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Vom alten Badeofen zur Haustechnik der Zukunft

Einst sorgte das Eisenwerk Wittigsthal für warmes Wasser. Heute setzt der Chef auf moderne Messsysteme und hat bereits die nächste Umwälzung im Blick.

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Von Claudia Drescher, Johanngeorgenstadt

Wie Zinnsoldaten reihen sich die unfertigen Badeöfen auf. Inmitten der alten Industriehalle warten die grauen Stahl-Zylinder auf ihr Emaille-Bad. Erst nach unzähligen Abbiegungen kreuz und quer über das 45 000 Quadratmeter umfassende Firmengelände des Eisenwerks Wittigsthal gelangt man zu Hans-Dieter Dombowski, dem Fertigungsleiter für Badeöfen.

Badeofen-Parade: Man glaubt es kaum, aber die Oldies feiern eine kleine Renaissance – als Warmwasserboiler im Retrolook. Doch den wichtigsten Umsatz machen die Wittigsthaler mit Wasserzählern, Mess- und Verteilerstationen für die Haustechnikbranche.
Badeofen-Parade: Man glaubt es kaum, aber die Oldies feiern eine kleine Renaissance – als Warmwasserboiler im Retrolook. Doch den wichtigsten Umsatz machen die Wittigsthaler mit Wasserzählern, Mess- und Verteilerstationen für die Haustechnikbranche. © dpa

Gemeinsam mit sechs Mitarbeitern produziert der 59-Jährige die heute nostalgisch anmutenden Badeöfen, mit denen Wittigsthal zu DDR-Zeiten den gesamten Ostblock versorgte. Wo einst 60 000 Öfen pro Jahr im Dreischichtbetrieb gefertigt wurden, müssen Dombowski und seine Kollegen heute nur noch alle paar Monate ran. „Dann produzieren wir zwei Monate lang am Stück, machen bis auf Kunststoffteile, Schamotte und Guss die gesamte Metallverarbeitung selbst“, erläutert der Firmenchef Jochen Browa, der das kleine Unternehmen seit dem Jahr 2008 leitet.

Rund 4 000 Badeöfen im Jahr verlassen das Betriebsgelände wenige Hundert Meter vor der Grenze zu Tschechien. Liebhaber im sanierten Berliner Altbau etwa schätzen die Öfen, die zu einem Preis zwischen 600 und 700 Euro angeboten werden, als Warmwasserboiler im Retrolook. Der größte Teil geht aber in den Export Richtung Osteuropa, besonders gefragt sind die Öfen in Tschechien.

Mit dem Ende der DDR war das einst wichtigste Produkt des Eisenwerks kaum noch gefragt. „Von einem Tag auf den anderen mussten neue Ideen her“, erinnert sich Prokurist Friedemann Lang, der seit mehr als 30 Jahren bei Wittigsthal arbeitet. Der schwäbische Unternehmer Winfried Friedrich übernahm 1992 das Eisenwerk, das vor der Wende noch 300 Mitarbeiter zählte und krempelte es komplett um. Der Maschinenbau-Ingenieur, der unter anderem an der Leipziger Tunnelbohrmaschine „Leonie“ mitarbeitete, wollte eine eigene Firma – und zog kurzerhand ins tiefste Erzgebirge.

Heute sieht sich das Unternehmen als Haustechnik-Hersteller. Aus Johanngeorgenstadt kommen nach Firmenangaben jährlich 60 000 Wasserzähler, zudem Tausende Wärmezähler, Mess- oder Verteilerstationen für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnikbetriebe.

Seit 2008 wächst die Branche stetig: 39,5 Milliarden Euro Umsatz hat das Handwerk, für das die Johanngeorgenstädter produzieren, 2015 erzielt. Deutschlandweit zählt die Branche derzeit knapp 53 000 Unternehmen mit rund 348 000 Beschäftigten. Der positive Trend scheine anzuhalten, heißt es im aktuellen Jahresbericht des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima.

Das gilt auch für das erzgebirgische Unternehmen. In den vergangenen acht Jahren habe sich der Umsatz verdoppelt, berichtet Firmenchef Browa. Die beiden Betriebsteile – Haustechnik sowie Maschinen- und Stahlbau – erwirtschaften zehn Millionen Euro im Jahr. Mit 70 Mitarbeitern gehöre man zu den drei größten Arbeitgebern in Johanngeorgenstadt. Wie Wittigsthal hätten sich viele ehemalige DDR-Unternehmen, die heute noch tätig seien, neu definieren müssen, sagt Markus Reichel, Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Sächsischen Union. Genau darin habe aber auch eine große Chance gelegen. Er sieht sie auch jetzt. „Meiner Meinung nach müssen wir 25 Jahre nach der Wende wieder eine neue Aufbruchstimmung erzeugen.“

Jochen Browa hat die nächste Neuerung schon im Blick: Vom stromfressenden Eisenwerk hin zum energetisch autarken Unternehmen – fast zumindest. Drei Viertel des Energiebedarfs der Verwaltung könne die 430 Kilowatt starke Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach bereits decken. „100 Prozent sollen es zukünftig werden.“

In Zusammenarbeit mit der TU Freiberg oder dem Chemnitzer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik entstünden stetig neue Ideen, die wie die einer vertikalen Windkraftanlage manchmal auch in der Prototypenphase stecken bleiben. „Aber wenn wir immer nur weiter Badeöfen hergestellt hätten, gäbe es uns heute gar nicht mehr“, ist Prokurist Lang überzeugt. (dpa)