Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Merken

Stiller Aufstieg auf die Hohe Liebe

Auf dem Felsen ist ein Denkmal den verstorbenen Bergsteigern gewidmet. Am Totensonntag wird es jedes Jahr geschmückt.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Gunnar Klehm

Es ist still auf dem Weg nach oben. Dabei ist es eigentlich eine lustige Truppe, die sich am Sonntagmorgen von der Ostrauer Mühle aus aufmacht, auf die Hohe Liebe zu wandern. Doch an diesem Tag geht es nicht darum, einen neuen Gipfel zu besiegen. Der Aufstieg wäre dann von Vorfreude geprägt. Heute ist jeder der Hobby-Kletterer nachdenklich. Es ist auch keine Schwierigkeit, das Ziel zu erreichen. Ein Seil braucht niemand. Am Totensonntag verbindet die Bergsteiger etwas anderes.

„Jeder Bergsteiger weiß, dass es beim Klettern im Elbsandstein immer ein Restrisiko gibt“, sagt Tino Gräfe. Er gehört der Kletterriege Schandau 06 an. Selbst war er zwar noch nie in Lebensgefahr, doch hat er schon viele dramatische Situationen miterlebt. Seit zehn Jahren ist er ehrenamtlich Mitglied in der Bergwacht, wird mehrmals im Jahr zu Einsätzen gerufen. Seinen Pieper hat er immer am Mann.

Ein Fall ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Da wurde die Bergwacht ins Bielatal gerufen. Ein Teenager war vom Schraubenkopf gestürzt. „Der Rettungsdienst war schneller. Wir haben dann noch geholfen. Aber der Junge ist verstorben“, sagt Tino Gräfe. Lieber erzählt er jedoch von anderen Einsätzen. So von dem im Sommer am Falkenstein. Ein Pärchen seilte sich dort gerade ab. Als sich ein Seil auf einer Zwischenstation verhedderte, kamen sie nicht mehr weiter und saßen im Felsen fest. Mit dem Telefon riefen sie um Hilfe. „Ein Hubschrauber hat uns auf den Gipfel gebracht. Über die Kufe sind wir ausgestiegen“, erzählt Gräfe. Dann haben sie die zwei nach unten gebracht.

Diese Rettung ging gut aus. In vielen anderen Fällen ist das nicht so. Die Bergwacht in der Sächsischen Schweiz musste in diesem Jahr bereits 58-mal ausrücken, um verletzten Wanderern und Bergsteigern zu helfen. 2012 waren es nur 43 Einsätze. Eine Stunde ist Tino Gräfe mit seinen Freunden von der Ostrauer Mühle bis zur Hohen Liebe unterwegs. Der Blick von dort oben reicht weit, auf den Falkenstein, auf Schrammsteine, Buchhübel und Affensteine. Auf vielen Felsen sind die Metallhülsen für die Gipfelbücher zu erkennen. Es sind Eintragungen für die Ewigkeit.

Wagemut und Gefahr

Dass das Leben auch schnell ein Ende haben kann, wissen die Bergsteiger. Viel wird in die Sicherheit investiert. Das Material wird immer strapazierfähiger. Die Freude am Klettern ist ungebrochen. 9 000 Mitglieder gehören dem Sächsischen Bergsteigerbund an. Und dennoch lohnt sich ein Innehalten, wie jetzt am Totensonntag.

Umrahmt wird die Gedenkstunde von einem Chor des Sächsischen Bergsteigerbundes (SBB). Er singt vom Wagemut der Kletterer, aber auch von der Gefahr, dem Risiko. Das einschätzen zu lernen, kann am Berg überlebenswichtig sein. Auch deshalb ist die Besinnung auf der Hohen Liebe jedes Jahr wieder aktuell.

„An diesem Tag denkt man auch nicht nur an Bergsteiger. Voriges Jahr starb mein Vater, das ist heute natürlich auch präsent“, sagt Tino Gräfe. Er und seine Bergfreunde treffen sich Ende November nicht nur wegen des Gedenkens. Das ganze Wochenende schauen sie zusammen Bergfilme. Vor vier Jahren hat das angefangen. Inzwischen gibt es ein richtiges Programm. Zum Glück hat ein guter Freund ein großes Haus, denn mittlerweile kommen 50 bis 60 Leute und haben Spaß miteinander. Bis zum Sonntagmorgen.