Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Merken

Waren-Würfelei für eine bessere Welt

Streit um begehrte Teile lösen Brigitte Welteroth und ihre Kolleginnen im neuen Oxfam-Shop spielerisch.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Nadja Laske

Keine Eins ist das abgelegte Sakko wert – was nichts heißen muss. Sehr wahrscheinlich wird es sich später noch verflüssigen. So wie das pinkfarbene Kinderkleid, für das gleich drei Mütter in den neuen Oxfam-Shop am Schillerplatz gekommen sind. Nur eine wird den süßen Fummel mit nach Hause nehmen. Doch dafür braucht sie wenigstens eine Zwei.

Gestern sind in dem frühlingsgrünen Eckladen wieder die Würfel gefallen. Dort räumen Brigitte Welteroth und ihre Kolleginnen alle zwei Wochen die Schaufenster leer. Denn auch diese Second-Hand-Schnäppchen wollen sie getreu dem Oxfam-Credo „Wir machen Überflüssiges flüssig“ in Bares verwandeln. Punkt halb eins mittags rollen sie beladene Warenträger aus dem Lager ins Licht. Vor dem Kassentresen wartet schon gut ein Dutzend Kunden. Die haben sich diesen Startschuss fest in den Kalender eingetragen und hoffen nun darauf, das schon Tage zuvor durch Glas bewunderte Teil endlich kaufen zu können. Taucht jedoch ein Mitbewerber auf der Zielgeraden auf, wird es spannend. „Wenn zwei oder mehrere Kunden das Gleiche kaufen wollen, würfeln wir den Käufer aus“, erklärt Brigitte Welteroth. Wie ihre 40 Dresdner Kolleginnen arbeitet sie ehrenamtlich im Geschäft und gestaltet aller 14 Tage die Schaufenster neu, immer nach einem anderen Thema. Raschelnde Abendkleider, etliche verzierte Theatertäschchen, Perlenschmuck und Pumps vom nun auseinanderdividierten Motto rund um Galas und Bälle werden ausgerufen. Ein wollener Herrenanzug findet keinen Abnehmer, er wird später unter seinesgleichen in Reih und Glied gehängt, wo ihn früher oder später ein Interessent findet. Für die vier Sektschalen zu insgesamt sechs Euro jedoch schnellen zwei Hände nach oben: Ab geht's zum Würfeln an die Kasse.

Doppelbelastung im Glücksspiel

Während der Bewerber gewinnt, dessen Würfel die größte Ziffer zeigt, gehen wenige Meter weiter drei Paar Manschettenknöpfe, ein Paar schwarze Lederhandschuhe und „Die Zauberflöte“ auf DVD über den Ladentisch. An den Manschettenknöpfen, die sich ein Herr gesichert hat, entspinnt sich ein kurzer Disput: Wie bitte soll man denn gleichzeitig würfeln und sich für das nächste Angebot empfehlen, will eine Frau wissen. Einer anderen geht das Prozedere zu schnell, einer anderen zu langsam. Schnäppchenjäger neigen zu Hitzköpfigkeit, doch die Verkäuferinnen bewahren einen kühlen Kopf. Der Knopf-Käufer lenkt ein und ist bereit, ein paar der perlmutternen Stücke abzutreten. Eine Kundin kommt in den Laden gehetzt, voller Angst, sie habe ihr begehrtes Teil schon verpasst. Zum Glück aber ist das Ballkleid zurück auf den Warenträger gewandert und harrt dort einer künftigen Zuwendung.

Alle Kleidungsstücke, Taschen, Schuhe, Gürtel, Bücher stammen aus privater Hand. Ihre früheren Besitzer brauchen sie nicht mehr und hoffen, dass sie andere erfreuen – die neuen Besitzer und jene, die viel weiter weg etwas davon haben. Oxfam ist der Name der ältesten britischen Hilfsorganisation. Aktivisten gründeten sie 1942, als Deutschland Griechenland okkupiert hatte und die Bevölkerung dort unwürdig leben ließ. Inzwischen gibt es Charity-Geschäfte in rund 90 Ländern auf der ganzen Welt und seit Ende September das erste in Dresden. Mit dessen Erlösen unterstützt Oxfam Projekte in Entwicklungsländern. Das Geld fließt dort in Bildung, Gesundheit und die Stärkung der Frauenrechte. Auch Menschen in Krisengebieten erhalten dank dieser Hilfe Trinkwasser, Hygieneartikel, Kochutensilien und Kleidung.

„Ich kenne das Konzept aus Wiesbaden, woher ich stamme“, sagt Brigitte Welteroth. Vor acht Jahren kam sie nach Dresden, der Beruf ihres Mannes führte sie her. Die Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist aus ihrem Beruf ausgestiegen und engagiert sich ehrenamtlich. Wie die anderen Damen arbeitet sie bis zu drei Fünf-Stunden-Dienste pro Monat im Shop. Sie kümmern sich jeweils um verschiedene Bereiche, sind verantwortlich für Bekleidung, Haushaltswaren, Schmuck und Antiquitäten, Spielzeug oder Bücher, Filme und CDs. Sie müssen die Produkte ihrem Wert nach einschätzen und Preise veranschlagen. Bringt ein Spender beispielsweise ein Schmuckstück vorbei, ist auch mal ein Rat vom Antiquar nötig, um das Kleinod nicht zu preiswert zu verschleudern.

Brigitte Welteroth ist Fachfrau für die Schaufenstergestaltung. „Dabei greife ich auf jahrelange Erfahrung beim Schaufensterbummel zurück“, sagt sie. Nach der Ball-Kulisse hat sie gerade Weihnachten im Visier, Silvester ist geplant und Karneval. Dafür sammelt sie schon Wochen zuvor die passenden Kleidungsstücke und Accessoires. Schließlich sind zwei große Fenster ansprechend zu füllen. Bei der Ideensuche helfen auch ihre Mitstreiterinnen, die den Laden zu einem Erlebnis machen. Dort riecht es nicht nach alter Klamottenkiste – im Gegenteil, manch Kunde bemerkt gar nicht gleich, dass die Mäntel, Kostüme, Tücher und Taschen aus spendabler Hand stammen.

www.oxfam.de