Merken

Vom Glück der offenen Grenzen

Lange Zeit herrschte Misstrauen an der Neiße. Nun wandelt sich das Verhältnis.

Teilen
Folgen
NEU!
© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com

Von Sebastian Beutler

Görlitz. Offene Grenzen zwischen Görlitz und Zgorzelec – es war ein weiter Weg bis dahin. Am Anfang steht ein zweiter Eiserner Vorhang in Europa, denn viel Freundschaft herrschte an dieser Nahtstelle zwischen der DDR und Volkspolen nach dem Kriege nicht. Krieg und Nationalitätenprobleme, Vertreibung der Deutschen und Neuansiedlung der Ostpolen hatten tiefes Misstrauen entstehen lassen.

Nur war die Neiße nicht nur eine Grenze zwischen zwei Ländern, die sich Bruderländer nannten. Die deutsch-polnische Grenze war zugleich auch eine harte kulturelle Grenze, an der sich unterschiedliche Geschichtsbilder und Identitäten lange Zeit unversöhnt trafen, wie der Bayreuther Wissenschaftler Nicolai Teufel schreibt. Und sie ist eine der härtesten Sprachgrenzen in Europa, zwischen dem slawischen und dem deutschsprachigen Raum.

Trotz des Freundschaftsabkommens dauerte es bis Anfang der 1970er Jahre, bis sich die Grenzen öffneten und sich ein kleiner Grenzverkehr entwickelte. Deutsche kauften aktuelle Schallplatten und Jeans in Polen ein, Polen schätzten Fleischerware aus Deutschland. Gastarbeiter bauten kulturelle Brücken. Doch Hamsterkäufe in Görlitzer Läden sorgten für böses Blut.

Nur kurz aber war diese Zeit des Aufeinanderzugehens – denn schon Anfang der 1980er Jahre war die Zeit der offenen Grenzen zu Ende. Als sie wieder begann, standen zunächst Lkws quer durch Görlitz, um nach Polen zu gelangen. Mühsam wurde es besser. Die Piroggen-Schaukel der Gastwirte von deutscher Vier- und polnischer Dreiradenmühle war ein erster spektakulärer Brückenschlag – doch weil es ein Zollvergehen war, blieb sie nur einen Tag. Erst zusätzliche Brücken – über die Autobahn und in der Altstadt – brachten den Durchgangsverkehr aus der Stadt und ermöglichten das Flanieren im jeweils anderen Stadtteil.

Das Glücksgefühl der offenen Grenzen beschrieb der frühere Görlitzer Oberbürgermeister Rolf Karbaum unlängst ganz praktisch. Wie schön es sei, dass niemand beim Gang von Görlitz nach Zgorzelec mehr angehalten wird, weil Kontrolleure einen Blick in die Einkaufstaschen werfen wollen. Und doch sind diese offenen Grenzen bedroht. Von Gleichgültigkeit, von Normalität, aber auch von Grenzkriminalität, die gegen ihre Akzeptanz arbeitet. Dagegen helfen die lebendigen Erinnerungen an die Zeit der geschlossenen Grenzen.