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Erfinder und Lehrer von Tharandt: "Im Grunde genommen bin ich Förster"

Ende März hört Professor Jörn Erler an der TU in Tharandt auf. Seine Arbeit verändert die europäische Forstwirtschaft und hinterlässt Spuren in der Stadt.

Von Mathias Herrmann
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Jörn Erler beendet seine akademische Laufbahn an der TU Tharandt, wo sie mit der Professur 1992 begann.
Jörn Erler beendet seine akademische Laufbahn an der TU Tharandt, wo sie mit der Professur 1992 begann. © Mathias Herrmann

Der große Mann mit der warmen Stimme und den freundlichen Augen lehnt sich in seinem Stuhl zurück und sagt den Satz bewusst, er sei Förster. Denn diesen Beruf erlernte Jörn Erler. Dass er später mit seiner Arbeit als Professor an der Technischen Universität Dresden, Fachrichtung Forstwissenschaften Tharandt, die europäische Forstwirtschaft gravierend beeinflusst, ahnte er als Jugendlicher, Ende der 1970er-Jahre, noch nicht.

Heute ist er 66 Jahre alt und beendet seine wissenschaftliche Arbeit in Tharandt, einer Außenstelle der TU Dresden. In den 32 Jahren Forschung und Lehre entwickelte er neue Holzernteverfahren und Maschinen, erarbeitete einen europäischen Standard für Techniksystematik und hinterlässt in Tharandt viele Spuren.

Sein Arbeitszimmer an der Technischen Universität in Tharandt ist zweckmäßig eingerichtet. Ein Schreibtisch, Fachbücher und ein großer Versammlungstisch - mehr braucht der Professor für Forsttechnik nicht, um zu arbeiten. Erler sieht aus dem Fenster. Die Aussicht zeigt das Tal der Wilden Weißeritz, den Campus der TU und das Bahnwärterhäuschen.

Aus der Not entsteht ein Wahrzeichen

Der Frühling 2002 veränderte das Tal und den Campus. Wenig hatte der Wucht der Jahrhundertflutwelle standgehalten. Im Wiederaufbau erkannte Erler eine Chance für den Wissenschaftsstandort Tharandt. "Es stand die Frage im Raum: verlagern wir alles auf den Campus nach Dresden?" Jörn Erler und seine Kollegen überzeugten den Rektor, den Fachbereich in Tharandt zu lassen. "Forstausbildung muss in Waldnähe stattfinden", argumentierten sie. Heute präsentiert sich der Campus modern und für die Zukunft gerüstet.

Was der Uni fehlte, waren großzügige und sichere Wege zwischen den Hörsälen. "Ich hatte die Idee, eine Fußgängerbrücke von der einen Seite der Weißeritz auf die andere zu bauen, ohne dass die vielen Studenten die Straße queren mussten", erzählt Erler und schmunzelt bei der Erinnerung. Die Brücke sollte auf dem Gelände des Bahnwärterhaus enden. Aus der Brücke wurde nichts. "Weil sie schräg verlaufen sollte, durften wir sie nicht bauen." Brücken müssen einen Fluss immer auf kürzestem Weg überwinden.

Der gebürtige Essener wird noch bis 2025 an der Universität in Tharandt lehren.
Der gebürtige Essener wird noch bis 2025 an der Universität in Tharandt lehren. © Mathias Herrmann

Die Absage des Brückenbaus war die Chance für das Bahnwärterhaus. Im Unterricht erarbeitete Erler mit den Studenten, wie das von der Flut zerstörte Haus wieder aufgebaut werden kann. "Am Ende des Semesters war das Haus in der Theorie aufgebaut", erzählt der Professor. "Da fragten die Studenten, warum es jetzt nicht wirklich errichten?" Und so wurde aus einem Unterrichtsthema eine ganz praktische Umsetzung.

Einer der Studenten, die das Haus entwarfen und mit aufbauten, ist der Tharandter Stadtrat Manuel Wächter. Der 37 Jahre alte persönliche Referent von Sachsens Regionalentwicklungs-Minister studierte und promovierte bei Erler. "Ich schätze ihn sehr. Er schafft es, Menschen zu motivieren und wohlwollend zu behandeln." Das gelang Erler auch beim Aufbau des Bahnwärterhauses. "Ich brachte das erste Mal im Leben Fliesen an. Das hatte ich zuvor noch nie getan und er hat es mir beigebracht", erzählt Wächter.

Nachhaltigkeit bestimmt Forschung und Lehre

Jörn Erler war es immer wichtig, etwas Nachhaltiges zu schaffen. Für ihn zählte nicht, wie er sich in seinem Büro präsentiert, sondern wie er mit neuen Ideen Dinge weiterentwickeln und verbessern kann. Sein Büro ist spartanisch eingerichtet und hat sich seit dem Beginn seiner Professur 1992 wenig verändert.

Mit 34 Jahren wurde er im Oktober 1992 zum Professor für Forstwirtschaft in Tharandt berufen. Der 1957 in Essen geborene Mann wusste schon mit 15 Jahren, dass er Förster werden möchte. "In unserer Familie hat dieser Beruf eine lange Tradition."

Nach dem Studium in Göttingen arbeitete Erler als Beamter in der Forstverwaltung in Niedersachsen und anschließend als Leiter des Forstamtes Fuhrberg. "Als die Professur für Forsttechnik in Tharandt frei wurde, habe ich mich beworben." Er bekam die Stelle.

Ein europäisches Qualitätssiegel entsteht

Über dreißig Jahre forschte und lehrte Jörn Erler an der TU Tharandt. Dabei hat er die Anforderungen an die Forstarbeit neu gedacht. Er prägte den Begriff Technodiversity. "Einfach erklärt könnte man sagen: Welche Technik wende ich im Wald bei welchem Gelände an, ohne dem Wald und dessen Boden zu schaden?" Mit Technodiversity entwickelte Erler ein E-Learning-Tool für den Masterstudiengang, das weltweit abgerufen werden kann.

Das Programm sorgte europaweit für Aufsehen, denn es ermöglichte eine ortsspezifische nachhaltige Waldarbeit. Zusammen mit Kollegen aus acht europäischen Institutionen formulierte er daraus einen Standard, der von Forstunternehmen als europäisches Qualitätsmerkmal genutzt wird.

Bei der Entwicklung des Zertifikats dabei war auch Andreja Đuka von der Fakultät Forst- und Waldtechnologie an der Universität Zagreb in Kroatien. Sie schätzt die Bedeutung Erlers für ihre Arbeit. "Er ist ein gründlicher und neugieriger Mensch, was meiner Meinung nach die besten Eigenschaften für einen Wissenschaftler und einen Lehrer sind", sagt die Kroatin.

Die „nachhaltende“ Nutzung des Waldes, wie sie Hans Carl von Carlowitz in der "Sylvicultura oeconomica“ formulierte, liegt Jörn Erler sehr am Herzen.
Die „nachhaltende“ Nutzung des Waldes, wie sie Hans Carl von Carlowitz in der "Sylvicultura oeconomica“ formulierte, liegt Jörn Erler sehr am Herzen. © Mathias Herrmann

Jörn Erler sieht wieder aus dem Fenster und ordnet seine Arbeit ein. "Ich freue mich, wenn Menschen meine Arbeit kritisch betrachten und sie weiterdenken." Auch wenn er die neuen Ideen nicht immer gut findet, allein dass aber darüber nachgedacht wird, empfindet Erler als immens wichtig. In dieser Begeisterung für andere und seine Zielstrebigkeit Ideen umzusetzen, liegt die Stärke von Jörn Erler. Andreja Đuka bestätigt das: "Er ist ein sehr interessanter, systematischer und zielstrebiger Forscher und Lehrer und ich habe die Zusammenarbeit mit ihm sehr genossen."

Nachhaltige Technik für den Wald von morgen

In seinem Tharandter Büro stehen zwei Motorsägen auf dem Bücherschrank. Forsttechnik lehrt er nicht nur, sondern entwickelt sie weiter. Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist in seiner Arbeit und Leben wichtig. "Der Wald ist kein romantischer Ort, an dem der Förster mit seinem Hund spazieren geht, sondern ein Wirtschaftsfaktor." Im Wald müssen Bäume und Böden als Einheit betrachten werden. "Nur wenn beides erhalten bleibt, gibt es in 100 Jahren noch intakte Wälder", erklärt er. Damit das so bleibt, entwickelte Erler bodenschonende Maschinen zur Holzernte. Im Sommer präsentiert er sie auf der weltgrößten Forstmesse bei Kassel.

Ein konsequenter Abschied

Seine Forschung beendet Professor Erler schon in wenigen Tagen. Verlängern will er sie nicht. "Ich beende konsequent meine Arbeit von heute auf morgen", sagt er. Der 66-Jährige lächelt, lässt seine Gedanken schweifen und meint es auch so: „Ich will aufhören, bevor Kollegen sagen: früher war er mal gut, aber heute?"

Der Lehre an der TU bleibt er bis kommendes Jahr erhalten, bis die Professur neu besetzt ist. Die Studenten freut es, weil Jörn Erler ein guter Lehrer ist. Das hat sich auch bis Kroatien herumgesprochen. "Sein nie endendes Ziel ist es, zu lehren und Studenten und jungen Forschern neues Wissen und große Erfahrungen zu vermitteln", sagt Andreja Đuka. Manuel Wächter ergänzt: "Sehr viel Menschlichkeit und ein echtes Vorbild."