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Tippel-Tappel in der Backstube

Alles schläft, einsam wacht. Die SZ stellt in einer Serie Menschen vor, die in ihrem Job nachtaktiv sind. Heute: Zusammen mit Bäckermeister Mike Selnack beim Brötchenbacken in Panschwitz-Kuckau.

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Von Melanie Ermscher

Panschwitz-Kuckau. „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen.“ Vor allen Dingen nachts hat der Kinderreim seine Berechtigung. Denn dann herrscht in Backstuben Hochbetrieb. Allerdings rufen Bäcker nicht mit Worten, sondern Gerüchen. So auch in Panschwitz-Kuckau: Gegen 4 Uhr wabert süße Teigluft über den Parkplatz vor Mike Selnacks Backstube.

Seit 2.30 Uhr ist der 32-jährige Bäckermeister auf den Beinen. Mit ihm schwirren die beiden Bäcker Barbara Kador und Thomas Nehmann durch die 30 Quadratmeter große Backstube. Und zahlreiche Wespen. Außer ihrem Summen, dem des Ofens und der Rührmaschinen ist nichts zu hören. Still arbeiten die Drei im Akkord: „Um sieben Uhr sind die Kunden da, da müssen wir fertig sein und können nicht großartig reden“, erklärt Barbara Kador. Große Eile, zumindest was die Brötchen, Brote und das Hefeteig-Gebäck betrifft, ist angesagt. „Nach 7 Uhr gibt sich das“, dann kommen Frühstück und anschließend die Blätterteig-Gebäcke an die Reihe.

11 Uhr wird es werden, bevor die Bäcker ihren Arbeitsplatz verlassen – schweißgebadet. Der Ofen könnte eine ganze Wohnung heizen. Trotzdem sehen die Drei so aus, wie man es sich vorstellt: Schwarz-weiß karierte lange Hose, weiße Schürze und T-Shirt. Ansonsten hat der Alltag jedoch wenig mit Klischees zu tun. „Geheimrezepte? Nein, so etwas gibt es nicht mehr“, sagt Mike Selnack. „Sie können sich ja alles aus dem Internet holen und wir müssen die Zutatenliste für den Kunden offenlegen.“ Sicherlich habe jeder seine Rezepte, aber keine geheimen.

Trotzdem ist es ihm wichtig zu wissen, was die Anderen machen: „Meine Frau bringt Backwaren von der Konkurrenz mit. Dann philosophieren wir darüber.“ Teamwork ist angesagt – Probleme mit seiner Familie hat der 32-Jährige wegen seiner Nachtarbeit nicht: „Ich habe dafür den Nachmittag für mich. Ich gehe um 22 Uhr ins Bett, vier Stunden Schlaf genügen.“

Thomas Nehmann ist heute für die Brötchenpresse zuständig: Ein Klumpen Teig rein, viele kleine Klumpen wieder raus. Zwei davon zusammen gedrückt ergeben ein Brötchen. 600 bis 800 Stück wird er von dieser Sorte formen. Barbara Kador ist derweil mit den Milchbrötchen und Streuselschnecken beschäftigt. Auf einem eingemehlten Tisch werden die Teigstränge geknotet und geformt. Ungefähr 700 Mal pro Nacht.

Als es an die Apfeltaschen geht, kommt das Summen der Wespen näher. „Das ist halb so wild. Wir tun denen nichts, die tun uns nichts. Ich bin dieses Jahr ein einziges Mal gestochen worden“, bleibt die 41-Jährige gelassen. Danach nimmt sie sich die Blechkuchen vor. Aus Plastikwannen schöpft sie Apfel-Rosinenmasse, Pudding, Mandeln, Mohn oder Quark auf den Teig. Wie viel, entscheidet sie per Augemaß.

Ebenfalls pi mal Daumen stellt Mike Selnack die Apfelpfannkuchen her: „Die sind handgemacht, jeden Tag anders. Das soll der Kunde auch sehen.“ Das Prädikat handgemacht ist ihm wichtig, macht aber auch die Arbeit schwer: Das Kneten und Rollen des Teigs, das Schieben der Brote in und aus den Öfen – „traditionell“ nennt Selnack diese Arbeitsweise. Mittlerweile existiert sie in der fünften Generation.

Ganz ohne Maschinen geht es aber nicht

Doch alles können die Bäcker dann doch nicht mit ihren Händen machen. Bis auf die Kuchen wandern alle Backwaren nach dem Formen in den Garraum. Dieser wird mit der warmen Abluft des großen Backofens gespeist. 80 Prozent Luftfeuchte und 38 Grad Celsius herrschen dort: „Das beschleunigt den Garprozess. Für die Lockerung und die Geschmacksentwicklung ist das wichtig“, erklärt Selnack. „Außerdem wären ansonsten die Brötchen für den Organismus schlecht verdaulich.“

Nach dem Garraum geht es ab in den Ofen: „Als erstes ist das Brot bei 280 Grad Celsius dran. Weil das heiß angebacken und danach mit fallender Temperatur ausgebacken wird.“ Im Anschluss werden die restlichen Teigwaren gebacken.

Selnack bezeichnet das als „Tippel-Tappel-Tour: Jeden Tag beginnen wir wieder bei Null. Nichts wird eingefroren“. Zwischen 15 und 20 Sorten Brot, bis zu sechs verschiedene Brötchen und bis zu zwölf Sorten Hefeteilchen stellen die Bäcker täglich für das Hauptgeschäft, die beiden Filialen und Direktkunden her. Vielfalt, der Selnack mit gemischten Gefühlen gegenüber steht: „Nach der Wende haben alle in die Technik investiert, höher, schneller, weiter. Jetzt ist der Markt gesättigt. Die Discounter drängen auf den Bäckermarkt. Da werden einige Bäcker zu tun haben.“ Ein noch größeres Problem stellt jedoch die Bevölkerungsentwicklung dar: „Die meisten Leute, die hier leben, sind über 50 und brauchen ein halbes Brot die Woche. Es fehlen die jungen Familien.“