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Trotz Arbeit Zeit für die Familie

Immer mehr Arbeitgeber stellen sich auf die Bedürfnisse der Eltern ein. Die sind oft auf Flexibilität angewiesen.

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© André Braun

Von Maria Fricke

Döbeln. Johannes Größler ist eine Ausnahme, in vielerlei Hinsicht. Der Döbelner arbeitet in Teilzeit als Vorarbeiter im Bereich Abwasser bei der Oewa Wasser und Abwasser GmbH in Döbeln. „Ich glaube, im gewerblichen Bereich bin ich da der Einzige“, sagt Größler, der einen dreijährigen Sohn hat. Damit seine Frau weiter ihrem Job in Chemnitz nachgehen kann, ist der 34-Jährige beruflich kürzer getreten. Sonst würde es nicht gehen mit den Betreuungszeiten in der Kita. Kurz vor 7 Uhr bringt Größler den Dreijährigen dort hin, kurz nach 15 Uhr, wenn er Feierabend hat, holt er ihn wieder ab. Nur freitags übernimmt das seine Frau. Dann hat sie frei und kann mit dem Nachwuchs zu Ärzten und Therapeuten fahren. Denn der Sohn von Johannes Größler hat eine Gehbehinderung.

Größler hat Glück. Er arbeitet für ein Unternehmen, das für seine Familienfreundlichkeit ausgezeichnet worden ist. Als Mitglied der Arbeitsgruppe Beruf und Familie hat er sich schon vor der Geburt seines Sohnes dafür eingesetzt, dass die Oewa mit Hauptsitz in Leipzig 2008 ein entsprechendes Zertifikat erhält. Dafür tut das Unternehmen allerdings auch etwas: „In puncto Arbeitszeit können unsere Mitarbeiter durch Gleitarbeitszeit bei Bedarf sehr flexibel auf familiäre Verpflichtungen reagieren. Arbeit in Teilzeit ist da, wo es möglich ist, selbstverständlich, das gilt auch für Frauen und Männer in Führungspositionen“, betont Angela Sadowski von der Oewa-Personalabteilung.

Die Mitarbeiter haben nach Angaben von Tina Stroisch, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Oewa, die Möglichkeit, über ein Jahresarbeitszeitkonto Stunden in gewisser Höhe anzusammeln und diese bei Bedarf abzubauen. Wo dies umsetzbar sei, sei auch das Arbeiten von zu Hause denkbar. Homeoffice ist für Größler keine Option, denn er muss raus zu den Kunden, kümmert sich um deren Hausanschlüsse. Für seine Kollegen sei es anfangs ungewöhnlich gewesen, dass er statt bis 16 Uhr schon gegen 15 Uhr vom Hof fährt. Inzwischen hätten sie sich daran gewöhnt. Die Entscheidung, in Teilzeit zu arbeiten, sei während der Elternzeit gefallen, sagt Größler, der zwei Monate zu Hause bei seiner Familie geblieben ist. „Das ist bei der Oewa gelebte Praxis, bei Frauen wie bei Männern“, sagt der Vorarbeiter. Viele in der Verwaltung würden verkürzt arbeiten.

Doch die Arbeitszeit allein ist es noch nicht, die ein Unternehmen zu einem familienfreundlichen macht. Die Oewa bezuschusst zudem über den Sommer ein Feriencamp, das auch von Kindern oder Enkeln von Mitarbeitern besucht werden kann, zum günstigeren Preis, sagt Sadowski. In Leipzig kooperiere die Firma zudem mit dem Internationalen Bund, einem Kita-Träger. Die Mitarbeiter seien Nutznießer bei der Vergabe von Betreuungsplätzen, die vor allem in der Großstadt rar sind. Auch von zinsvergünstigten Darlehn können die Mitarbeiter profitieren. „Man kann sich vom Unternehmen eine gewisse Summe Geld leihen und zahlt sie in einer gewissen Zeit zurück“, schildert Größler. Einige seiner Kollegen hätten das Angebot nach der Flut 2013 in Anspruch genommen.

Als Mitglied der Arbeitsgruppe Beruf und Familie hat Größler bei der Oewa die Prinzipien der Familienfreundlichkeit mit auf den Weg gebracht. „Jetzt geht es darum, das Aufgebaute zu pflegen“, sagt der Döbelner, der angefragt wurde, ob er sich in der Gruppe mit engagieren wolle. Obwohl Größler damals noch kein Kind hatte, sagte er zu. „Man hat ja auch vorher schon eine Familie. Einige müssen zum Beispiel verkürzt arbeiten gehen, weil sie einen Angehörigen pflegen.“

Immer mehr Eltern sind auf Unternehmen wie die Oewa angewiesen, um überhaupt arbeiten gehen zu können. Angesichts des Fachkräftemangels haben sich die Arbeitgeber auf das Klientel eingestellt. „Weil wir unseren Mitarbeitern und denen, die sich bei uns bewerben, den Spagat zwischen Beruf und Familie ermöglichen und erleichtern wollen“, erläutert Angela Sadowski von der Oewa. Die Leiterin der Arbeitsgruppe Beruf und Familie verweist auf Mitarbeiterbindung. „Wir merken, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vielen Bewerbern wichtig ist, dass sie darauf Wert legen – und wir demonstrieren auf diese Weise nicht zuletzt unsere Attraktivität als Arbeitgeber“, begründet Sadowski das Engagement des Arbeitgebers.

Unterstützung vom Jobcenter

Dass die Unternehmer zunehmend so denken, belegen auch Daten des Jobcenters. Die Zahl der Familien, die auf Leistungen der Behörde angewiesen ist, sinkt. Fast 3 000 Paare sowie Alleinerziehende mit Kindern haben im Juni 2017 Leistungen bezogen. Im Vergleich zu 2016 bei den Alleinerziehenden ein Rückgang um über elf Prozent, bei den Familien um fast sieben Prozent. Es sei politisches und gesellschaftliches Ziel, dass Mütter und Väter arbeiten gehen, um finanziell eigenständig zu sein. Zudem seien Eltern notwendig, um den Bedarf an Arbeitskräften abzusichern, meint Annett Voigtländer. „Dies haben auch die Firmen erkannt und in den letzten Jahren, je nach Möglichkeit und Bedarf, mehr und mehr in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ,investiert‘“, so die Sprecherin des Jobcenters Freiberg. Wie die Oewa setzten dabei viele auf Teilzeit- oder flexible Arbeitszeitmodelle. Aber auch Zuschüsse zu den Kita-Betreuungskosten kämen vor.

Zudem erhalten speziell Mütter und Väter vonseiten des Jobcenters Unterstützung bei der Rückkehr in den Beruf nach Geburt und Elternzeit. Es gibt Informationsveranstaltungen, Bewerberseminare, das Jobcafé, aber auch Beratungen zum Thema. Trotzdem bleibt die Rückkehr nach langer beruflicher Auszeit ein Problem. „Diese kann die Arbeitsmarktchancen deutlich verschlechtern“, so Voigtländer. Ihrer Ansicht nach spiele auch die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses eine Rolle beim Rückgang der Leistungsbezieher.

Dass sich Unternehmen vermehrt auf Familien spezialisieren, bestätigt auch Antje Schubert, Sprecherin der Arbeitsagentur Freiberg. „Viele Unternehmen denken vermehrt über Flexibilisierung hinsichtlich der Realisierung Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach“, so Schubert. Aber dies sei nicht in allen Branchen und Berufsbereichen möglich. Gleichwohl seien es nicht nur die großen Firmen, wie die Oewa, die sich dem Thema widmeten. Auch kleinere versuchten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, familienfreundlich zu sein, zum Beispiel durch flexible Arbeitszeitgestaltung, „Muttischichten“ sowie Angebote im Rahmen der Kinderbetreuung.

Laut dem Fachkräftemonitoring 2015, das von den sächsischen Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern durchgeführt worden ist, sind familienfreundliche Maßnahmen deutlich gestiegen. 2012 lagen sie noch bei 23 Prozent, 2015 waren es 48 Prozent. „Damit liegen sie auf Platz drei der Gewährung von Zusatzleistungen durch die Unternehmen“, so Susanne Schwanitz vom Projekt „Arbeitgeberattraktivität“ der IHK Chemnitz.