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Tannhäuser im Citroën

Die Wagner-Festspiele haben mit der Wartburg-Oper eröffnet. SZ-Kritiker Jens Daniel Schubert war in Bayreuth zur Premiere - und ist beeindruckt.

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Tannhäuser als trauriger Clown (Stephen Gould) neben der coolen Braut Venus (Elena Zhidkova) in der neuen Bayreuther Produktion.
Tannhäuser als trauriger Clown (Stephen Gould) neben der coolen Braut Venus (Elena Zhidkova) in der neuen Bayreuther Produktion. © Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

Wer den Bayreuther Festspielbetrieb kennt, weiß, dass Schaulustige stundenlang in sengender Hitze darauf warten, dass Promis aus Politik und Kultur vorm Festspielhaus vorfahren. Das ist Ritual am Anfang wie die lautstarke Buh-Bravo-Schlacht am Ende. Gewonnen haben diesmal die Bravos, für die Sänger und Musiker ganz zweifellos, für das Regieteam zu Recht und beim Dirigenten nicht ganz eindeutig – bei der „Tannhäuser“-Premiere, die am Donnerstag die Festspiele eröffnete.

Valery Gergiev am Pult des Festspielorchesters ließ Vieles der Wagner-Partitur um den Sängerwettstreit auf der Wartburg im Groben, während Regisseur Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier mit übersprudelnder Lust, Anspielungen und ironische Zitate in ihre Inszenierung einbauen. Zusammen mit den Videos von Manuel Braun entsteht ein multimediales Gesamtkunstwerk, an dem wohl Wagner mehr Freude gehabt hätte als die Fraktion seiner konservativen Fans.

Bayreuth als ironisches Spiel

Tannhäuser ist des Künstlers Alter Ego, zwischen Venus und Elisabeth, zwischen Hure und Heiliger, im Streit Hochkultur und alternativer Szene. Manche Interpreten zeigen Prinzipielles, andere die zwei Seiten einer Frau. Kratzer und sein Team drehen den Spieß um. Es sind zwei Frauen, Menschen mit Ecken und Kanten.

Venus’ „Hörselberg“ ist ein uralter Citroën-Lieferwagen, der einer freien Künstlergruppe als Tourbus dient. Neben der coolen Braut Venus in engen Glitzerhosen und Tannhäuser, dem traurigen Clown, gibt es noch eine schwarze Drag-Queen und einen Kleinwüchsigen mit Blechtrommel. In der ersten Stückpause liefern sie am Weiher vorm Festspielhaus eine Probe ihres Könnens. Die Festspiele öffnen sich zur Stadt. Natürlich ohne Tannhäuser, denn der ist ausgestiegen, nachdem Venus beim alltäglichen Beutezug um Benzin und Burger einen Polizisten umgefahren hat.

Die spontane Truppe à la Bonnie und Clyde, alternativ und eigentlich sympathisch unangepasst, lebt rücksichtslosen Egoismus. Tannhäuser springt aus dem fahrenden Bus. Er landet am Grünen Hügel. Das Bayreuther Festspielhaus wird mit viel Selbstironie als Hort der hehren Kunst gezeigt. Insbesondere Wolfram von Eschenbach will den Tannhäuser zurück, mehr das Stück, als tatsächlich den Helden. Elisabeth, die er gegen ihren Willen und seine eigenen Ambitionen als Lockvogel nutzt, ist keine Heilige. Tannhäuser fängt er sich als Erstes eine Ohrfeige ein. Später demonstriert sie dem Ex ihre zerschnittenen Unterarme.

Kratzers Inszenierung begnügt sich nicht damit, die ungewöhnliche Konstellation durchlaufen zu lassen. Trotz vieler hintergründiger Anspielungen, die der Inszenierung eine heiter-ironische Grundstimmung geben, verliert er nie die Beziehungen der Protagonisten aus dem Blick. Der Sängerkrieg, im Stile einer alten Wolfgang-Wagner-Inszenierung auf die Festspielhaus-Bühne gestellt, wird durch Live-Kameras im Hinterbühnenbereich zum Theater auf dem Theater. Die Venus-Truppe dringt über den Festspielhaus-Balkon ein, nicht ohne ein Transparent mit ihrem Motto „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ aus Wagners Revoluzzer-Zeiten zu hinterlassen. So muss Tannhäuser im Wettgesang vor Elisabeth Venus nicht vorstellen. Sie ist, nachdem sie einem Edelknaben seines Kostümes beraubt und sich auf die Bühne geschummelt hat, leibhaftig da.

Tannhäuser steht zwischen den beiden Frauen. Und er steht an der Grenze des Rahmens, den der Theaterbetrieb, den die Hochkultur setzt. Es ist faszinierend wie genau die Regie die Figuren in Beziehung zueinander und beim Überschreiten dieser Grenze zeigt. Das letzte Bild, ein Schrottplatz nahe Bayreuth, ist gänzlich trostlos. Die Drag-Queen macht Werbung für Nobeluhren, Venus klebt illegal Plakate, der Liliputaner lebt verlassen im Wrack des Tourbusses. Elisabeth macht Liebe mit Wolfram als der wie Tannhäuser gekleidet ist. Er verarbeitet dies im „Lied an den Abendstern“ während sie sich nun endgültig die Pulsadern öffnet. Tannhäuser verbrennt, ohne dass ihn Wolfram daran hindern kann, seinen Klavierauszug. Die tote Elisabeth wie eine verkehrte Pieta im Arm träumt er von einer Fahrt im Tourbus mit ihr.

Das sind konsequente, berührende Bilder, weitab von Äußerlichkeiten und Albernheiten. Nur ein vorzügliches Sängerensemble, angefangen mit einem beeindruckenden Chor über die vielen Solisten bis zu den Protagonisten kann das so schlüssig umsetzen.

Stephen Gould ist ein beeindruckender Tannhäuser. Erfahren, aber niemals routiniert, singt er nicht nur kraftvoll, sondern zeichnet eine spannende Figur. Mit Lise Davidsen hat er eine ganz junge Partnerin als Elisabeth, deren Stimme eine Entdeckung ist. Sie spielt eine selbstbewusste junge Frau, schlüssig in jeder Szene, weder Engel noch Heilige, begehrenswert und liebesfähig, groß selbst im Scheitern.

Exzellente Protagonisten

Elena Zhidkova als ihre Konkurrentin Venus ist keine magisch Verführende, sondern eine ebenso handfeste wie aufregende Frau, mit der man Pferde stehlen möchte. Gewisse stimmliche Schärfen sind ein durchaus überzeugendes Gestaltungsmittel. Manche Vorgänge kann sie sich noch stärker zu eigenen machen. Allerdings ist sie wegen eines verletzungsbedingten Ausfalls auch erst spät in die Proben eingestiegen. Markus Eiche rundet das exzellente Protagonistenquartett ab. Er tut alles, um den „Tannhäuser“ zu retten. Er ist der Moderierende im Hintergrund, der eigene Ambitionen hinten an stellt. Wer den Festspielbetrieb kennt, weiß, wie wichtig gerade solche Menschen sind.

Wieder am 28. 7. sowie 13., 17., 21. und 25. 8. (Restkarten an der Tageskasse) sowie 2020.

TV-Tipp: Eine Aufzeichnung der „Tannhäuser“-Premiere vom Donnerstag zeigt 3Sat am 27. Juli ab 20.15 Uhr.

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