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„Überall Planlosigkeit“

Ex-Meistertrainer Rainer Mund sieht Deutschlands Eisschnelllauf auf dem falschen Weg. Die Bilanz ist so traurig wie 2014.

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© momentphoto.de/bonss

Von Jochen Mayer

Im deutschen Eisschnelllauf müsste sich viel ändern. „Das DDR-Erbe ist längst verjuxt“, beklagte Rainer Mund. „Aber wer ist dafür verantwortlich?“, fragte sich der einstige Dresdner Meistertrainer und antwortet selbst: „Es gibt mehr Schwätzer als Macher im deutschen Sport.“ Diese Einschätzung ist allerdings schon vier Jahre alt. Es war das gnadenlose Urteil über das Abschneiden der medaillenlosen deutschen Eisschnellläufer bei den Spielen in Sotschi.

Vier Jahre später fühlt sich der 73-Jährige wie in einer Zeitschleife: An seinen Worten hat sich nichts geändert. Zwar imponierten im deutschen Olympiateam in Südkorea die Bob- und Rodelathleten, Biathleten und Nordischen Kombinierer, das Eislaufpaar und Skispringer. Doch die einstigen Medaillenbringer auf den langen Rennkufen gingen erneut leer aus. Das frustriert den mal als erfolgreichsten Frauentrainer der Welt betitelten Rainer Mund, den in den 1980er-Jahren sogar die schlittschuhverrückten Niederländer verpflichten wollten. Die DDR-Sportführung verhinderte es.

Zwölf Jahre Schonzeit sind schwierig

Was er am Bildschirm aus der olympischen Eishalle in Gangneung an Leistungen sah und an Erklärungsversuchen hörte, macht ihn ratlos. „Es ist doch verheerend, wenn jetzt wie vor vier Jahren Strukturveränderungen als Konsequenz angekündigt werden, die erst in zwölf Jahren zum Tragen kommen sollen“, klingt er empört. „Welche Strukturen sind denn gemeint? Und welche Athleten sollen es richten? Um den Nachwuchs steht es ja auch nicht gut, also ist kaum mit Änderung zu rechnen. Das ist alles sehr traurig.“ Ganz zu schweigen von der Finanzierung, die in Zeiten von Verteilungskämpfen und einer dauer-angekündigten Leistungssportreform mehr als ungewiss sein dürfte bei langjähriger Erfolglosigkeit, die auch noch angekündigt ist. Kritiker Mund sieht Sportdirektor Robert Bartko in der Verantwortung – aber nicht auf dem richtigen Weg.

Einerseits weiß er, dass Impulse aus anderen Sportarten Erfolg bringen können. Andererseits fehlt Mund der Glaube an den Bahnrad-Olympiasieger in der Einer- und Mannschaftsverfolgung von Sydney. „Von ihm hörte ich aus Pyeongchang keine Antworten, die Ansagen wirkten ohne Inspiration“, beklagt Rainer Mund, „bei all den Rückständen ohne Ende, die wir bis in den Nachwuchsbereich hinein haben“.

Dabei weiß er aus eigener Erfahrung, wie Neuaufbau funktioniert. Dafür hatte der DDR-Leistungssportbeschluss gesorgt, der Eishockey ab 1970 nur noch auf Sparflamme mit zwei Dynamo-Teams leben ließ. Die frei gewordenen Trainer sollten den medaillenträchtigen Eisschnelllauf voranbringen. So wechselten neben Mund auch der Dresdner Ernst Luding und Weißwassers Achim Franke die Sportart. Sie alle brachten Olympiasieger hervor, 1976 war Andrea Ehrig mit Silber die Erste der neuen Generation, die bei Olympia triumphierte. Es folgten goldene Zeiten, von deren Erbe die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft heute noch profitiert, dank der unverwüstlichen Claudia Pechstein.

„Wir hatten keine Ahnung vom Eisschnelllauf, als wir in der neuen Sportart begannen“, gibt Rainer Mund zu. „Wir waren aber bereit, uns auszutauschen mit den Kollegen in Erfurt, Berlin, Karl-Marx-Stadt. Natürlich sind uns auch Fehler passiert, wir mussten lernen, haben das aber gemeinsam hinbekommen, selbst wenn wir in Konkurrenz zueinander standen. Die Erfolge gaben uns recht.“

So ein Klima scheint es heute nicht zu geben, wie es beim jüngsten Weltcup in Erfurt klang. Beim Treffen einstiger und aktueller deutscher Trainer hörte Rainer Mund heraus, dass es „erhebliche Differenzen zwischen dem Verbandstrainer aus Holland und den Trainern an den Stützpunkten zu geben scheint“. Überhaupt nervt ihn dieses Hoffen auf die Segnungen aus dem Nachbarland. Ein Trainer aus dem Mutterland des Eisschnelllaufs brachte zwar die Japaner für die Spiele 2018 in Schwung, aber das muss unter deutschen Bedingungen nicht funktionieren, wie Rainer Mund vermutet: „Was wurde denn bisher bewirkt? Und die leistungsstärksten Deutschen durften auch noch ihre eigenen Wege gehen. Das ist eine Variante, die am Ende ebenfalls nicht aufging.“

Ihm war zudem aufgefallen, wie oft die Olympiaathleten über ihre fitten Beine redeten, die dann doch nicht die erhofften Zeiten schafften. „Da stimmte es weder beim Saisonaufbau noch bei Reaktionen danach, dass man nun bei den nächsten Weltcups gut aussehen will. Was ist das denn für eine Orientierung? Für mich zeigt sich im Verband überall Planlosigkeit.“

Dass Bartko auch für die Kufenläufer auf Radsport-Impulse setzt, wundert Mund nicht. Mit Christa Luding gab es ja schon eine Dresdner Doppelstarterin bei Winter- und Sommerspielen mit Medaillen bei beiden Auftritten. Doch „was beim Radsport funktioniert, muss auf dem Eis nicht passen. Die heute erfolgreichen Eisschnellläufer setzen stärker auf Inliner- und Shorttrack-Impulse, dieser Trend zeigte sich schon vor vier Jahren in Sotschi“.

Dass Claudia Pechstein immer noch mit der Weltspitze mithalten kann, imponiert Rainer Mund. Er staunt, wie lange ihre DDR-Grundlagen eine Basis sein können. Doch bitter stößt ihm auf, dass sie einen Motivationsbeistand bei den Spielen nötig hatte. „Da hat der Verband wohl nach einem Strohhalm gegriffen“, vermutet der promovierte Sportwissenschaftler, dessen Erfahrungen nach der Wende im Eisschnelllaufen nicht mehr gefragt waren. „Dabei hat Deutschland Superbedingungen mit Schnelllaufhallen in Berlin, Erfurt und Inzell. Aber man muss auch was daraus machen, braucht tragfähige Konzepte. Die sehe ich leider immer noch nicht.“ Dabei will er jetzt „kein Klugscheißer sein, der auf einer Sportart rumtrampelt, die am Boden liegt“. Doch passieren müsste dringend etwas, am besten mit System.