Merken

Uniklinikum probt den Ernstfall

Die Polizei hat am Sonnabend einen bewaffneten Angreifer gestellt – in einer großangelegten Katastrophenübung.

Von Nadja Laske
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Mehr als 100 Menschen waren an der Übung beteiligt.
Mehr als 100 Menschen waren an der Übung beteiligt. © René Meinig

Dresden. Blaulicht, aufgereihte Rettungswagen, Ordner an jeder Ecke. Eigentlich verläuft der Klinikalltag an Wochenenden deutlich ruhiger als an Wochentagen. An diesem Sonnabend aber liegt eine besondere Spannung in der nassen Luft über dem Uniklinikum Dresden. Als dann auch noch Polizisten in voller Montur auftauchen und zum Haus 32 vorrücken, wird klar: Hier ist nichts, wie es sein sollte.

Oder doch? Im Ernstfall schon. Dann müssen all diese Einsatzkräfte an Ort und Stelle sein und genau wissen, was zu tun ist, um eine Katastrophe zu vermeiden. Rund 100 Ärzte, Arzthelfer, Kranken- und Intensivpfleger haben am Sonnabend gemeinsam mit Polizei und Feuerwehr eine schwere Krisensituation meistern müssen. Weil sich ein ehemaliger Patient der Klinik an Medizinern rächen wollte und im neu gebauten Chirurgischen Zentrum Amok lief, waren 30 Interventionskräfte der Dresdner Polizei hinzugeeilt. Das Ganze mit größtem Ernst, aber nicht ernsthaft. Denn bei der umfangreichen Rettungsaktion handelte es sich um eine Übung.

Der Amokläufer wurde von einem Polizisten gespielt, das Opfer war ein Arzt der Uniklinik. Beide wollten nicht erkannt werden.
Der Amokläufer wurde von einem Polizisten gespielt, das Opfer war ein Arzt der Uniklinik. Beide wollten nicht erkannt werden. © René Meinig

Laut Drehbuch, an dem Mitarbeiter des Klinikums und der Polizei gemeinsam geschrieben haben, stürmt ein zunächst unbekannter Mann die Ambulanz, nimmt den erstbesten Arzt als Geisel, erschießt und verletzt auf seinem Weg durch den chirurgischen Komplex medizinische Angestellte und Patienten und trifft schließlich sogar eine Gasleitung. Über sie erhalten beatmete Schwerstkranke ihren Sauerstoff und müssen nun evakuiert werden. Allein 32 Intensivpatienten brauchen dringend eine sichere Versorgung.

Bevor Kugeln – zumindest akustisch – kreuz und quer durch die Krankenhausgänge pfeifen und Verletzte unter Qualen um Hilfe rufen, haben sich Ehrenamtliche des Jungen Roten Kreuzes (JRK) daran gemacht, verblüffend authentische Wunden zu schminken: offene Knochenbrüche, Streif- und Durchschüsse an Kopf und Rumpf. „Genau so sieht das in Wirklichkeit aus“, sagt Jasmin, Medizinische Fachangestellte der Rettungsstelle, und hält ihre blutende Fraktur am Handgelenk hoch. Inzwischen sind sämtliche Verletzungen fertig. „Jetzt müssen wir alle noch anbluten“, ruft Juliane Strauß vom JRK und läuft mit einer Ampulle Filmblut los. Damit fabriziert sie Blutflecken an der Kleidung der Darsteller. Glaubhaft müssen die Rollenspieler wirken, schließlich sollen sich die Akteure mental auf das Geschehen einlassen.

Für die Übung wurden verblüffend echt aussehende Wunden geschminkt.
Für die Übung wurden verblüffend echt aussehende Wunden geschminkt. © René Meinig

Wenn hier noch etwas unterhaltsam erscheint, sorgt spätestens die folgende Szenerie für Gänsehaut: Völlig unkontrolliert schleppt der Täter, gespielt von einem Polizisten, seine panische Geisel durch die Krankenhausräume und hinterlässt eine tödliche Spur. Während er noch umherirrt, haben die Krankenhauseinsatzleitung und die Interventionskräfte der Polizei längst ihre Arbeit begonnen. Während die einen sicherstellen müssen, dass die unmittelbaren Opfer des Amokläufers und die mitbetroffenen Patienten medizinisch versorgt werden, versuchen die Polizeikräfte, den Täter aufzuspüren und dafür zu sorgen, dass er nicht noch weitere Bereiche des Klinikums in seine Gewalt bringt. Am Ende schaffen es die Polizisten, den Angreifer zu überwältigen – ganz nach Drehbuch.

Wie ist es möglich, eine solch große Übung im laufenden Krankenhausbetrieb durchzuführen? Das neu gebaute Haus 32 ist noch nicht voll bezogen. Die Übung fand in einem noch ungenutzten Teil der Klink statt. Bald aber wird Haus 32 voll funktionstüchtig sein, dann muss der Notfallplan auch für diesen neuen Bereich greifen. Am Nachmittag ziehen Verantwortliche der Polizei und der Uniklinik Bilanz:

Am Ende schaffen es die Polizisten, den Angreifer zu überwältigen - ganz nach Drehbuch.
Am Ende schaffen es die Polizisten, den Angreifer zu überwältigen - ganz nach Drehbuch. © René Meinig

„Die Klinik wird als kritische Infrastruktur eingeschätzt“, erklärt Kliniksprecher Holger Ostermeyer. Sie habe sich perfekt für diese Übung geeignet. Nur etwa ein Viertel der Beteiligten waren aktiv, die anderen hatten die Aufgabe zu beobachten, zu lernen und den Einsatz schlussendlich zu analysieren. Ein Amoklauf plus zerschossener Sauerstoffleitung sei ein bewusst gewählter „Worst Case“, also der schlimmste Fall, der eine solch komplexe Übung erst möglich gemacht habe. Holger Ostermeyer beruhigt: „In meinen 18 Jahren als Sprecher des Uniklinikums ist so etwas aber noch an keiner deutschen Klinik wirklich vorgekommen.“