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Förster rettet verirrte Julia: Nachts schlief sie auf Wiese

Seit Sonntag war die achtjährige Julia vermisst. Ein tschechischer Förster fand das Mädchen im Wald - lebend. Jetzt werden immer mehr Details bekannt.

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Förster Martin Semecký steht am an der Stelle im Wald, an dem er die bis dahin vermisste Julia gefunden hat.
Förster Martin Semecký steht am an der Stelle im Wald, an dem er die bis dahin vermisste Julia gefunden hat. © dpa

Waldmünchen/Cerchov. Was für ein Horror - und was für ein glückliches Ende: Seit Sonntagnachmittag wurde die acht Jahre alte Julia aus Berlin im Böhmerwald vermisst, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im felsigen, dicht bewachsenen Gelände. Nach fast zwei Tagen und zwei dunklen, kalten Nächten dann am Dienstag gegen 14.00 Uhr die frohe Nachricht der Polizei: Julia ist wieder da. Ein tschechischer Förster hatte sie gefunden.

Nach Polizeiangaben ist Julia in gesundheitlich guter Verfassung. "Es geht ihr eigentlich relativ gut", sagte der Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz, Josef Weindl, am Mittwoch in Regensburg. Über Nacht sei die Achtjährige in einem sogenannten Wärmebett gewesen, weil sie nach den zwei kalten Nächten im Wald unterkühlt gewesen sei. "Sie zeigt äußerlich keine Verletzungen", erklärte Weindl. Am Mittwoch konnte Julia das Krankenhaus verlassen.

Eine Glücksnachricht für die Familie nach Tagen schrecklichen Bangens. Auch Hunderte Helfer in den Suchtrupps atmeten erleichtert auf. "Da sind auch beim einen oder anderen Tränchen geflossen", gestand ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz im Bayerischen Rundfunk ein. Die tschechische Polizei twitterte: "Eine hervorragende Nachricht". Und sogar Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sandte Glückwünsche und sprach vom Quäntchen Glück: "Wir alle haben mitgefiebert. Jetzt hoffe ich, dass sich Julia schnell von den Strapazen der letzten Tage erholt."

Nachts schlief Julia auf einer Wiese

Nach tschechischen Medienberichten wurde Julia rund vier Kilometer von dem Ort entfernt gefunden, an dem sie verloren gegangen war - von einem ortskundigen Wildhüter, mitten im Wald im Gras. "Das vermisste Kind befand sich völlig erschöpft in einem Gebüsch und machte nicht auf sich aufmerksam", berichtete die Polizei einige Stunden später. Wie sie dahingekommen war, blieb zunächst unklar.

Laut Polizeipräsidium Oberpfalz in Regensburg hatte Julia bei der späteren Befragung erzählt, dass sie immer in Bewegung gewesen sei und in den zwei Tagen mehrere Kilometer zu Fuß zurückgelegt habe. Nachts habe sie auf einer Wiese in hohem Gras geschlafen und habe dabei auch Tiere wie Rehe, Füchse und ein Wildschwein gesehen. Weil sie sich nachts im Wald fürchtete, habe sie nicht auf sich aufmerksam gemacht.

Förster Martin Semecký hat Julia gefunden.
Förster Martin Semecký hat Julia gefunden. © dpa

In der Zeit hatte Julia auch nichts getrunken oder gegessen. "Das Mädchen wurde unmittelbar nach seinem Auffinden sofort in ein deutsches Krankenhaus eingeliefert und traf dort auf ihre Eltern", sagte Polizeisprecher Florian Beck. Diese Situation sei sehr emotional gewesen.

Körperlich hat Julia das alles gut überstanden. In der Klinik wurde sie langsam wieder aufgewärmt, weil das Mädchen durch die kalten Nächte im Wald ausgekühlt war. Aber: "Bis auf einen leichten Kratzer am Bein war das Kind unverletzt", betonte Beck. Die Familie lasse nun ausrichten, dass man überglücklich sei und sich bei allen Helferinnen und Helfern bedanke. Die Familie brauche nun Zeit für sich, sagte Beck. Es werde daher um Beachtung der Privatsphäre gebeten.

Julia wurde rund einen Kilometer entfernt von einer Quelle gefunden, die Ceska studanka heißt.
Julia wurde rund einen Kilometer entfernt von einer Quelle gefunden, die Ceska studanka heißt. © dpa

Der Förster Martin Semecky beschrieb der tschechischen Zeitung "Denik", wie er Julia fand. In Absprache mit der Einsatzleitung habe er mit vier Kollegen einen Teil des Waldes durchkämmt, der noch nicht durchsucht worden war. "Als wir sie gesehen haben, haben wir unseren eigenen Augen nicht getraut", erzählte Semecky. "Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat."

Förster: Als er ihren Namen sagte, nickte sie mit dem Kopf

"Auf einmal stand die kleine Julia vor uns, sie saß etwa zehn Meter weit weg im hohen Gras", berichtete der Förster. Als er ihren Namen gesagt habe, habe sie mit dem Kopf genickt. Er habe gesagt: "Alles ist gut, super!" Dann wickelte er sie in seine grüne Jacke, alarmierte die Einsatzzentrale. "Das war ein unglaubliches Gefühl, diese Emotionen kann man gar nicht mit Worten beschreiben", sagte Semecky. Er würdigte die Ausdauer des Mädchens in der Natur: "Um das zu schaffen, muss sie sehr geschickt gewesen sein".

Julia wurde rund einen Kilometer entfernt von einer Quelle gefunden, die Ceska studanka heißt. Sie soll Trinkwasserqualität haben. Doch ob das Mädchen es bis dahin geschafft hat, war unklar. "Wir wollten sie nicht mit Fragen belasten", sagte der Förster. "Sie wirkte verängstigt, ganz allein im Wald - ohne ihre Eltern."

Bei Martin Semecky, der wie ein Held gefeiert wird, überschlagen sich nun die Anfragen der Medien. Nicht nur aus Tschechien, sondern auch aus Deutschland. Dem Mitarbeiter der städtischen Forstverwaltung von Domazlice (Taus), der sein Revier wie kein anderer kennt, scheint das eher unangenehm zu sein. Er müsse jetzt weiterarbeiten, so Semecky am Telefon und verabschiedet sich.

Hunderte Einsatzkräfte hatten nach Julia gesucht.
Hunderte Einsatzkräfte hatten nach Julia gesucht. © dpa/Armin Weigel

Die Familie aus Berlin war am Sonntag Wandern auf dem Berg Cerchov, der auf Deutsch Schwarzkopf genannt wird. Julia, ihr sechsjähriger Bruder und der neun Jahre alte Cousin erkundeten die Umgebung. Am Spätnachmittag verloren die Eltern die Kinder dann aus den Augen. Die verzweifelten Eltern holten Hilfe. Sohn und Neffe tauchten wieder auf, Julia aber blieb zunächst verschwunden. Warum die Kinder sich getrennt hatten, dazu wollte die Polizei nichts sagen. Es wurde spekuliert, sie hätten ein Orientierungsspiel gespielt oder seien in Streit geraten. Vielleicht war es auch ein Moment der Unachtsamkeit.

Der Böhmerwald ist dicht und felsig - viele Sagen und Mythen ranken sich um die Gegend, über die auch der Dichter Adalbert Stifter im 19. Jahrhundert geschrieben hat. Auch der tschechische Förster Martin Semecky kennt sich dort gut aus: "Es ist ein stark zergliedertes, gefährliches Terrain", sagt er am Telefon, ehe die Verbindung wieder abbricht. Selbst der Handyempfang ist dort sehr schlecht. "Es sind tiefe Wälder, ein Meer aus Felsen."

1.400 Einsatzkräfte waren im Einsatz

Und mittendrin ein Mädchen, bei eisigen Temperaturen. Zwei Tage und zwei Nächte durchkämmen rund 1.400 Einsatzkräfte aus Deutschland und Tschechien das unwegsame Waldgebiet im Grenzgebiet beider Länder zwischen Waldmünchen, Furth im Wald und Domazlice. Feuerwehr, Bergwacht, Förster, Mitarbeiter des Nationalparks Böhmischer Wald und Polizei, manche gar zu Pferd. Sie bilden lange Menschenketten. In der Luft surren Drohnen und knattern Hubschrauber. Am Boden versuchen Hunde, eine Spur der Schülerin zu erschnüffeln. Das Bayerische Rote Kreuz in Cham sprach auf Facebook gar von der größten grenzüberschreitenden Suchaktion, die in der Region je stattgefunden habe.

Und sie finden - nichts. Selbst eine Wärmebildkamera bringt keinen Erfolg. Zu dicht die Baumkronen, zu selten die Lichtungen. Dazwischen frühere militärische Objekte - war doch die gesamte Grenzregion im Kalten Krieg auf tschechischer Seite militärisches Sperrgebiet. Die Förster überprüfen Fotofallen, Hochsitze und Futterstellen für Tiere. Und sie schauen unter Felsen, von denen Julia gestürzt sein könnte.

Dass Julia am Ende doch noch aufgetaucht ist, wirkt auf viele wie ein kleines Wunder. Für die Eltern des Kindes dürfte momentan nur eines zählen: Sie können ihre Tochter wieder in die Arme schließen. (dpa)