalismus bedeutet.“

Margot Honecker wurden in der DDR verschiedene Verhältnisse mit Prominenten nachgesagt – nie aber wurde etwas bestätigt. Mitunter fuhr sie, wie ihr Kraftfahrer „Schorsch“ Melzer später erzählte, mit ihrem weißen Wartburg allein aus der Waldsiedlung Wandlitz. Dabei versteckte sie sich hinter einer Sonnenbrille. In ihrer Handtasche habe sie immer eine verchromte Pistole, Marke Browning, gehabt.

Margot Honecker verteidigte bis zuletzt ihre sozialistischen Überzeugungen. Sie stehe zur DDR und lege ihre Sicht nicht auf dem Altar der Zeitgeschichte nieder, auch wenn man sie als „Unbelehrbare“ verleumden würde, beharrte sie. 2012 sagte sie zu den erschossenen DDR-Flüchtlingen, es sei dumm gewesen, über die Mauer zu klettern. Politische Häftlinge seien kriminell, die Stasi legitim gewesen. Traumatisierte Opfer, die in geschlossenen Jugendwerkhöfen litten, seien „bezahlte Banditen“.

In einem Interview-Buch gab die Hardlinerin zuletzt zu Protokoll, die DDR habe auf Gleichheit und Gerechtigkeit gefußt. Der sozialistische Staat sei nicht an seinen Fehlern gescheitert. Nein: „Wir haben es nicht vermocht, dem Gegner hinreichend Widerstand entgegenzusetzen.“ (mit dpa)