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So rebellisch gab sich Patti Smith beim Konzert in Leipzig

Alterslos und Spaß dabei: Die 76-jährige Punk-Ikone Patti Smith gab sich beim Konzert in Leipzig als Schamanin im Jackett.

Von Tom Vörös
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Patti Smith war mit ihrer Band in der Dresdner "Garde" aufgetreten, am Montag spielte sie im Leipziger Haus Auensee.
Patti Smith war mit ihrer Band in der Dresdner "Garde" aufgetreten, am Montag spielte sie im Leipziger Haus Auensee. © SAE Sächsische Zeitung

Bloß gut, dass einer fleißigen Hausfrau namens Patricia Lee Smith Mitte der 1980er-Jahre das Geld ausging und sie sich zurück ins Live-Büro begeben musste. Nach ihren Erfolgen aus der Punk-Ära wollte sie auf dem Land entspannt alt werden. 40 Jahre später steht Patti Smith noch immer auf der Bühne – wie am Montag im ausverkauften Leipziger Haus Auensee. Und klar ist: Selbst mit 76 ist sie eine ernstzunehmende Stimme – nicht nur eine gesangliche, sondern auch eine gewissensbissige.

Als lang- und grauhaarige Schamanin im Jackett gibt sich Patti Smith hüftbeschwingt, rotzt wie ein Fußballer auf die Bühnenkante und widmet ihren „Ghost Dance“ den australischen Ureinwohnern – weil diese nach der kürzlichen Volksbefragung noch immer nicht im dortigen Parlament sitzen. Ihre Stimme klingt alters-gemäß tiefer und doch singt da, völlig glaubwürdig, eine junge Rebellin gegen Grundsätzliches an. Und man übernimmt gerne ihre zitternden Armbewegungen, zum Dämonen-Wegschütteln.

Die singende Dichterin wirkt wie ein Medium für höhere Mächte, wie eine Fachkraft für die menschliche Seele. Musikalische Wundermittel gibt es zur Genüge. Im gut eingespielten Assistenz-Team findet sich auch ihr E-Gitarre spielender Sohn Jackson Smith. Starr in der Körpersprache, wirkt sein virtuoses Spiel umso überraschender. Fürs echte Rockkonzert-Gefühl fehlt zwar der Druck. Den liefert Patti Smith aber ganz einfach selbst hinterher.

Auffällig unruhig wird es in den Reihen. Ein Sitzkonzert? Mit Punk-Ikone Patti Smith? Völlig unmöglich. Zumal die agile, halbjunge Dame selbst mit geschlossenen Augen eine Energie freisetzt, tanzt, singt, seufzt und schreit, dass man fast meint, im Stehen zur Welt gekommen zu sein. Nach „Work“, das den wenig wertgeschätzten Berufen gewidmet ist und weiteren Fingerzeig-Weisen gibt es mit „Dancing Barefoot“ kein Halten mehr. Smith fordert den Fans die totale innere Freiheit ab. Vor allem die Jüngeren drängen zur Bühne, kein leichter Job für die Sicherheit. Zugunsten der Stimmung lässt man halbwegs gewähren.

Es folgen viel Poesie und endlose Instrumentalparts – ein mutmaßliches Gefühl wie in den 1960ern, nur ohne Pillen und Rauchware. Auf den entschleunigten Hendrix-Hippie-Hit „All Along The Watch-tower“ folgen Bob Dylans „One Too Many Mornings“ und „Because The Night“ – das Lied für ihren Lebensgefährten Fred Smith, der 1994 mit 31 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb.

Nach dem aufpeitschenden „Gloria“ zieht sich Patti Smith mühsam die Socken aus für die Protest-Hymne „People Have The Power“. Minuten später wird man sich innerlich einig: Die Frau hat mehr zu sagen als die meisten. Bei Patti Smith treffen sich Spiritualität und Realitätssinn zur Kaffeepause, Emotionen und Vernunft zum Kneipenabend. Das Beste aller Welten klingt hier in einer Stimme nach, die hoffentlich noch lange bleibt.