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Steckbrief für Gummibärchen

EU-Parlament. Der Streit um gesundheitsbezogene Angaben für Lebensmittel geht in die Schlussrunde.

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Von Detlef Drewes,SZ-Korrespondent in Brüssel

Nicht nur für das Hustenbonbon brechen schwere Zeiten an. Auch der Margarine, die Cholesterin senkt, und dem Gummibärchen, dem Vitamin C zugesetzt wurde, haben die europäischen Gesundheitspolitiker den Kampf angesagt. In der kommenden Woche wird der Umweltausschuss des EU-Parlaments über eine Verordnung beraten, vor der nicht nur der Süßwarenindustrie graut. Nahezu die gesamte Lebensmittelbranche wäre betroffen, wenn die EU künftig so genannte Nährwert-Profile auf den Packungen verlangt.

Bei diesem ernährungswissenschaftlichem Steckbrief geht es darum, gesundheitsbezogene Angaben wissenschaftlich zusammenzufassen. Der Schwerpunkt soll auf dem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt liegen. Bestimmte Angaben auf der Packung wie „zuckerreduziert“ oder Kartoffelchips „mit Calcium für den Knochenaufbau“ wären dann untersagt oder müssten auf der Tüte mit wissenschaftlichen Angaben belegt werden. „Hustenbonbons beispielsweise dürften diese Bezeichnung nicht mehr tragen und Angaben wie ,wohltuend für Hals und Rachen’ wären für Hustenbonbons künftig mehr zulässig“, heißt es in einer Erklärung der Süßwarenindustrie.

Hintergrund der EU-Rochade gegen solche gesundheitsbezogenen Angaben sind Statistiken, nach denen vor allem Kinder und Jugendliche massiv unter Übergewicht leiden. Studien belegen nämlich, dass 32 Prozent der heutigen Jungen und 36 Prozent der Mädchen später mit Diabetes zu tun haben werden. Die Folgekosten für die Krankenkassen werden auf 32 Milliarden Euro geschätzt. Abgesehen von den horrenden Belastungen für die notwendigen Gutachten lehnen die Lebensmittel-Hersteller die Verordnung vor allem deswegen ab, weil Nährwert-Profile in die Irre führten. „Niemand ernährt sich ausschließlich von demselben Lebensmittel. Es kommt vielmehr auf eine ausgewogene Mischkost aus vielen Lebensmitteln an“, argumentieren die Vertreter der Industrie.

„Überzogene“ Richtlinie

Sie haben inzwischen Unterstützung bekommen, denn vielen Abgeordneten im EU-Parlament erscheint die allzu rigide Richtlinie doch „überzogen“, wie es der CSU-Politiker und Vizepräsident des Parlament, Ingo Friedrich, nennt. „Nährwert-Profile sind völlig unbrauchbar und ein Beispiel für überzogene europäische Regulierung“, meinte er. Und zog damit die Mehrheit auf seine Seite. In der ersten Lesung scheiterte der Versuch der Kommission, die Nährwert-Profile in der Richtlinie durchzusetzen. Stattdessen war das Straßburger Plenum der Meinung, jede zutreffende und wissenschaftlich begründbare gesundheitsbezogene Angabe müsse grundsätzlich zulässig sein. Lediglich bei Süßigkeiten und anderen Lebensmitteln für Kinder wollte man streng sein.

Wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung des Parlamentsausschusses ist deshalb nicht absehbar, wer sich am Ende durchsetzen wird. Sicher scheint jedenfalls im Moment zu sein, dass der Verbraucher möglicherweise schon ab Sommer im für Kinder verführerischen Süßwaren-Regal vergeblich nach Leckereien mit dem Aufdruck „zuckerarm“ oder „fettfrei“ suchen wird. Stattdessen darf er dann umfangreiche Mini-Gutachten auf jeder Packung studieren.