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Von der Raserei zur Ruhe

Jörg Polenz lässt die Filmnächte sausen und setzt mit seinem Palais-Sommer ganz auf die Entdeckung der Langsamkeit.

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© Christian Juppe

Von Nadja Laske

Der gemeine Liegestuhl findet sich auf Privat-Balkonen und auf Hotel-Terrassen. Selbst am Fuße der Ski-Pisten kommt er vor. Besonders gut aber steht er auf einer Wiese an einem Fluss, unter Platanenzweigen und geschützt durch ein altehrwürdiges Gemäuer.

Diesen idealen Ort hat Jörg Polenz gefunden. Zwischen Elbe und Japanischem Palais. Dort versuchte er vor acht Jahren den ersten Palais-Sommer, ein Festival des gepflegten Chillens. Kulturell behaucht und um sich kreisend, doch nach allen Seiten offen und sehr beliebt. Jörg Polenz, 52 Jahre alt, studierter Kulturwissenschaftler und Miterfinder der Dresdner Filmnächte am Elbufer, gehörte seit Beginn des Open-Air-Kinos am Königsufer zum Veranstalter-Trio – 26 Jahre lang. Nun sagt er dem Unternehmen Adieu. Die Tinte ist trocken und die Trennung vollzogen. Jörg Polenz hat die PAN GmbH verlassen und seinen Anteil an den Filmnächten verkauft.

Markenzeichen eintrittsfrei

Zu einem Drittel war er beteiligt und einer von drei Geschäftsführern. Im Impressum sind nun weiß auf nachtblauem Grund nur noch die Namen Matthias Pfitzner und Johannes Vittinghoff zu lesen. Hinter den Kulissen ist ein neuer dritter Namen im Gespräch: Dieter Semmelmann, Gründer und Chef des Veranstaltungsunternehmens Semmel Concerts Entertainment GmbH mit Hauptsitz in Bayreuth. Bestätigen will das Unternehmen die Beteiligung an den Filmnächten am Elbufer bislang nicht.

Jörg Polenz ist die Entscheidung nicht leichtgefallen. Sie hat Jahre gebraucht. „Doch nach so langer Zeit freue ich mich darauf, eigene und neue Wege zu gehen“, sagt er. Im Liegestuhl wird er nicht versinken. Nur dann und wann. Denn „Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst des Arbeitens“, wie es der US-amerikanische Autor John Steinbeck einst sagte. Zur Ruhe kommen und sich besinnen will Jörg Polenz. Mehr Aussicht als Rückblick, mehr Ausblick als Rücksicht.

Aber er muss auch glotzen und ranklotzen. Denn das diesjährige Festival hat schon begonnen. Als Polenz seine Vision 2009 zum ersten Mal auf die Wiese hinter dem Japanischen Palais pflanzte, bekam er Unterstützung. In diesem als auch im darauffolgenden Jahr förderte das Land Sachsen den Palais-Sommer mit jeweils 60 000 Euro. Dem Freistaat gefiel die Idee, das Areal des rund 300 Jahre alte Museumsgebäudes zu beleben. Das ist Polenz und seinen Mitstreitern seitdem jeden Sommer gelungen. Auch als es kein Fördergeld mehr gab und sich die Veranstaltung selbst tragen musste, mithilfe von Sponsoren, aber ohne Ticketverkauf.

Markenzeichen eintrittsfrei. Damit ist Polenz vor acht Jahren gestartet. So soll es auch bleiben. Warum? Ist das Signal, Kultur sei kostenlos zu haben, richtig? Diese Fragen musste er sich gefallen lassen. Jörg Polenz sagt: „Ja!“ Nicht, weil Kultur kein Geld wert ist, sondern, weil sie Erlebnisse schafft, die in Köpfen Horizonte öffnen kann. Polenz ist kein Jesuslatschenträger, kein Bäume-Umarmer. Er kann Zahlen nicht wegsummen. Um den Palais-Sommer acht Wochen lang zu bespielen, braucht er wenigstens 150 000 Euro. „Ich will ein Festival etablieren, das sich die Dresdner selbst finanzieren. Durch Spenden.“

Zunächst setzten Jörg Polenz und das rund vierköpfige Planungsteam auf Crowdfunding-Aktionen im Internet. Die erreichten das Sponsoring-Ziel. Inzwischen erweist sich jedoch eine andere Variante als erfolgreicher als das recht komplizierte Anmeldungs- und Überweisungsverfahren.

Von dem Geld werden unter anderem Musiker bezahlt, die zum Beispiel live Klavier spielen. Miete und Transport des Flügels auf eine kleine Bühne mitten auf der Wiese kostet. Auch Toiletten, Beleuchtung, die Leinwand und die nötige Technik für Filmvorführungen und Hörspielnächte wollen bezahlt sein.

Entwicklungshilfe am Menschen

Außerdem gibt es Auflagen vom Denkmal- und Umweltschutz. „Wir müssen beispielsweise die beiden großen Platanen so abschirmen, dass im Ausmaß der Baumkrone kein Besucher an sie herantreten kann“, erklärt Polenz. Aus der Vorgabe macht er nun eine neue Aktion. Als Schutz lässt er Wände um die Bäume aufbauen, die Künstler bemalen werden.

Auf das Crowdfunding verzichtet Jörg Polenz in diesem Jahr aus folgendem Grund: „Auf unserem ganz normalen Spendenkonto sind schon so viele Beträge eingegangen, dass wir die Dresdner aufrufen, uns lieber weiterhin auf diese Weise zu unterstützen.“ Von der Hand in den Mund lebt es sich zwar damit. Das Programm des Palais-Sommers füllt sich im Gehen. Doch Polenz ist optimistisch. Der Weltverbesserer in ihm will nicht schweigen. „Ich glaube daran, dass jeder Mensch Kunst und Kultur braucht, um sich weiterzuentwickeln. Solche Momente will ich schaffen.“ Mit dem Vorhaben sei er einst angetreten, als er nach der Wende den Filminitiative Dresden e.V., das Filmfest und die Filmnächte mitgründete.

Vielleicht erscheint Kritikern sein Projekt zu selbstbefindlich. Doch der Palais-Sommer hat Erfolg. Kein lauer Sommerabend, an dem nicht Hunderte auf der Palaiswiese Klaviermusik oder Hörspielen lauschen. Auf Picknickdecken und in Liegestühlen lungern die Gäste, viele bringen sich ihren Imbiss selbst mit. Das ist ausdrücklich erlaubt, obgleich das benachbarte Hotel Bellevue einen Ausschank betreibt und kleine Speisen anbietet.

Live-Mal-Aktionen ziehen immer mehr Publikum an. Die Zahl internationaler Künstler, die vor Ort arbeiten, wächst. Einen regelrechten Boom hat Polenz, selbst überzeugter Yogi, mit dem Angebot „Yoga im Park“ ausgelöst. Zum ersten Mal rollten am vergangenen Freitag mehr als 300 Freunde der Tiefenentspannung ihre Matten auf der Wiese aus. Sie fliehen von der Raserei in die Ruhe. Die großen Worte „Wertewandel in der Gesellschaft“ spricht auch Jörg Polenz. Er will Menschen im Herz bewegen und ihren Kopf anregen.