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Fiala und die EU-Ratspräsidentschaft: Vom Czexit-Befürworter zum EU-Fan

Tschechiens endende EU-Ratspräsidentschaft wird in Europas Hauptstädten über den grünen Klee gelobt. Sie war vor allem das Verdienst von Prags Premier Petr Fiala, der einst so gar nichts von der Union hielt.

Von Hans-Jörg Schmidt
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Tschechiens Premier Petr Fiala (rechts) war einst ein Kritiker der EU. Heute lautet sein Urteil: „Europa wird stärker“.
Tschechiens Premier Petr Fiala (rechts) war einst ein Kritiker der EU. Heute lautet sein Urteil: „Europa wird stärker“. © Kay Nietfeld/dpa

Es gab nicht wenige EU-Spitzenpolitiker, die schlimme Vorahnungen hatten, als Tschechien im vergangenen Sommer turnusgemäß die Ratspräsidentschaft in der Union übernahm. Dem federführenden tschechischen Premier Petr Fiala ging bis dahin der Ruf eines scharfen EU-Kritikers voraus.

Fiala ist Chef der liberal-konservativen Bürgerpartei ODS in Tschechien, die nach der Revolution 1989 vom Wirtschaftsexperten Václav Klaus gegründet worden war, der sich weithin einen Namen als „EU-Skeptiker“ gemacht hatte.

Als die Tschechen in einem Referendum über den Beitritt zur EU abstimmten, votierte Klaus mit Nein. Unmittelbar vor der Abstimmung rief er theatralisch die angeblich im Berg Blanik seit ewigen Zeiten hausenden Ritter an, dem tschechischen Volk zu Hilfe zu eilen, wenn es in größte Nöte gerate.

Auch wenn die ODS heute eine andere Partei ist als unter Klaus - in einem waren sich Klaus und Fiala lange einig: in ihrer massiven Kritik an der EU. Freilich ist Klaus längst zu einem fanatischen Möchtegern-Zerstörer der EU geworden, der vor nichts mehr halt macht und sich seiner guten Beziehungen zu Frankreichs Marine Le Pen oder zur AfD rühmt. So weit ist Fiala nie gegangen.

Jäher innerer Wandel durch Ukraine-Krieg

Dennoch verfasste Fiala in der Vergangenheit Schriften, in denen er kein gutes Haar an der EU ließ und die auch von jedem anderen der vielen Demagogen in Tschechien hätten stammen können. „Brüssels Unsinn abzulehnen bedeutet, Europa und unser Land zu retten, was unser Hauptanliegen sein sollte“, schrieb er und warnte mit flammenden Worten: „Brüssel spielt gegen Europa, sogar gegen die Europäische Union. Bisher sieht es nach einem Freundschaftsspiel aus, aber es wird langsam schwierig. Die Gestalt Europas verändert sich vor unseren Augen, wir spielen um unser Dasein“. Wenn sich die EU nicht radikal ändere, sollte Tschechien besser aus ihr austreten, lautete Fialas Credo.

Sein jäher innerer Wandel kam mit dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine. Fiala fühlte sich sofort an den Einmarsch der Russen und ihrer „Brüder“ 1968 in die Tschechoslowakei erinnert. Er ahnte, dass auch Tschechien ein Krieg drohe, sollte die Ukraine fallen. Es war deshalb kein Zufall, dass Fiala gemeinsam mit den Regierungschefs aus Polen und Slowenien als erste Spitzenpolitiker der EU nach Kiew reisten, um den Ukrainern Solidarität zu bekunden. Tschechien hat in der Folge alles Kriegsmaterial, das es irgendwie erübrigen konnte, in die Ukraine geschickt. Und es hat großherzig fast eine halbe Million ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und so gut es ging, im Lande integriert.

Fiala: „Europa wird stärker“

Für Fiala und die tschechische Ratspräsidentschaft gab es keine Frage, härtestmögliche Sanktionen der EU gegen Russland zu verabschieden. Und die Fachminister aus Fialas Riege in Prag, die direkt in die Ratspräsidentschaft eingebunden waren, zeigten erstaunliches Fingerspitzengefühl, um in schwierigen Sachfragen die Mitgliedsländer über Kompromissvorschläge zu einer einheitlichen Meinung zu führen.

Geradezu spektakulär war das Ringen um eine Gaspreisbremse gegen Ende der Präsidentschaft. Die Tschechen redeten auf insgesamt zehn Verhandlungsrunden den Partnern gebetsmühlenartig ins Gewissen. Sie scheuten sich auch nicht, den besonders widerspenstigen Deutschen eine Mehrheitsabstimmung anzudrohen, bis Wirtschaftsminister Robert Habeck einknickte. Die Vorlage dazu - daran erinnerten die Tschechen genüsslich - hatte ausgerechnet Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner visionären Prager Rede über die Zukunft der EU geliefert, in der er unter anderem für mehr Mehrheitsentscheidungen plädiert hatte.

Am Ende der tschechischen Ratspräsidentschaft stellte Petr Fiala zufrieden fest: „Europa wird stärker“. Eine solche Aussage wäre von fast jedem tschechischen Spitzenpolitiker bis vor kurzem kaum vorstellbar gewesen.