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Suche nach schwarzen Schafen

Grenzkriminalität hat Zittau zur unsichersten Gegend in Sachsen gemacht. Zu lange war das Thema ein Tabu.

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Von Thomas Schade

Kerstin Herrmann ist vorsichtig geworden, wenn sie Fremde sieht. Sie schaut in die Dämmerung und beobachtet einen Mann, der durch den Schnee stapft. „Da ist er wieder“, ruft sie. Die Inhaberin der kleinen Mode-Boutique am Markt von Hirschfelde würde am liebsten aus ihrem Geschäft laufen, um den Mann zu schnappen. Doch er war schnell wieder hinterm Haus verschwunden – so wie schon einmal.

Damals, am 10. November, waren ihr zwei junge Kerle am Haus verdächtig erschienen. „Als ich hinauslief, um nachzusehen, hatte einer schon alle vier Radkappen meines Autos unterm Arm, der Zweite stand Schmiere“, erzählt Kerstin Herrmann. Die Diebe bemerkten die Geschäftsfrau und türmten. Im Auto verfolgte sie die Männer, die durch die Neißegasse zum deutsch-polnischen Grenzfluss flüchteten. „Ich sah, wie sie durch die Neißewiesen rannten und über die Eisenbahnbrücke nach Polen verschwanden“, erzählt sie.

„W“ wie weg, „g“ wie ganz weg

Tage später sieht Kerstin die Diebe auf einem Foto wieder. Das hatte Ortschronist Torsten Töpler am 16.November geschossen. Dem Hischfelder Ortschronisten waren die beiden Männer aufgefallen. „Die sahen sich oft um, wühlten in Containern am Diska-Markt“, sagt Töpler. Nach allem, was hier so passiert, entwickele man „einen siebten Sinn fürs Böse“. Töpler, ein großer, sportlicher Typ, beobachtete die Fremden unauffällig. Sie liefen kreuz und quer durch den Ort, der mit seinen 4800 Einwohnern seit einiger Zeit zu Zittau gehört. „Sie folgten keiner touristischen Route, die inspizierten Häuser, Grundstücke und Garagen“, erzählt Töpler. Er habe schließlich einen Schnappschuss gemacht, weil sie sich so auffällig verhielten. „Als ich das Foto sah, erkannte ich die Diebe meiner Radkappen sofort wieder“, sagt Boutique-Inhaberin Herrmann. Das Foto hat nun die Polizei. „Gehört haben wir bisher nichts“, so die beiden Hirschfelder.

Geschichten wie diese können Menschen in Zittau und Umgebung zuhauf erzählen. Ihnen fehlen Fahrräder, Gartenmöbel, Sandsteinfiguren, auch Rasenmäher und andere Gerätschaften. Öffentliche Einrichtungen bleiben nicht verschont. Allein im Dezember klauten Diebe in Zittau die neuen Dachrinnen am Gerhart-Hauptmann-Theater und Computer aus der Technischen Hochschule.

Anfang Dezember verhinderte eine Frau aus Löbau, dass drei Tschechen zwei gebrauchte Audis aus dem Autohaus Voigt stehlen. Sie ging mit ihrem Hund gerade Gassi und beobachtete Diebe bei der Arbeit. Sie alarmierte die Polizei. Die schnappte die Männer in Ebersbach kurz vor der Grenze.

In der Äußeren Weberstraße in Zittau war wenige Tage zuvor kein Schutzengel mit Hund unterwegs, als vom Hof des Autohauses Garant zwei Audi A4 Avant verschwanden. „W“ wie weg und „g“ wie ganz weg“ seien die Autos im Wert von über 35000 Euro, sagt Geschäftsführer Ralf Winkel. Die Firma wurde nicht das erste Mal bestohlen. „Wir bauen jetzt Leitplanken auf und stellen jede Nacht ein Fahrzeug in der Einfahrt quer“, sagt Winkel. „Wenn sich nichts ändert, müssen wir einen Zaun bauen und nachts Hunde laufen lassen“, sagt er. Kundenfreundlich sei das nicht.

Vor wenigen Tagen musste sich Sachsens Polizeichef Bernd Merbitz anhören, dass die Zustände nicht länger hinnehmbar seien. Die Bürgermeister der Gegend, die Kfz-Innung und die Industrie- und Handelskammer (IHK) hatten zum Krisengespräch geladen. Fast zeitgleich war in einem Bericht des Innenministeriums bekannt geworden, wie dramatisch die Kriminalität in Zittau und Umgebung angestiegen ist. In den vergangenen zwei Jahren wurde die ostsächsische Grenzregion zum Gebiet mit der höchsten Kriminalitätsbelastung in Sachsen. Der Autoklau hat sich fast verdreifacht. Bei Diebstählen liegt der Zuwachs zwischen 34 und 56 Prozent. Alles Delikte, die die Bürger besonders verunsichern.

Wo ist denn hier die Grenze?

Der Frust ist groß, „weil sich nichts tut“, sagt eine Bürgermeisterin. Die Polizei vor Ort steht dem Phänomen teilweise ohnmächtig gegenüber. Zwei Sonderkommissionen namens „Schornstein“ und „Mobile“ versuchen seit Monaten, dem straff organisierten Autoklau auf die Spur zu kommen. Ständig sind mehr als 50 Bereitschaftspolizisten zusätzlich in der Grenzregion unterwegs. Aber sie sind nicht ortskundig und kontrollieren nachts auch schon mal den Zittauer Hauptamtsleiter Thomas Mauermann nach allen Regeln der Vorschrift. Beim Abschied fragte einer der Beamten: „Wo ist denn eigentlich die Grenze?“ Mauermann macht den Beamten keinen Vorwurf, fragt aber, ob die Leute optimal eingesetzt sind. Jetzt räumt auch das Innenministerium ein: Bürger und Unternehmen in den Grenzregionen „fühlen sich durch den Anstieg der Eigentumskriminalität zunehmend bedroht“.

Vor gerade mal zwei Jahren haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und die höchsten Repräsentanten der EU eben hier im Zittauer Drei-Länder-Eck Polen und Tschechien im gemeinsamen Europa willkommen geheißen. „Freude, schöner Götterfunken“ schmetterte damals das Polizeiorchester. Wer diesen Schritt in Richtung „Freiheit und Sicherheit“ für verfrüht hielt, galt als Unkenrufer. Entsprechend schwer tat man sich seither mit den Tatsachen. Nach dem Abbau der Schlagbäume gab es in Sicherheitsbehörden zeitweise Sprechverbote über Grenzkriminalität–immer mit dem Verweis, die Situation vor und nach dem Beitritt sei nicht vergleichbar, und die gefühlte Unsicherheit sei viel größer als die tatsächliche.

Nun wurden einige Sicherheitspolitiker von den Tatsachen eingeholt. „Wir haben schon 2008 in einer Sicherheitskonferenz mit 200 Teilnehmern in Ebersbach auf die Probleme aufmerksam gemacht“, sagt Gudrun Laufer, die Zittauer IHK-Geschäftsstellenleiterin. Damals versuchte der Innenminister noch, die Sorgen der Unternehmer mit tollen Aufklärungsraten seiner Polizei zu entkräften.

„Die Situation gefährdet mittlerweile Zittau als Wirtschaftsstandort und als Tourismusregion ebenso wie die Lebensqualität der Bürger“, sagt Gudrun Laufer. Ursache sei die nachlassende Präsenz der Sicherheitskräfte seit der Grenzöffnung. Die Bundespolizei zieht schrittweise ab, die Landespolizei kann den Aderlass nicht kompensieren. Das sei nicht länger akzeptabel, sagt Gudrun Laufer und verweist auf den Zittauer Getränkehändler Wolfgang Märkisch.

Nach einem Dutzend Einbrüchen hat er einen zweiten Sicherheitszaun um seinen Stammsitz gebaut. Mit Stacheldraht schützt er nun Leergut vor Dieben. Hoteliers im Zittauer Gebirge erwogen, ihren Gästen Sicherheitskrallen für die Autos anzubieten. Es gehe um das Image der Region, sagt Gudrun Laufer. „Wir werden diese Fragen im Interesse unserer Betriebe so lange thematisieren, bis sich was ändert.“

Torsten Töpler in Hirschfelde glaubt: Weder der Region noch dem europäischen Gedanken sei gedient, „wenn um das Problem herumgeredet wird“. „Pauschalurteile gegen die Menschen jenseits der Grenze fördern die Nachbarschaft nicht. Deutsche, Tschechen und Polen müssen gemeinsam die schwarzen Schafe auf jeder Seite der Grenze unschädlich machen.“ Auch Zittaus Oberbürgermeister Arnd Voigt sieht in der effizienteren Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden einen Schlüssel zur Lösung der prekären Lage. „Da wurde viel Zeit verschlafen“, sagt Voigt, der im Ortsteil Hartau wohnt, 200 Meter vor der Grenze. Wenn drüben im tschechischen Hrádek die Musik zu laut spiele, dann rufe er seinen Amtsbruder Petr an. „Das dauert keine halbe Stunde, dann ist Ruhe“, sagt Voigt. So müsse das bei der Polizei auch sein.

Gespräche mit den Nachbarn

Landespolizeichef Bernd Merbitz hat bis Freitag in Krisengesprächen mit den obersten Chefs der tschechischen und polnischen Polizei versucht, dem Wunsch des Zittauer OBs ein Stück näherzukommen. Mit beiden Ländern seien zahlreiche Maßnahmen vereinbart worden. Damit könne die Fahndung im Grenzgebiet qualitativ erheblich verbessert werden. „Es geht darum, Informationen schneller auszutauschen und zu organisieren, dass Täter noch auf der Flucht im jeweils anderen Land unverzüglich festgenommen werden“, sagt Merbitz. Es gebe weitreichende Zusagen aus Prag und Warschau, um den bandenmäßig organisierten Autodieben das Handwerk zu legen. „Wir sind ein gutes Stück vorangekommen, und alle Seiten erwarten konkrete Ergebnisse“, sagt Merbitz. Er kündigt an, bei der ostsächsischen Polizei zusätzlich 80 bis 90 Stellen zu schaffen. Außerdem würden Fahrzeuge der Bereitschaftspolizei mit Navigationssystemen ausgerüstet–„damit ortsfremde Beamte künftig nicht mehr nach der Grenze fragen müssen“, so Merbitz.