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Stollen gegen das Heimweh

Zwischen Ostritz und Oppach bieten Bäcker ihr Weihnachtsgebäck im Internet an – und liefern vor allem in den Westen.

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© SZ Thomas Eichler

Von Susanne Sodan

Die vier Mohnstollen sind schon unterwegs. Vielleicht hält der Mann, der sie bestellt hat, das Paket sogar schon in Händen. Im Büro von Bäckermeister Gottfried Paul stapeln sich leere Kisten. Im Erdgeschoss der Herrnhuter Bäckerei gibt’s den Inhalt dazu: Bleche voller Butterstollen stehen auf Metallregalen. Pauls Mitarbeiterinnen kümmern sich um den letzten Schliff, die Zuckerdecke. So sieht es dieser Tage in vielen Bäckereien aus: Startschuss fürs Stollenbacken. Der Verkauf läuft aber längst nicht mehr nur im Laden vor Ort. Viele Bäcker in der Region bieten Rosinen- und Mohnstollen, Plätzchen und Kuchen auch über Onlineshops an und verschicken ihre Waren deutschlandweit. Und darüber hinaus. Die ersten Bestellungen sind da. Zum Beispiel: Vier Mohnstollen für einen Herren aus der Nähe von Duisburg.

Die Kundschaft:Süßes für Ex-Ostdeutsche

„Die meisten Bestellungen im Onlineshop kommen aus Westdeutschland“, erzählt Gottfried Paul. Von Heimwehkunden, wie er sie nennt. Leute also, die in der Region aufgewachsen und nach der politischen Wende fortgegangen sind. „Manche haben auch nie hier gelebt, sondern sind die Nachkommen derer, die in der Region ihre Wurzeln hatten“, so Paul. „Eine Online-Kundin hat mir mal geschrieben, ihre Vorfahren hätten das Haus erbaut, in dem ich jetzt meine Bäckerei betreibe.“

Onlinekundschaft aus Westdeutschland, das haben auch andere Bäcker beobachtet. „Viele Bestellungen kommen bei mir aus dem Stuttgarter Raum“, erzählt Andreas Füssel, Inhaber der gleichnamigen Neueibauer Bäckerei. Auch bei ihnen handelt es sich oft um gebürtige Oberlausitzer. „Das bekomme ich immer mit, wenn ich mit den Kunden mal telefoniere. Sie erzählen dann gerne von ihrer Zeit hier“, so Füssel. „Für viele, die ausgewandert sind, scheint der Stollen eine Verbindung in die Heimat zu bleiben“, erzählt Anett Geißler. Ihr Mann ist Inhaber der Bäckerei Geißler in Ostritz – und mit seinem Stollen Erwecker von Kindheitserinnerungen.

Die Zahlen:Neue Kunden nach Hochwasser

Alle drei Bäcker betreiben ihren Onlineshop seit rund zehn Jahren. Über die Zeit, da sind sie sich einig, habe die Zahl der Internetbestellungen spürbar zugenommen. Wie viele Stollen sie pro Weihnachtssaison verschicken? „Es ist unterschiedlich“, sagt Andreas Füssel. „Mal bringen wir pro Woche 20 Pakete zur Post, in der Hochzeit sind es auch schon mal 50 gewesen.“ Allerdings handelt es sich dabei nicht nur um Onlinebestellungen. In seinem Geschäft liegen auch klassische Bestellscheine aus. „Die sind für Kunden, die zum Beispiel ihren Verwandten in der Ferne einen Stollen schicken möchten, sich aber nicht selber um den Versand kümmern wollen“, erklärt er. Die weiteste Reise machte bei ihm ein Stollen, den er nach Südafrika schickte.

Anett Geißler schätzt die Zahl der Weihnachtspakete ebenfalls auf rund 20 pro Woche. „2010 haben wir viele neue Kunden dazubekommen“, erzählt sie. Wegen des Hochwassers. Bilder von der Katas-trophe – und auch von der überfluteten Bäckerei – waren in ganz Deutschland zu sehen. „Dadurch sind viele Menschen auf uns aufmerksam geworden.“ Und haben Backwaren bestellt, um zu helfen. Trotzdem, ein wirtschaftliches Standbein seien die Onlineshops nicht. „Dafür müssten vielleicht zehnmal so viele Bestellungen eingehen“, sagt Andreas Füssel. „Es ist ein kleines Zusatzgeschäft für sechs Wochen“, so Anett Geißler.

Die Kosten: Vorkasse oder doch lieber Paypal?

Ein Zusatzgeschäft, das viel Arbeit macht. Denn bei einem Onlineshop, egal in welchem Bereich, ist viel zu beachten. „Die gesetzlichen Formalia müssen immer stimmen“, erklärt Gottfried Paul. Und dann die Frage: Wie läuft es mit den Versandkosten und der Bezahlung? Das halten die drei Bäcker unterschiedlich: Andreas Füssel berechnete bei den Versandkosten eine Pauschale, die Kunden bezahlen über Rechnung oder Paypal. Bei Geißlers geht der Versandpreis nach Gewicht, die Bezahlung läuft über Paypal. Damit haben Händler mehr Kontrolle. Bei Gottfried Paul kostet der Versand ebenfalls eine Pauschale und ist ab einem bestimmten Bestellwert kostenlos. Bezahlt wird über Vorkasse. „Sobald das Geld bei uns eingegangen ist, geht der Stollen auf die Reise.“ Allerdings nur ungern Richtung Wochenende. „Da habe ich Angst, der Stollen könnte dann tagelang in einem zu warmen Lagerraum liegen.“

Der Versand: Kaputtgehen darf nichts

Damit ist man zurück bei Gottfried Pauls Kistensammlung in seinem Büro und im Lager. Für den Versand packt er die Stollen zunächst in eine Folie, dann in eine grüne, passgenaue Schachtel. Die wiederum kommt in eine stabilere Kiste. Paul nutzt das, was ohnehin da ist: Kartons, in denen er seine Zutaten geliefert bekommen hat. Fehlt noch das Füllmaterial, damit nichts verrutscht: Styropor und Luftkissen. „Man könnte das alles sicherlich schöner gestalten.“ Zum Beispiel mit extra gestalteten Versandkartons oder gar Holzkisten. „Aber das würde die Produkte für die Onlinekunden noch viel teurer machen“, so Paul.

Obwohl er selber einen Onlineshop führt, steht er dem Handel über das Internet skeptisch gegenüber. „Ich halte nicht viel davon, Lebensmittel durch ganz Deutschland zu karren“, sagt er. Geht es um Stollen und andere regionale Spezialitäten, hat er Verständnis. Kokoslänge, Herrnhuter Schwesternküsse, Zinzendorfschnitte, schlesischen Mohnstollen – das gibt es eben nirgendwo anders. „Ansonsten bin ich eher ein Freund des Regionalkaufs.“ Ab und an gehen bei ihm auch Bestellungen für Brot und Brötchen ein. „Bei solchen Bestellungen habe ich ein schlechtes Gewissen.“ Was die drei Bäcker auch nicht mögen: zu viel Anonymität beim Handel übers Internet. „Ich stecke in die Pakete immer eine Grußkarte mit rein“, erzählt Andreas Füssel. Bei Gottfried Paul ist es ein Tütchen mit Plätzchen und Anett Geißler hat früher sogar jedem Onlinekunden einen Brief mitgeschickt. Mit der Zunahme der Bestellungen ist das zu aufwendig geworden. „Ich muss mir etwas Neues ausdenken“, sagt sie und lacht.

Das ist ein Beitrag aus unserer Reihe Kauf lokal. Hier finden Sie weitere Informationen und Beiträge dazu.