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Tierisch was los im Wald

Was Nachtsichtkameras zwischen Moritzburg und Radebeul alles ans Licht bringen.

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© SZ/Redlich

Von Peter Redlich

Jäger Volker Klaes macht halt an der Lutherwiese. Oberhalb von Coswig, im Wettiner Wald liegt das freie Stück zwischen Mischwald aus vor allem Buchen, Eichen und Kiefern. Der gefrorene Wiesenboden ist auf einem handballfeld-großen Streifen komplett aufgewühlt. „Eindeutig Wildschweine“, sagt Klaes, der in dem Gebiet jagt. Und er zeigt auf eine Linie mitten in der Lutherwiese, wo plötzlich, wie mit dem Lineal gezogen, alle Spuren auf einmal enden.

Und überall grüßt der Waschbär. Er hat sich sprunghaft vermehrt und holt sich Nahrung selbst aus Weinbergen.
Und überall grüßt der Waschbär. Er hat sich sprunghaft vermehrt und holt sich Nahrung selbst aus Weinbergen.
Ein großer Wildschweintreff an der Fütterung unter dem Hochstand im Wettiner Wald.
Ein großer Wildschweintreff an der Fütterung unter dem Hochstand im Wettiner Wald.

Wildschweine gehen nicht ins Mondlicht. Bis zu genau dieser Linie reichte der Schatten der Bäume im Mondschein der letzten Tage. Der Jäger, der in Bärnsdorf zuhause ist, hat mehrere Hochstände in der Gegend. Immer in ihrer Nähe richtet er Futterstellen für Tiere ein. Mal Bucheckern, mal ein halber Eimer Mais.

Die häufigsten Besucher sind Wildschweine. Schon auf der Lutherwiese ist das deutlich auszumachen. Traten noch vor Jahren die aufgewühlten Stellen nur vereinzelt auf, so ziehen sie sich jetzt quer über die ganze Wiese. Die Schwarzkittel haben sich stark vermehrt. Der 50-Jährige schätzt, dass in den letzten zwei Jahren die Zahl um mindestens die Hälfte zugenommen hat.

Marko Groß, Revierförster für Moritzburg, kennt das Klagelied der Bauern in der Gegend. Mais- und Rapsfelder sind wie eine Tafel voller Leckerbissen für Wildschweine. Obendrein bildet der dichte und hohe Wuchs der Maispflanzen einen idealen Schutz. Jetzt sind die Felder längst kahl. Die Wildschweine mit einem Erwachsenengewicht von 50 bis 90 Kilogramm brauchen dringend Eiweiß. Vor ihren Rüsseln und Hufen ist nichts sicher, was auch nur annähernd eine Spur zu dem begehrten Futter sein könnte. Volker Klaes zeigt auf Pfade, die direkt zu den von ihm angelegten Futterstellen führen. Die Tritte sind so dicht und tief, das hat nichts mit Menschen zu tun. Sie stammen von wenigstens einer Wildschweinrotte.

Der Jäger hat in der Nähe seiner Hochstände Nachtsichtkameras an Bäumen angebracht. Sie reagieren auf Bewegungen. Die Speicherkarte aus den Kameras liest er im Laptop aus. Die Fotos der letzten Wochen wären ausreichend für einen Film. Der ganze Wald scheint sich ein Stelldichein zu geben. Der Waschbär winkt immer mal wieder, der Fuchs schnürt sowieso vorbei. Dachs, Marder und auch eine riesige Katze sind mehrfach zu sehen – ist es eine ausgewilderte Hauskatze oder gar eine zurückgekehrte Wildkatze?

Die eindeutig meisten Bilder aber liefern die Wildschweine. Mal sind es einzelne Keiler, die sich am Baum reiben, den der Bärnsdorfer mit Buchenholzteer eingestrichen hat. „Das ist wie Pudding für die Wildschweine.“ In der Baumrinde sind die Abdrücke von den Stoßzähnen zu sehen.

Drei Rotten mit Frischlingen zeigen die Fotos und drei bis vier Keilerrotten sind unterwegs zwischen Schwedenschanze und Lutherwiese. Die Leitbache ist deutlich größer, auch als die sogenannten Überläufer. Jüngere weibliche Tiere, die bei ihr in der Rotte mitmarschieren auf der Futtersuche. Die Jäger wissen, dass sie die Leitbache in Ruhe lassen müssen – nicht nur, damit die Frischlinge aufgezogen werden können, auch um die Vermehrung nicht noch zu befördern.

Ab zehnter Woche geschlechtsreif

Ab dem zehnten Monat sind Wildschweine oft schon geschlechtsreif. Fehlt die schützende Oberbache, gehen nicht nur die umherziehenden Keiler auf die Jungtiere los, auch untereinander wird sich wild fortgepflanzt. Eigentlich müssten viel mehr Wildschweine geschossen werden. Mindestens 40 000 sind es im Jahr in Deutschland.

Doch das reicht nicht. Gerade jetzt, wo angesichts der Vermehrung der Tiere und der von Tschechien hereinbrechenden Wildschweinepest eine Reduzierung der Bestände auf ein normales Maß nötig wäre. Die Mehrzahl der etwa 11 000 Jäger in Sachsen ist berufstätig und kann, wie Volker Klaes, nur am Wochenende oder abends in den Wald ziehen. Wenn kein Schnee liegt, ist die Sicht für einen klaren Schuss mit freier Schussbahn, wie vorgeschrieben, nicht gegeben.

Etwa 100 Hektar misst das Jagdrevier des Bärnsdorfers. Er hat an diesem Abend zwar auch die Büchse dabei. Aber dieser Abend ist keiner, um zum Abschuss zu kommen. Sterne ziehen auf, der Himmel ist klar. Der abnehmende Mond spendet nicht genügend Licht. Lediglich Fährtenhund Branka macht sich an der Leine straff. Aus bis zu 200 Metern Entfernung kann er wittern, ob ein Tier in der Nähe ist.

Das ist in dieser Nacht nicht anders als sonst. Zumal es um den Stamm, an dem Klaes in 2,50 Meter Höhe einen Salzstein angebracht hat, der vom Regen gut an der Rinde nach unten gewaschen wurde, immer wieder raschelt. Doch selbst mit dem Nachtsichtfernglas lässt sich vom Hochstand nur schemenhaft etwas erahnen. Vielleicht wieder die Wildkatze?

Volker Klaes sagt, dass er in diesem Jahr fünf Wildschweine erlegt hat. Rund 30 Schuss, mit Probe, gibt er jährlich insgesamt ab – auf Reh- und Schwarzwild. Ungefähr 40 Wildschweine ziehen in der Woche vor seinen Kameras durch. Es sind eigentlich zu viele.