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Die "Judensau" darf hängen bleiben

Seit mehr als 700 Jahren hängt die Schmähplastik an der Wittenberger Stadtkirche. Dort darf sie auch bleiben, zumindest vorerst, entschied ein Gericht.

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Die Schmähplastik "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche.
Die Schmähplastik "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche. © dpa

Naumburg. Das antijüdische Relief an der Wittenberger Stadtkirche in Sachsen-Anhalt muss vorerst nicht entfernt werden. Das Oberlandesgericht Naumburg wies am Dienstag die Berufungsklage eines Mannes gegen die evangelische Stadtkirchengemeinde zurück, die Schmähplastik zu entfernen. 

Die als "Judensau" bezeichnete Sandsteinplastik, die im 13. Jahrhundert entstanden ist, sei isoliert betrachtet eine Beleidigung. Jedoch habe sie als Teil eines heutigen Mahnmals mit Erklärtafel an der Kirche keinen beleidigenden Charakter mehr, hieß es in der Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters des 9. Zivilsenats, Volker Buchloh.

Fakten zur Wittenberger "Judensau"

Das Sandsteinrelief wurde um das Jahr 1300 an der Südfassade der Stadtkirche Wittenberg angebracht. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein.

Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am oder im Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg.

Über der Wittenberger "Judensau" prangt wohl seit 1570 zusätzlich der Schriftzug "Rabini Schem HaMphoras", ein hebräischer Verweis auf den unaussprechlichen Namen Gottes bei den Juden. Die Ergänzung wird mit einer Schrift von Reformator Martin Luther (1483-1546) in Verbindung gebracht, der in Wittenberg wirkte und vor allem in seinem Spätwerk gegen Juden hetzte.

Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte unterhalb des Reliefs anbringen. Ihre Inschrift nimmt Bezug auf den Völkermord an den Juden im Dritten Reich, die Plastik selbst findet jedoch keine Erwähnung. Durch Gedenkveranstaltungen und Führungen hat sich laut der Gemeinde eine rege Erinnerungskultur entwickelt.

Der Wittenberger Stadtrat sprach sich Mitte 2017 für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ in Absprache mit der Gemeinde eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch errichten. Darauf wird die Skulptur in ihren historischen Kontext eingebettet. Zudem finden sich Verweise auf Luthers Antisemitismus und Judenverfolgungen in Sachsen. 

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Zugleich ließ der 9. Zivilsenat des OLG eine Revision vor dem Bundesgerichtshof zu. Das Urteil ist damit noch nicht rechtskräftig. Der Kläger Michael Dietrich Düllmann ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Er hatte argumentiert, die Schmähplastik sei eine Beleidigung von Menschen jüdischen Glaubens, diffamiere das Judentum und symbolisiere täglich den Antisemitismus in der Kirche und in der Gesellschaft.

Antijüdische Plastiken gibt es in Deutschland auch an anderen Kirchen wie dem Kölner Dom. Gegen das Urteil des OLG kann der Kläger innerhalb von vier Wochen nach Zustellung Revision einlegen, wie ein Gerichtssprecher erklärte. (dpa)