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Viele Alarmsignale ignoriert

Als Oberschullehrer hatte Dietmar W. sexuelle Kontakte mit einer Schülerin. Nun wurde er verurteilt.

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© Robert Michael

Von Alexander Schneider

Das neue Handy ihrer Tochter machte die Frau nicht stutzig, auch nicht, dass der Lehrer ihres Kindes den zweijährigen Mobilfunkvertrag bezahlte. Dass ihre Tochter mehrere Tage mit dem Mann verreiste? Auch das erregte keinen Zweifel. Erst als sich das Mädchen, inzwischen 15 Jahre alt, ihrer Mutter offenbarte und einen jahrelangen sexuellen Missbrauch ihres Lehrers beichtete, ging die Frau zur Polizei.

Seit November 2015 sitzt Dietmar W. in Untersuchungshaft. Am Dienstag endete der Prozess gegen den 57-jährigen ehemaligen Lehrer für Technik und Computer an der 64. Oberschule in Laubegast. Schuldig wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sechs Fällen. Verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Und wieder auf freiem Fuß. „Die verbleibende Strafe übt aus Sicht des Gerichts keinen erheblichen Fluchtanreiz aus“, sagte Richter Andreas Ziegel, der Vorsitzende der Jugendkammer des Landgericht Dresdens. Mit seinem – späten – Geständnis habe der Angeklagte dem heute 16-jährigen Missbrauchsopfer eine intensive Befragung vor Gericht erspart.

Laut Anklage soll es über drei Jahre immer wieder sexuelle Kontakte zwischen dem Lehrer und seiner 12- bis 15-jährigen Schülerin gegeben haben. Grapschen, Küsse, Geschlechtsverkehr – vaginal und oral. Auf Urlaubsreise in einem hessischen Hotel, in der Wohnung von W.s Sohn, im Auto und, nicht zuletzt, in der Schule. 33 Fälle listete die Staatsanwältin in ihrer Anklage zum Prozessauftakt Mitte Mai auf. Der Angeklagte schwieg. „Das ist das gute Recht eines jedes Angeklagten“, sagte Ziegel in der Urteilsbegründung. Entscheidend für die Kammer sei gewesen, dass W. sich dann doch zu einem (Teil-)Geständnis durchgerungen und so der Jugendlichen eine mehrstündige Vernehmung erspart habe.

Gestanden hat der Mann lediglich sechs Fälle mit Geschlechtsverkehr Anfang 2015, bei denen das Mädchen bereits 14 Jahre alt war. Verteidiger Michael Sturm betonte, es habe sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt, der unter Partnern ohne Ausnutzung einer Vertrauensstellung nicht strafbar sei. Die übrigen 27 Vorwürfe stellte das Gericht im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung ein. Das Urteil war Ergebnis eines Rechtsgespräches.

Möglicherweise überwand sich der Angeklagte dazu, weil sich nach Prozessauftakt weitere ehemalige Schülerinnen bei der Polizei gemeldet und den Lehrer belastet haben. Das berichtete eine Ermittlerin der Kripo. Die Jugendkammer habe diese Verdachtsfälle jedoch bewusst nicht gewertet, so Ziegel: „Wir müssen zunächst die Ermittlungen abwarten.“

Der Mittelschullehrer habe seine Vertrauensstellung als Lehrer ausgenutzt und massiv missbraucht. „Die Verantwortung für die Taten liegt allein bei Ihnen“, sagte Ziegel zum Angeklagten. Alarmsignale anderer Lehrer und seiner Partnerin, die sich über W.s Beziehung zu der Schülerin wunderten, habe er in den Wind geschlagen.

Die Staatsanwältin beschrieb, dass Lehrer W. dem Kind Nachhilfe gegeben habe, für sie eine Art Vaterersatz war und sie sehr ernst genommen habe – damit käme man bei Mädchen in dem Alter gut an. Dennoch kam das Gericht zu dem Schluss, dass W. die Beziehung zu der Schülerin nicht aufgebaut habe, um mit dem Mädchen Sex zu haben. Es habe sich ergeben. W. war aufgrund eines ernstzunehmenden Suizidversuchs im Leipziger Haftkrankenhaus untergebracht. Trotz Warnungen der Staatsanwaltschaft kam er nun auf freien Fuß.

Diese Entscheidung löste bei Staatsanwaltschaft und Anwalt Ralf Flügge, er vertritt die Geschädigte als Nebenklägerin, Entsetzen aus. „Ich bin sauer ohne Ende“, sagte Flügge. Er hatte in dem Prozess ein Schmerzensgeld von 5 000 Euro für seine Mandantin erstritten und plädierte wie die Staatsanwältin auf vier Jahre Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.