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Tschechische Unternehmerin: „Ich helfe, so lange ich gebraucht werde“

Eine erfolgreiche Unternehmerin nutzt ihre Kontakte für ukrainische Flüchtlinge.

Von Steffen Neumann
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Lucie Beyerová (zweite von links) organisiert einer Ukrainerin, die anonym bleiben möchte, eine neue Unterkunft. Unterstützt wird sie von zwei Frauen der Hilfsorganisation Mensch in Not (Clovek v tísni).
Lucie Beyerová (zweite von links) organisiert einer Ukrainerin, die anonym bleiben möchte, eine neue Unterkunft. Unterstützt wird sie von zwei Frauen der Hilfsorganisation Mensch in Not (Clovek v tísni). © Steffen Neumann

Kaum hat die junge Ukrainerin die Villa gegenüber dem Hauptbahnhof in Teplice (Teplitz) erreicht, bricht sie in Tränen aus. Lucie Beyerová eilt herbei und bietet ihr einen Stuhl an. Sie hat eben erfahren, dass sie aus ihrer Wohnung raus muss und weiß nicht wo sie jetzt so schnell eine neue Bleibe auftreiben soll. Die Villa mitten in Teplice ist wie ein geschützter Raum für die Flüchtlinge in der Stadt. Wer es geschafft, unter den Problemen, die sie täglich begleiten, nicht zusammenzubrechen – hier sind sie willkommen. Die Flüchtlinge sind naturgemäß vor allem Frauen, die bei Lucie Beyerová Unterstützung suchen.


„Das ist hier unsere kleine Ukraine“, sagt die Enddreißigerin und zeigt auf Berge von Kisten mit Sachen, volle Regale und weitere Kisten vor allem mit Kosmetik, Drogerieartikeln und Medikamenten. In der Villa ist Beyerová erst seit Oktober. Sie gehört dem Busunternehmen ČSAD, wurde teils als Pausenraum für Busfahrer genutzt, aber stand sonst größtenteils leer, bis die Chefin des Busbetriebs sie Beyerová als Bleibe für ihre Ukraine-Hilfe anbot. „Bis dahin arbeitete ich von zu Hause“, sagt sie und meint ihr Haus in Srbice, einem Dorf bei Teplice, wo sich überall die Hilfsgüter stapelten und immer jemand zu Besuch war. „Hier sind wir natürlich viel besser zu erreichen“, sagt Beyerová und ist froh, mehr Platz zu haben.

Die kahlen Wände stören sie nicht. Da immer neue Spenden abgegeben werden, ist sie bereits in weitere Räume gezogen und plant zudem die Einrichtung eines Flüchtlingscafés. Geheizt wird nicht, auch wenn das möglich wäre. „Ehe ich heize, nutze ich das Geld und kaufe den Frauen lieber Einlagen und Tampons, das ist wichtiger“, sagt sie.

Fünfmal mehr Flüchtlinge als in Sachsen

Beyerová hilft, seitdem Russland die Ukraine überfallen hat. Ihren Beruf hat sie an den Nagel gehängt. „Mein Mann arbeitet jetzt für drei“, sagt sie und meint noch ihren Sohn. „Es fing damit an, dass mich ein guter Freund in der Ukraine bat, sich um seine Tochter zu kümmern“, beschreibt sie den Anfang ihrer Hilfsmission. Beyerová hat nicht nur enge Kontakte in die Ukraine, sie spricht fließend Russisch und auch schon ein wenig Ukrainisch. Russisch hat sie einmal studiert, aber im eigentlichen Beruf ist sie Gastro-Unternehmerin. Jahrelang betrieb sie in Teplice erfolgreich ein Restaurant mit veganen und makrobiotischen Gerichten. Damals gehörten auch viele Ärztinnen, Unternehmerinnen, Anwältinnen und weitere erfolgreiche Frauen zu ihren Stammgästen. Beyerová ist auch so gut vernetzt in Teplice, aber ihre Kontakte aus „Zahrada“-Zeiten (so hieß ihr Restaurant), hilft ihr nun, um Ukrainerinnen helfen zu können.

Zu ihnen gehört auch Olena Rudenko, die ihre Arbeit gekündigt hat. Viele Ukrainerinnen sind in Tschechien in die Fänge von ukrainischen und moldawischen Arbeitsagenturen geraten. Die vermitteln Arbeit bei teils namhaften Unternehmen. In Teplice ist es zum Beispiel der internationale Flachglashersteller AGC. „Für sie ist es einfacher, Mitarbeiter über diese Agenturen anzuheuern. Das Problem ist, dass die Agenturen fast die Hälfte des Stundenlohns von 230 Kronen (9 Euro) für sich behalten“, weiß Beyerová. Deshalb hat Rudenko auch gekündigt. Ihr Problem: Die Kündigungsbestätigung der Agentur ist aus Sicht des Arbeitsamts fehlerhaft, weshalb sie nun keine Unterstützung erhält, bevor sie eine neue Arbeit findet. Beyerová will das Problem bei der Arbeitsamtschefin ansprechen, die einst auch bei ihr im Restaurant zu Mittag aß.

Mehrheit unterstützt Ukraine-Hilfe

Tschechien gehört weiterhin zu den Ländern mit den meisten ukrainischen Flüchtlingen. Aktuell leben hier über 600.000 Flüchtlinge aus der Ukraine. „In Teplice mit seinen knapp 50.000 Einwohnern sind es 3.000“, sagt Beyerová. Hochgerechnet auf ganz Sachsen wäre das fast eine Viertel Million Flüchtlinge. In Sachsen sind derzeit 57.000 ukrainische Flüchtlinge untergebracht.

Die Unterstützung reißt in Tschechien trotzdem nicht ab. „Täglich bringen Menschen Spenden und immer wieder melden sich Freiwillige zum Helfen“, ist Beyerová dankbar. Die Hilfsbereitschaft drückt sich auch in Meinungsumfragen aus. Anfang Oktober sprachen sich laut der Agentur STEM 56 Prozent für eine weitere Unterstützung der Flüchtlinge aus. Ein Viertel lehnt sie rundweg ab, 18 Prozent sind eher dagegen. Zwar gab es schon zwei Demonstrationen in Prag mit Zehntausenden Teilnehmern gegen die Russland-Sanktionen, aber auch eine ebenso große für Solidarität mit der Ukraine.

Gefragt, wie lange sie die Ukraine-Hilfe fortsetzen wird, antwortet Beyerová: „So lange, wie sie gebraucht wird.“