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Vorurteile gegen Sorben?

Heilig oder scheinheilig? Klischees Deutscher über Sorben sind vielfältig. Jetzt sind sie erstmals wissenschaftlich untersucht. Das Ergebnis dürfte auf beiden Seiten für Diskussionen sorgen.

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© dpa

Bautzen. Deutsche und Sorben leben seit mehr als 1.000 Jahren zusammen. Dennoch halten sich manche Vorurteile über die slawische Minderheit hartnäckig. Und auch die Sorben selbst sind sich untereinander nicht immer grün. Unter dem Titel „Von Geiz bis Gastfreundschaft“ ist die Doktorarbeit der Literaturwissenschaftlerin Katharina Elle zu diesem Thema jetzt im Domowina-Verlag erschienen.

Elle hat darin Stereotype am Beispiel der Oberlausitzer Sorben analysiert. Aber auch eine alte Erkenntnis fand sie bestätigt: „Die Sorben selbst sind kein einheitliches Volk. Es gibt bei ihnen so viele Strömungen wie bei den Deutschen.“

Elle hat fünf Perspektiven gewählt: Deutsche blicken auf Sorben, Sorben auf Deutsche, beide auf sich selbst, und schließlich denken Sorben darüber nach, was über sie gedacht wird. Aus den Antworten Deutscher spricht nicht selten Neid, Missgunst oder Überheblichkeit. Das hängt wohl auch mit einem gewissen Sonderstatus zusammen, den Sorben in den Augen vieler zu DDR-Zeiten hatten.

Vorurteile viel älter als die DDR

So hörte auch Elle in ihren Interviews die Ansicht, den Sorben sei schon immer „Zucker in den Hintern geblasen“ worden. Tatsächlich benutzte die DDR ihre einzige Minderheit als ein Aushängeschild für eigene Weltläufigkeit. Die Vorurteile Sorben gegenüber sind aber viel älter als die DDR.

„Sorben, das sind die, die immer nur Folklore machen, den ganzen Tag ihre Trachten tragen und Ostereier bemalen“, nennt Elle ein oft genannte Klischees bei jungen Deutschen. Auch negative Eigenschaften wie geizig, reich, scheinheilig, provinziell oder unehrlich hat die 40 Jahre alte Wissenschaftlerin notiert.

Mitunter finden sich bei ein und demselben Interviewpartner widersprüchliche Aussagen. So wird Geiz im gleichen Atemzug mit Gastfreundlichkeit genannt. Elle spricht von einer „argumentativen Versöhnung“ - zwei sich ausschließende Eigenschaften würden vereint. Auch Stolz, Geselligkeit, ein fester Glaube und Fleiß sind positive Urteile von Deutschen über Sorben.

Deutsche arrogant, intolerant, neidisch

Frust hat die Forscherin häufig dann bei Deutschen gespürt, wenn Sorben - die allesamt die deutsche Sprache verstehen - in ihrem Beisein plötzlich nur noch Sorbisch sprechen. Dann hätten junge wie auch ältere Deutsche das Gefühl, dass „hinter dem Rücken über sie geredet“ werde.

Dass manche Stereotype wie Unredlichkeit und Verschlagenheit sich über die Jahrhunderte hinweg gehalten haben, belegt die Autorin mit historischen Texten. Andere Klischees - etwa das von der „liebesfreudigen“ Sorbin - seien dagegen verschwunden. An sich selbst kritisieren Sorben beispielsweise, dass sie untereinander uneins seien oder nationalistische Tendenzen hätten.

Aus sorbischer Perspektive dagegen werden Deutsche als arrogant, intolerant oder auch neidisch empfunden. Elle zufolge passen sich viele Sorben in der Öffentlichkeit am liebsten an: „Wenn ein Paar ins Restaurant geht, dann reden Frau und Mann plötzlich Deutsch miteinander, um nicht aufzufallen.“

Ein Kapitel über Tillich

In der Einleitung zu ihrer Arbeit beschreibt die Wissenschaftlerin, wie sie einem sorbischen Freund beim Ausfüllen eines Bewerbungsschreibens half. Der junge Mann wollte seinen sorbischen Vornamen genauso leugnen wie seine Sprachkenntnis - aus Sorge, mit seinen slawischen Wurzeln weniger Chancen auf einen Job zu haben.

Ein Kapitel der Arbeit bleibt Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) vorbehalten, der als Sorbe Landesvater aller Sachsen ist. Elle beleuchtet, wie die Medien bei Tillichs erster Wahl 2008 auf Stereotype zurückgriffen. Gern wurde der Regierungschef damals mit Kindern in sorbischer Tracht abgelichtet.

Mit ihrer Doktorarbeit will Katharina Elle nun auf Lesetour gehen. In ersten Reaktionen hat sie viel Interesse für ihr Thema, aber auch Ressentiments gespürt. Manche Sorben würden nicht wollen, dass nun auch noch Öl ins Feuer gegossen werde, sagt die Autorin. Für sie ist das kein gutes Argument: „Ich bin der festen Ansicht, Dinge beim Namen zu nennen.“ (dpa)