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Vom Leben lernen

Haben sich Jugendliche und Rentner noch etwas zu erzählen? Eine Freitaler Oberschule hat es im Unterricht ausprobiert.

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© Egbert Kamprath

Von Dorit Oehme

Freital. Manfred Prescher rutscht mit seinem Stuhl zurück. Dann zeichnen seine Hände das zweirädrige Dreirad seiner Kindheit knapp über dem Fußboden in die Luft. „Ich konnte nur auf einer Seite treten. Auf der anderen musste ich mich abschieben, sonst wäre ich umgekippt“, erzählt der Senior, der 1939 geboren und in einem kleinen Dorf in der Lausitz aufgewachsen ist.

Er war Entwicklungsingenieur und Abteilungsleiter bei Robotron. Heute engagiert er sich ehrenamtlich für den sogenannten Generationendialog, der ein mehrfach ausgezeichnetes Projekt der Bürgerstiftung Dresden ist. An diesem Vormittag ist Manfred Prescher mit acht anderen Senioren und zwei Studenten in der Lessing-Oberschule in Freital-Potschappel zu Gast. Das große Thema heißt „Jugend im Wandel der Zeit.“ In Kleingruppen sprechen die Senioren mit den Zehntklässlern der Schule über die Hitlerjugend und die Freie Deutsche Jugend (FDJ).

Manfred Prescher wechselt mit seinen jungen Zuhörern zwischen Lockerem und Ernstem. Die Gesprächsthemen wurden ausgelost. Jetzt liegen die Symbole der Jung- und Thälmannpioniere sowie der FDJ auf dem Tisch. Der Senior nimmt die Jugendlichen für einige Momente mit ins Pionierferienlager: „Ein Neulehrer von uns hatte einmal eins für alle Kinder der ersten bis achten Klassen des Dorfes organisiert. Wir waren auf einem Bauernhof. Dort schliefen wir im Heu. Rechts die Mädchen, links die Jungen.“

Prescher erklärt auch die Strukturen, die Kleidung und den Gruß der Pionier- und der FDJ-Organisation. „Es war ziemlich politisch eingerichtet. Doch vor allem war es eine Chance zur Freizeitbeschäftigung. Die Hitlerjugend diente dazu, die Jugend für den Krieg zu erziehen. In der DDR ging es um den Frieden.“

„Sind Sie froh, dass Sie früher aufgewachsen sind? Oder würden Sie lieber ein Jugendlicher von heute sein, weil Sie da mehr technische Möglichkeiten hätten“, fragt der 17-jährige Alex Weber, der Erzieher werden will. Bis jetzt haben alle zugehört. Jetzt interessiert sich Manfred Prescher für die Welt der Jugendlichen. Er legt sein Handy auf den Tisch, erzählt, dass er den Computer als Ortschronist nutzt und das Kommunikationsprogramm WhatsApp von seinen Enkeln kennt.

„Klingelt ihr eigentlich noch an der Tür bei euren Freunden, wenn ihr euch verabreden wollt? Und schreibt ihr noch Briefe?“, fragt der Gast die Zehntklässler, die kurz vor der Prüfungszeit stehen.

Der Generationendialog ist am Ende der Schulzeit eine Art Zugabe fürs Leben. „Die Schüler bekommen durch das Gespräch mit den Zeitzeugen einmal eine ganz spezielle Sicht auf die damalige Zeit“, sagt Geschichtslehrerin Martina Kramer. Sie hat das Projekt 2011 an die Schule geholt. Seitdem findet die Begegnung von Senioren und Schülern jedes Jahr statt.

Studenten bereiten den Dialog vor, sie bringen Jung und Alt zusammen und moderieren. Im Bandraum der Lessing-Oberschule besprechen die Gruppen das Erlebte. Janina Kießling, die an der TU Dresden in ihrem fünften Master Politik und Verfassung studiert, moderiert. Sie sagt: „Anfangs ist oft Skepsis zwischen den Generationen da. Doch innerhalb von 90 Minuten wandelt sich die Atmosphäre komplett.“ Sieben Oberschulen und ein Gymnasium sind im Jahr 2016 an dem Projekt beteiligt.