Verstörende Wahlkampfszenen in Tschechien

Eigentlich wäre der bei den letzten tschechischen Parlamentswahlen als Regierungschef abgewählte Andrej Babiš als heutiger Oppositionschef im Abgeordnetenhaus gut ausgelastet. Doch die Arbeit dort überlässt er seinen Vertrauten aus seiner liberalen Bewegung ANO. Babiš selbst ist seit Beginn des Sommers mit einem Wohnmobil auf Wahlkampftour quer durch die tschechische Provinz. Im Herbst wählen die Tschechen neue Kommunalvertreter und Senatoren, im kommenden Frühjahr den neuen Staatspräsidenten. ANO und Babiš selbst liegen in den jeweiligen Umfragen vorn.
So sind denn manche der Begegnungen des Ex-Premiers, dem Ambitionen für das höchste Staatsamt nachgesagt werden, eher Autogrammstunden und nette Pläusche mit seinen potentiellen Wählern. Babiš polarisiert jedoch wie kein zweiter Politiker in Tschechien. Seine Gegner werfen ihm die mutmaßliche frühere Zuträgerei für die tschechoslowakische Stasi vor. Und vor allem seine zwielichtigen Geschäfte und von der Justiz noch immer nicht aufgeklärte Manipulationen mit Geldern der EU.
Wenn Babiš dann doch mal zu einer Rede ansetzt, nimmt er kein Blatt vor den Mund, bezeichnet die Wähler der jetzt in Prag regierenden liberal-konservativen Parteien auch schon mal als „Faschisten“ und „Nazis“. Und er reagiert äußerst dünnhäutig auf Leute, die zu seinen Auftritten kommen, um gegen ihn zu protestieren. Nicht nur mit Plakaten und Transparenten, sondern mitunter auch so lautstark, dass er selbst kaum noch zu hören ist.
Dieser Tage ging einem 14-Jährigen die Rede von Babiš so auf die Nerven, dass er einen Lautsprecher stibitzte, ihn jedoch kurze Zeit später wieder zurückgab. Kurz darauf wurde der autistische Bursche von drei kräftigen Männern in Zivil überwältigt. Einer von ihnen drückte sein Knie auf den Hals des Heranwachsenden. Dessen ebenfalls anwesende Mutter schrie die drei Männer an, sie sollten den Jungen loslassen, er sei autistisch und mit der Situation sichtbar völlig überfordert.
Was weder die Mutter noch ein anderer der Anwesenden wusste: bei den drei hart durchgreifenden Männern handelte es sich um Zivilpolizisten. Sie waren durch nichts als solche erkennbar. Einer der drei war kurz vor der gespenstischen Szene noch wie ein Fan von Babiš mit einer entsprechenden Schildmütze Eis leckend um die Menge spaziert.
Zivilpolizisten nahmen Jungen mit
Schließlich nahmen die drei Zivilpolizisten den Burschen mit. Der Mutter verweigerten sie das Recht, ihren minderjährigen autistischen Sohn zu begleiten. Der ganze verstörende Vorgang wurde von einem anwesenden Redakteur der Wochenzeitung Respekt als Video aufgezeichnet und veröffentlicht.
Seither wird in den sozialen Netzwerken wie in den Medien des Nachbarlandes heftig darüber diskutiert, weshalb eine eher harmlose Geschichte derart ausarten konnte. Und darüber, was überhaupt als Polizisten nicht erkennbare Männer auf solchen Veranstaltungen zu suchen haben.
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Korrekt ist, dass die Polizei präventiv zu Wahlkampfveranstaltungen geht, die von vornherein als heikel eingestuft werden können. In speziellen Fällen sind auch polizeiliche Spezialisten zur Deeskalation vor Ort. Und - wie sich herausstellte - ist auch die Anwesenheit von Polizisten in Zivil durchaus möglich.
Letztere aber müssten sich zu Beginn eines Einsatzes als Polizisten klar zu erkennen geben. Und schon gar nicht sei es erlaubt, dass sie sich - wie im konkreten Fall - als Anhänger eines Wahlkämpfers „verkleiden“.
Logisch, dass die ganze Geschichte auch ein politisches Nachspiel hat. Der Innenminister konferierte ausführlich mit dem Chef der Polizei. Innerhalb der Truppe wird ermittelt, ob es sich um einen Verstoß gehandelt hat. Babiš „empfahl“ man, bei seinen Wahlkampfveranstaltungen immer auch einen „Platz für seine Gegner“ einzuräumen. Diese ihrerseits dürften zwar protestieren, aber nicht so laut, dass der Redner nicht mehr zu hören sei.
Wirklich handhabbar klingt das nicht. Die Gegner von Babiš dürften kaum bereit sein, ihre Sprüche oder ihre Pfeifkonzerte leiser vorzutragen. Aber womöglich wird sich etwas bei den Zivilpolizisten ändern. Neue Bilder von gewaltsamen Festnahmen wie in den USA würden jedenfalls künftig nicht mehr gut ankommen.