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Untreue-Verdacht im Leipziger Rathaus

Private Immobilien wurden offenbar leichtfertig als „herrenlos“ verkauft. Die Justiz ermittelt jetzt gegen Mitarbeiter des Rechtsamts.

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Von Sven Heitkamp

Eine neue Immobilienaffäre sorgt für Aufsehen in Leipzig: Das Rathaus soll mehrfach angeblich herrenlose, private Häuser und Grundstücke an Dritte weiterverkauft haben – obwohl deren Besitzer gar nicht unbekannt waren.

Kritiker sprechen von einer illegalen „Enteignung“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue gegen die Leiterin des zuständigen Rechtsamts, ihre Stellvertreterin und einen weiteren Mitarbeiter. Bis zur Klärung der Vorwürfe sind sie vom Dienst beurlaubt. „Die Freistellung ist aufgrund der Anschuldigungen geboten. Es handelt sich aber ausdrücklich um keine Vorverurteilung“, betont der Erste Bürgermeister Andreas Müller. Anhaltspunkte für Korruption gebe es bisher nicht. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) versprach vollständige Aufklärung.

Erben verlieren hohe Summen

Schlagzeilen machen vor allem zwei Fälle, die offenbar ohne ordentliche Prüfung der Besitzverhältnisse abgelaufen sind: Für ein Grundstück in der Lionstraße 7 wurde nach nur 24 Stunden ein Vertreter bestellt und das Haus binnen drei Wochen veräußert – obwohl der Besitzer seit Jahren Grundsteuern dafür zahlte und in den Akten des Rathauses leicht zu finden gewesen wäre. Nun ist das Grundstück für den heutigen Rentner verloren. Die Stadtverwaltung hat inzwischen Fehler eingeräumt und Möglichkeiten einer Entschädigung angedeutet. In einem weiteren Fall wurde ein Haus in Gohlis weit unter Wert verkauft – der neue Besitzer verkaufte es für etwa das Doppelte. Doch auch dort gibt es rechtmäßige Erben, denen nun eine sechsstellige Summe fehlt.

Nach dem Erscheinen von Medienberichten hat die Leipziger Staatsanwaltschaft von Amts wegen ein Verfahren eröffnet. Die Ermittler nehmen sich sämtliche Verkäufe von herrenlosen Immobilien aus den vergangenen fünf Jahren vor – rund 200 Fälle. Ältere Geschäfte gelten als verjährt. Dabei ziehen sich Rechtsverstöße offenbar wie ein roter Faden durch die Fälle. Immer wieder sollen zu Lasten der Stadt Gebühren nicht erhoben oder zu Lasten der Besitzer Zinsen nicht gezahlt worden sein. Auch Gutachten seien oft nicht eingeholt worden. Der Anfangsverdacht der Untreue erscheint der Staatsanwaltschaft als begründet. Bisher gebe es aber keine Anzeichen dafür, dass sich die Beteiligten persönlich bereichert hätten, heißt es. Dennoch müsse geprüft werden, ob die Beteiligten vorsätzlich oder nachlässig gehandelt und Sorgfaltspflichten verletzt hätten. Ergebnisse sind erst nächstes Jahr zu erwarten.

Nach dem Ende der DDR waren zahllose Immobilien von der Stadt übernommen worden. Meldet sich jetzt ein Kaufinteressent bei der Stadt, bestellt das Rathaus einen gesetzlichen Vertreter, meist einen Anwalt. Dabei soll als sicher gelten, dass es keinen Alteigentümer mehr gibt, oder er zumindest unbekannt oder unauffindbar ist. Dazu wird eigentlich – in einem ordentlichen Verfahren – zunächst in verschiedenen Behörden, Ämtern und bei Gerichten nach der Person gefahndet. Ist tatsächlich kein Eigentümer zu finden, kann die Stadt die Immobilie gegen eine Gebühr verkaufen. Das Geld geht auf ein Treuhandkonto und wird dort verwahrt. Es muss samt Zinsen ausgezahlt werden, wenn sich später doch noch ein rechtmäßiger Besitzer findet.

Das Rechnungsprüfungsamt der Stadt durchforstet nun etwa 750 Vorgänge von mutmaßlich herrenlosen Häusern, die seit Anfang der 90-er Jahre veräußert wurden. Mögliche Versäumnisse habe es aber wohl nur in Einzelfällen gegeben, sagt Rathaussprecher Matthias Hasberg. Der Abschlussbericht der Rechnungsprüfer sei im Januar zu erwarten. Ein Zwischenbericht des Antikorruptions-Beauftragten Sven Aust liegt indes schon vor.

Dem internen Papier zufolge soll bei verschiedenen Grundstücksverkäufen nicht mal in benachbarten Ämtern nachgefragt worden sein, ob es Unterlagen zu Besitzern gibt. „Ein Anruf hätte genügt“, wird Aust vom MDR zitiert. Über Motive, heißt es im Rathaus, „können wir selbst nur rätseln“.