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Vor 25 Jahren zerfiel die Sowjetunion

Reformer Michail Gorbatschow gab seinem Land die Freiheit - dann zerbröselte es unter seinen Händen und er trat zurück. Die meisten Blütenträume seiner Nachfolger haben sich nicht erfüllt.

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Friedemann Kohler

Moskau. Das Ende war hochdramatisch und zugleich banal. Am 25. Dezember 1991 verkündete Michail Gorbatschow im Fernsehen den erwarteten Rücktritt. Der sowjetische Staatschef saß im Kreml in Moskau vor einer hässlichen weißen Seidentapete. Er sagte auf seine gewundene Art: „Aufgrund der entstandenen Situation durch die Bildung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten beende ich meine Tätigkeit als Präsident der Sowjetunion.“

Vor 25 Jahren zerfiel das sozialistische Riesenreich, das fast 70 Jahre lang aus dem Moskauer Kreml regiert worden war (Foto vom Roten Platz aus dem Jahr 1988).
Vor 25 Jahren zerfiel das sozialistische Riesenreich, das fast 70 Jahre lang aus dem Moskauer Kreml regiert worden war (Foto vom Roten Platz aus dem Jahr 1988). © dpa
Karte zum Zerfall der Sowjetunion 1991: die Grenzen der UdSSR, die abgefallenen Länder und das Datum ihrer Unabhängigkeit.
Karte zum Zerfall der Sowjetunion 1991: die Grenzen der UdSSR, die abgefallenen Länder und das Datum ihrer Unabhängigkeit. © dpa-infografik

Wenige Minuten vorher hatte der Reformer und Friedensnobelpreisträger die Kontrolle der sowjetischen Atomwaffen dem russischen Präsidenten Boris Jelzin übergeben. Kurz nach Gorbatschows Auftritt wurde über dem Kreml die rote Fahne mit Hammer und Sichel eingeholt. Einen Tag später besiegelte der Oberste Sowjet, das Parlament der Sowjetunion, die völkerrechtliche Auflösung des Riesenreiches.

Die Sowjetunion, das Land der Oktoberrevolution, der Staat Lenins und Stalins, das Land der Gulag-Straflager und des ersten Raumflugs, die kommunistische Supermacht mit weltumspannenden revolutionären Zielen - sie war nicht mehr.

Mit dem Jahreswechsel vor 25 Jahren machten sich die Sowjetrepubliken als eigenständige Staaten auf den Weg und erhofften sich eine goldene Zukunft - darunter das immer noch riesige Russland, die ehrgeizige Ukraine, das vorsichtige Kasachstan, das hitzköpfige Georgien, die Feinde Armenien und Aserbaidschan. Die drei baltischen Staaten hatten ihre Unabhängigkeit schon im Sommer 1991 zurückgewonnen.

Die Gründe für den Zerfall waren vielfältig. Die sowjetische Kommandowirtschaft steckte tief in der Krise, sie konnte sich das Wettrüsten gegen die USA nicht mehr leisten. Gorbatschow, an der Macht ab 1985, gab den Satellitenstaaten in Ostmitteleuropa ihre Freiheit zurück und wurde einer der Väter der deutschen Einheit.

Doch im Inneren der Sowjetunion brachten seine Reformen mit Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) keine Besserung: Sie öffneten nur den Blick auf die wirtschaftliche Misere, die finstere Stalin-Vergangenheit, die unterdrückten Nationalitätenkonflikte.

Der versuchte Putsch konservativer Militärs und Geheimdienstler vom August 1991 verstärkte nur die Fliehkräfte. Anfang Dezember 1991 gründeten Jelzin und die Oberhäupter der Ukraine und Weißrusslands, Leonid Krawtschuk und Stanislaw Schuschkewitsch, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Der Schritt manövrierte Gorbatschow und seine sowjetische Staatsspitze endgültig ins Aus.

Und heute, ein Vierteljahrhundert später? Wirklich glücklich war die Entwicklung auf den 7400 Kilometern zwischen dem weißrussischen Brest und dem russischen Wladiwostok am Pazifik nicht. Für die Russen kam erst die „Notzeit der 1990er“, wie sie es nennen: mit wildem Kapitalismus, Armut und ausufernder Kriminalität.

Unter Präsident Wladimir Putin ab 2000 stabilisierte sich das Land, wurde aber zunehmend autoritär regiert. Der jetzige Kremlchef wertet die Auflösung der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Russland als Zentrum des Imperiums versucht, den Einfluss auf die anderen Republiken zurückzugewinnen.

In der russischen Bevölkerung bedauern immer noch 56 Prozent, dass die Sowjetunion zerfallen ist. 28 Prozent der Russen tut der Verlust dagegen nicht leid, wie eine Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums zum Jahrestag ergab. Mit kleinen Schwankungen ist der Anteil der Sowjetnostalgiker über die Jahre aber gesunken.

Die Union hätte gerettet werden können, sagte Gorbatschow in einem Interview zum Jahrestag. „Man hätte eine Dezentralisierung durchführen müssen, dann wären die neuen Republiken stark geworden, wirtschaftlich wie sozial“, sagte der 85-Jährige der Agentur Tass.

Die baltischen Republiken sind heute Mitglieder von EU und Nato. Andere Republiken versanken nach dem Ende der Sowjetunion in Kriegen oder Bürgerkriegen wie Moldau, Georgien, Armenien und Aserbaidschan und Tadschikistan. Die Ukraine ist wirtschaftlich und politisch 25 Jahre nahezu auf der Stelle getreten. Sie will sich an die EU annähern, hat aber die Krim an Moskau verloren und muss sich gegen einen hybriden Angriff Russlands in ihrem Osten wehren.

Der im Westen verehrte Gorbatschow wird im eigenen Land oft als Verräter geschmäht, als Zerstörer der sowjetischen Reichs. Er selbst sagte aber schon in jener letzten Fernsehansprache: „Ich bin immer noch von den Reformen überzeugt, die uns Freiheit gebracht haben. Das ist das wichtigste Ergebnis.“ (dpa)