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Eintauchen ins flexible Display

Ob Baupläne oder Spiele im Weltraum-Setting: Ein elastisches Display der HTW Dresden soll tiefe Einblicke ermöglichen.

Von Jana Mundus
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Bis zu 50 Zentimeter tief können Nutzer ins elastische Display hineindrücken und ganz besondere Einblicke erleben. Entwickelt wurde es an der HTW Dresden.
Bis zu 50 Zentimeter tief können Nutzer ins elastische Display hineindrücken und ganz besondere Einblicke erleben. Entwickelt wurde es an der HTW Dresden. © HTW Dresden

Hineingreifen in die Planung und nachschauen, was sich in den Tiefen befindet. Das Gelände ist nicht mehr nur eine Komposition aus Strichen und Zahlen auf dem Computerbildschirm. Die junge Frau taucht mit den Händen hinein ins Geländeprofil. Je nachdem, wie tief sie sie bewegt, sieht sie direkt vor sich unterschiedliche Informationen zu den einzelnen Schichten. Dieses elastische Display ist keine Vision, es funktioniert schon. Der Prototyp entstand an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden. Es ist nur eine von vielen Ideen, die die dortigen Wissenschaftler dafür haben, wie Mensch und Technik in Zukunft miteinander kooperieren werden.

Gute Technologie-Ideen brauchen ihre Zeit, sagt Dietrich Kammer. Er ist an der HTW Dresden Inhaber der Professur für Technische Visualistik, die erste dieser Art in Deutschland überhaupt. „Nehmen Sie zum Beispiel die Computer-Maus“, erklärt er. „Die wurde bereits Ende der 1960er-Jahre erstmals auf einer großen Konferenz vorgestellt.“ Doch erst seit den 1990er-Jahren gehört sie an jedem PC zum Standard.

Kammers Spezialgebiet sind die Dinge, die es Menschen in Zukunft einfacher machen sollen, mit komplexen Daten umzugehen und diese für sich zu nutzen. Aus etwas Abstraktem werden Bilder. Aus einem Durcheinander an Informationen grafische Bedienoberflächen, mit denen der Mensch intuitiv arbeiten kann. An der Idee, wie ein elastisches Display funktionieren kann, arbeitet er schon seit fast zehn Jahren. Seitdem ging es vor allem darum, die Software dafür zum Laufen zu bringen.

Raumschiffe mittels Stoff steuern

Die zentrale Frage war und ist immer: Wo ist das Display nicht nur reines Spielzeug? Wo bringt es Mehrwert? Wo gibt es Grenzen, die es zu überwinden gilt? „Der Tisch mit dem Display ist zum Beispiel für das Baumanagement eine wunderbare Möglichkeit für Besprechungen“, erläutert er. Im Tiefbau könnte man durch das Hineindrücken bis hin zu Leitungen oder geologischen Besonderheiten in den Plänen vordringen.

Der jetzige Aufbau besteht aus einem Gestell, das mit elastischem Stoff, sogenanntem Spandex, bespannt ist. Dieser wird von mehreren Tiefenkameras in den Fokus genommen. Wer in den Stoff hineindrückt – bis zu 50 Zentimeter sind möglich –, spürt deutlich einen Widerstand. Dieses Hineindrücken gleicht dem Zoomen am Computerbildschirm, beschreibt es der Forscher. „Durch diesen Widerstand kann ich im Gegensatz zum Scrollen oder Zoomen viel genauer zu bestimmten Punkten navigieren.“ Das Display ließe sich aber auch an einer Wand installieren.

Kammer und sein Team sind Experten für die dafür notwendige Software. Optisch könnte die Hardware ein Update vertragen, gibt er ohne Umschweife zu. Deshalb kooperiert die Arbeitsgruppe mit Materialwissenschaftlern und den Produktdesignern der HTW. „Die Optik muss ja auch stimmen.“ Wer das Display jetzt schon ausprobieren will, hat im Heinz Nixdorf Museumsforum in Paderborn bereits Gelegenheit dazu. Dort steht eines, auf dem Besucher spielerisch die Art der Interaktion mit der Technik austesten können. Kleine Raumschiffe lassen sich dort per Druck in den Stoff steuern.

Dieses Stirnband hilft beim Finden des Ziels. Nun hat ein amerikanischer Helmhersteller Interesse bekundet.
Dieses Stirnband hilft beim Finden des Ziels. Nun hat ein amerikanischer Helmhersteller Interesse bekundet. © HTW Dresden

Ein zweites Projekt an der HTW Dresden will indessen das Fahrradfahren verändern. Die Arbeitsgruppe Tactile Vision von Georg Freitag, Inhaber der Professur Implementierung von Benutzeroberflächen, arbeitet an einem ganz besonderen Stirnband. Das soll Fahrradfahrern beim Navigieren helfen. Wie bei einem Kompass können die Radfahrer die Richtung zum gewünschten Ziel abrufen und ihre Routen selbstständig wählen. „Die Richtungsinformation wird dabei durch ein leichtes Vibrieren am Kopf, ein sogenanntes vibrotaktiles Feedback, vermittelt“, erklärt Freitag die Idee. So werden das Hören und Sehen wie beim Starren auf ein Navigationssystem auf dem Smartphone nicht beeinträchtigt und der Fahrer ist nicht abgelenkt.

Ursprünglich hatten die HTW-Wissenschaftler an einem Fahrradlenker gearbeitet, dessen Griffe ebenfalls per Vibration Informationen geben sollte. „Wir haben aber bemerkt, dass die Erschütterungen beim Fahren das Unterscheiden zwischen Feedback und bloßem Holpern auf der Strecke schwierig machen“, ergänzt Dietrich Kammer, der eng mit seinem Kollegen zusammenarbeitet.

Freizeitradler sollen profitieren

Die Idee des Stirnbands entwickelte Informatikstudentin Anna-Magdalena Krauß in ihrer Masterarbeit. Sie testete das Ergebnis in einer ersten Feldstudie. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Tactile Vision tätig. Ähnliche vibrotaktile Schnittstellen untersucht die Arbeitsgruppe bereits für den Einsatz in Helmen der Feuerwehr im Projekt „ISS – Integrierte Sinneserweiterung in Schutzbekleidung“. In Zukunft sollen Vibrationen im Helm der Einsatzkräfte vor Gefahren warnen. Feinste Sensoren an der Schutzkleidung liefern dafür Informationen.

Für das Stirnband interessiert sich gerade ein amerikanischer Fahrrad- und Helmhersteller. Derzeit verhandeln Wissenschaftler und Unternehmen darüber, wie eine mögliche Zusammenarbeit auf diesem Gebiet künftig aussehen könnte. Wenn alles klappt, könnte die Idee aus Dresden später direkt in den Fahrradhelm integriert werden. „Wir stellen uns vor, dass so eine Entwicklung vor allem im Freizeitbereich sinnvoll ist“, sagt Kammer. Eine Navigationsapp soll und kann die Entwicklung nicht ersetzen. „Es geht darum, sich in Richtung Ziel zu bewegen – den Weg dorthin, kann jeder dann selbst bestimmen.“